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Text aus:

Befreiung von falscher Arbeit

Thesen zum garantierten Mindesteinkommen

Herausgegeben von Thomas Schmid

Wagenbachs Taschenbücherei Berlin

6. – 8. Tausend 1986

ISBN 3 8031 2109 4

Seite 7 – 17

 

 

 

 

Thomas Schmid

 

Einleitung

 

Industrie ohne Glück ‑ Argumente für eine blockübergreifende Abrüstung der Arbeit

 

 

Wir stoßen hier auf eine sehr schwer zu lösende sozialphilosophische Problematik: Warum ist es notwendig, das Recht auf Ernährung mit Arbeit zu verbinden? Warum muß ein Mensch, der ohne eigenes Verschulden seinen Arbeitsplatz verliert, als Folge dieses Ereignisses sozial bestraft werden?  (Joseph Weizenbaum)

 

Fast unausweichlich führt jede Überlegung zu dem Gedanken eines Minimaleinkommens, das auf die eine oder andere Weise garantiert sein muß. (Ralf Dahrendorf)

 

 

 

 

Neue soziale und politische Ideen kommen nicht selten überraschend und auf Umwegen daher, sie sind ja gerade nicht Fortentwicklungen bekannter und verbreiteter Praktiken. Weil sie die bestehenden Fronten durcheinanderbringen oder zumindest mißachten, geraten sie schnell unter Häresieverdacht ‑ hie: sie würden die Verhältnisse ruinieren, dort: sie würden den emanzipatorischen Anspruch über Bord werfen und das Lager wechseln. So reagieren alte gesellschaftliche Blöcke, die ‑ materiellen wie ideologischen ‑ Besitzstand und den Status quo verwalten. Neue Ideen reifen daher oft im Schatten der Großorganisationen heran.

 

Das garantierte Mindesteinkommen ist eine solche neue Idee. Einem ‑ sagen wir: ‑ außerirdischen Wesen, das in die Händel dieser Welt nicht verstrickt ist, würde die Idee vermutlich sofort einleuchten. Es würde ‑ ohne große Freude ‑zur Kenntnis nehmen, daß die Ideologie vom segensreichen Charakter der Lohnarbeit vielleicht notwendig war, um der Industriegesellschaft mit sanfter und direkter Gewalt zum Sieg zu verhelfen. Dann aber würde es schnell bemerken, daß diese Ideologie heute recht unzeitgemäß geworden ist und nur unter den seltsamsten Verrenkungen weiterhin aufrechterhalten werden kann: unter veralteten gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Bedingungen wird heute ein großer Reichtum produziert ‑ scheinbar beste Voraussetzung für ein gutes (materielles) Auskommen aller. Doch dem ist keineswegs so: Armut, Marginalisierung und Sinnentleerung von menschlichem Leben werden nicht ganz kleine, sondern immer größere Probleme. Das außerirdische Wesen würde nun schnell zu dem Schluß kommen, daß der ganze Laden schlecht organisiert, daß seine Verteilungsstruktur längst überfällig ist, und der Meinung sein, daß der Ruf nach Arbeit für alle wenig sinnvoll ist, zumindest aber ins Leere geht, weil er am falschen Punkt ansetzt und an einem überholten Prosperitätsmodell orientiert ist. Das außerirdische Wesen fände daher den Vorschlag, Arbeit und Einkommen nicht mehr so fest wie bisher aneinander zu binden, nicht nur plausibel, sondern sogar zwingend: Wenn Ihr die Lohnarbeit immer rarer macht, müßt Ihr Eure Propaganda für die Vollbeschäftigung einstellen; lange Zeit habt Ihr den Leuten vorgemacht, die Lohnarbeit sei das Nadelöhr, durch das man hindurch müsse, um zu leben. Heute gibt das offensichtlich keinen Sinn mehr: Ihr müßt den Leuten ein Leben auch ohne Lohnarbeit möglich machen.

 

So einfach wird es natürlich nicht sein. Denn der einfachen Einsicht stehen immer noch einflußreiche gesellschaftliche Blöcke und deren Ideologien entgegen. Die beiden wichtigsten: Unternehmer und Gewerkschaften. Obgleich sie in vielen Punkten verschiedener Meinung sind, werden sie sich ‑ zumindest mehrheitlich ‑ vorerst in der Ablehnung eines garantierten Mindesteinkommens einig sein. Denn dieses greift ein Konstrukt an, auf das sich die beiden Blöcke ‑ bei Verteilung der Rollen ‑ einmal geeinigt hatten und das auch lange Zeit relativ wirksam war: die materielle und geistige Hegemonie über die Lohnarbeiterschaft. Die Unternehmer ‑ und nur sie ‑ stellen die materiellen Bedingungen zur Verfügung, die den Abhängigen das Überleben ermöglichen; die Gewerkschaften ‑ und nur sie ‑sorgen dafür, daß die abhängig Beschäftigten „angemessen“ bezahlt werden. Der Pakt beider Großorganisationen beruhte auch darauf, daß sie sich hegemonial aufführen konnten: (fast) keine Arbeit, es sei denn durch die Unternehmer ‑ (fast) keine Lohnverbesserung, es sei denn durch die Gewerkschaften. Im Zentrum dieser Veranstaltung stand das Allerheiligste des Kapitalismus: die Lohnarbeit. Das sumpfige Ausweichgelände war nach beiden Seiten hin ziemlich trockengelegt.

 

Es liegt daher nahe, daß sich die beiden strukturkonservativen Machtblöcke der Bundesrepublik so schnell mit dem Mindesteinkommen nicht anfreunden werden. Denn für die Unternehmer wäre es ein schwerer Schlag gegen ihren Geist der Rechenhaftigkeit: es würde der Arbeit einiges von ihrem disziplinierenden Charakter nehmen, würde zur arbeitsmoralischen Abrüstung von Fabriken und Büros beitragen, würde die Bindung der lebendigen Arbeitskraft an die tote lockern und würde vor allem jenes eherne Gesetz durchbrechen, das diese Gesellschaft bis heute prägt und das da lautet, essen dürfe nur, wer auch arbeitet. Mit anderen Worten: das Mindesteinkommen würde der Faulheit Tür und Tor öffnen. Und die Gewerkschaften würden das kaum anders sehen. Ohne allzu deutlich von Faulheit zu reden, wären sie doch um den Bestand ihrer Klientel besorgt. Die Unternehmer haben Maschinen, die Gewerkschaften Mitglieder. Die Maschinen müssen mit entsprechender Arbeitsmoral bedient werden, die Mitgliederzahl muß ‑ will man sich weiterhin als Drohpotential behaupten - erhalten werden. Da die Gewerkschaften aber Arbeiterorganisationen sind und die Vertretung der Interessen von Nichtarbeitenden noch immer all ihren moralischen Imperativen widerspricht, müssen sie an einer möglichst hohen Beschäftigungsquote interessiert sein. Sie müssen die Ideologie der Vollbeschäftigung hochhalten, müssen die strukturelle Arbeitslosigkeit als einen industriellen Betriebsunfall herunterspielen, der durch das Zaubermittel einer allgemeinen und generalisierten Arbeitszeitverkürzung behebbar sei. Die Gewerkschaften sind in der Tat in einer schwierigen Lage: der industrielle Rationalisierungsprozeß bewirkt, daß ihre Klientel auf Dauer wohl schwinden wird; und sie versuchen, diesen Mitgliederschwund aufzuhalten, indem sie sich zu Propagandisten einer Mangelware machen, die sie nun gleichmäßig verteilen wollen: der Lohnarbeit. Diese aber ‑ und daran sind keineswegs nur Technologie und Rationalisierung schuld ‑ verliert zunehmend ihren sinnstiftenden Charakter. Das garantierte Mindesteinkommen würde dieser vielfältigen Realität gerecht. Die Gewerkschaften werden sich aber nur schwer darauf einlassen können: denn somit würden sie eingestehen, daß sie auf die Gesamtheit der Nichtunternehmer keine hegemoniale Kraft mehr ausüben.

 

Von links wird dem Mindesteinkommen oft einer seiner geistigen Väter vorgehalten: der rechte amerikanische Ökonom Milton Friedman. In der Tat, es ist auffällig, daß es eher aus reaktionärer und liberaler Richtung zur Diskussion gestellt wurde. In einer Zeit, wo die alten politischen Zuordnungsschemata viel an Plausibilität eingebüßt haben, scheint es mir sinnvoll, zwischen ‚reaktionär’ und ‚liberal’ zu trennen. Wo ein Mindesteinkommen von rechts vorgeschlagen wird, soll es der Befriedung dienen: es soll der Pauperisierung das Bedrohliche nehmen, soll befürchtete Revolten der Marginalisierten im voraus ersticken, soll das möglichst reibungslose Funktionieren des produktiven Kerns der Gesellschaft sicherstellen ‑ es ist nicht mehr als ein leider notwendiges Almosen an die Underdogs der unbeirrbaren Wachstumsgesellschaft; es ist eine asoziale Maßnahme, die nicht von Verantwortung, sondern milde ausgedrückt ‑ von sozialpolitischer Gleichgültigkeit geprägt ist. Davon unterscheidet sich die liberale Begründung des Mindesteinkommens (wie sie heute etwa Ralf Dahrendorf vorträgt) sehr deutlich. Die Liberalen hatten schon immer ein weniger affektives Verhältnis zu Staat und Zentralismus als die Linken: sie hielten die offene Feld- und Materialschlacht der beiden großen gesellschaftlichen Blöcke nie für eine besonders segensreiche Erfindung. Sie hatten etwas gegen das protzige Verbandswesen, das sozusagen in gemeinsamem Ringen ‑ den mit übergroßer Kompetenz ausgestatteten Zentralstaat hervorbrachte. Die Liberalen haben immer befürchtet, daß diese Planierraupe den Einzelnen entmachtet und seine Wahlmöglichkeiten mindert. Gewiß, die Kraft, die sie dem Einzelnen unterstellten, dachten sie meist abstrakt ‑ sie dachten an das imaginär freie Wirtschaftssubjekt und hatten kein Organ für die Barbarei eben des Wirtschaftsliberalismus, der so frei daherkommt und doch die Existenz enteigneter, unselbständig gemachter Massen zur Voraussetzung hat. Der herkömmliche Liberalismus enthielt aber noch etwas anderes: die Überzeugung, daß das Gemeinwesen auch von Verantwortlichkeit geprägt sein muß, daß den Opfern der Planierraupe mehr als ein Almosen zusteht. In die Forderungen nach einem garantierten Mindesteinkommen geht, in das Soziale gewendet, ein Traditionsstrang des Liberalismus ein. Man muß sich dessen nicht schämen. In die Suche nach Auswegen aus der Krise des sozialdemokratisch‑gewerkschaftlichen Sozialstaats wird auch der block‑ und zentralismusfeindliche Impetus des vergilbenden Liberalismus eingehen.

 

Der Verweis auf Milton Friedman ist jedoch auch noch aus einem anderen Grund eher irreführend. Denn er versperrt den Blick auf das Atypische der kapitalistischen Entwicklung der letzten dreißig Jahre und läßt daher das Mindesteinkommen als einen Bruch mit der Normalität erscheinen. Daß das Einkommen der Mehrheit der Bevölkerung über das Zentralinstitut der Lohnarbeit gewährleistet wird, das ist ein historisch einmaliger Sonderzustand (der inzwischen seinem Ende zugeht). Es hat viele historische Formationen gegeben, in denen derjenige, der für seinen Unterhalt nicht aufkam oder nicht aufkommen konnte, keineswegs auf der Anklagebank der Gesellschaft saß. Nimmt man von dem Wirtschaftswunderglauben an die Vollbeschäftigung Abschied, dann wird sehr schnell deutlich, daß die Gesellschaft verpflichtet ist, dem Einzelnen eine Lebensgarantie zu geben. Man kehrt damit auch zu Altem zurück. Dessen muß man sich ebenfalls nicht schämen.

 

Die linke Kritik am garantierten Mindesteinkommen bringt des weiteren ‑ und zuweilen fast im gleichen Atemzug ‑zwei ganz konträre Argumente vor. Das erste lautet: das Mindesteinkommen sei gar nicht durchsetzbar, die Unternehmer (und ihr politisches Organ, der Staat) würden es niemals durchgehen lassen ‑ schließlich werde damit Nichtarbeit bezahlt: das verstoße gegen alle Prinzipien der Profitwirtschaft und sei daher erst in einer nachkapitalistischen Gesellschaft denkbar. Das zweite Argument lautet: dem Mindesteinkommen fehle alles Systemtranszendierende, mehr noch, es sei nur die pompöse Umbenennung einer schon bestehenden Maßnahme ‑ der Sozialhilfe; es sei die emanzipatorische Drapierung einer im Grunde diskriminierenden Maßnahme. Der Widerspruch zwischen beiden Argumenten ‑ die, wie gesagt, nicht selten aus dem gleichen Munde kommen ‑ scheint mir sehr aufschlußreich. Denn beide Argumente sind zutreffend. Gerade das, denke ich, macht u. a. den Witz des Mindesteinkommens aus. In der Tat, weder Unternehmer noch Gewerkschaften noch Parteien werden sich das garantierte Mindesteinkommen so ohne weiteres abringen lassen (obgleich die Fronten in allen diesen Lagern inzwischen in Bewegung sind): denn sie alle würden fürchten, daß es eine Säule der Gesellschaft zum Einsturz bringen würde ‑ die Arbeitsbereitschaft und ‑moral. Zugegeben: die Einführung des Mindesteinkommens wäre keine revolutionäre Tat, nicht einmal eine übermäßig kostspielige Reform. Sie würde nur offiziell und positiv sanktionieren, was ohnehin schon der Fall ist: daß das Gemeinwesen für die aufzukommen hat, die im bisherigen System des Produzierens entbehrlich geworden sind.

 

Dennoch halte ich die Forderung nach einem garantierten Mindesteinkommen für perspektivisch außerordentlich bedeutsam. In der alten Dialektik von Reform und Revolution ist sie nicht mehr anzusiedeln. Der Sinn des Mindesteinkommens bemißt sich nicht danach, ob es in der Lage ist, die Herrschenden an den Rand des politischen Offenbarungseids zu treiben. Das Mindesteinkommen will ganz wenig und doch sehr viel. Wenig: es will die Arbeitslosigkeit nicht mehr ‑ wie bisher ‑ bestraft und stigmatisiert sehen. Viel: es will Räume schaffen, die es den Einzelnen ermöglichen (nicht vorschreiben!), auf Distanz zur Arbeitsgesellschaft zu gehen und die Abhängigkeit von den Großorganisationen zu mindern. Seine nicht zu unterschätzende subversive Bedeutung liegt vor allem darin, daß es die Hegemonie der Institutionen über die Menschen zurückdrängt. Das garantierte Mindesteinkommen würde also einen bedeutsamen kulturellen Umbruchprozeß einläuten: es würde Unternehmer, Gewerkschaften und Staat als primäre Sinngebungsinstanzen verabschieden und die Zukunft ein wenig mehr als bisher in die Hände der Leute legen.

 

Das ist nicht viel, kaum mehr als eine unfrisierte Bilanz. Der Skandal ist gewissermaßen im Kleingedruckten verborgen, er liegt in dem, was nicht gesagt aber umso mehr gemeint ist: das Mindesteinkommen gibt ‑ ganz vorsichtig noch ‑ die Aufgabe der Vergesellschaftung an die Gesellschaft, also an die Leute zurück; es hält nicht mehr so viel vom vergesellschaftenden Charakter der Lohnarbeit und zielt auf Vergesellschaftungsformen jenseits davon. Es schafft diese nicht, macht sie aber möglicher als bisher. Es eröffnet den Menschen Wahlmöglichkeiten. Das mag nicht viel sein, aber bisher gehörte es zur Funktionsweise der Arbeitsgesellschaft, daß sie wirkliche Wahlmöglichkeiten unterband.

 

Man wird gegen das Mindesteinkommen auch einwenden, es versuche gewissermaßen die Quadratur des Kreises: es versuche, den Sozialstaat mit den Mitteln des Sozialstaats auszutreiben. Das stimmt zu einem Teil, und eben das macht die List wie die Gefahr der Maßnahme aus. Von der List war eben die Rede. Bleibt die Gefahr: es ist in der Tat vorstellbar, daß das Mindesteinkommen als Befriedungsmittel für ‚Gettos’ eingesetzt wird. Da käme es dann aber darauf an, daß die Insassen der ‚Gettos’ selber nach draußen drängen: schließlich hat die staatliche Politik (und auch die fortschrittliche staatliche Politik) eben diese Gettos erzeugt. Natürlich wäre das Mindesteinkommen eine staatliche Maßnahme (und die Hoffnung wäre illusionär, im Prozeß der Entstaatlichung könne ganz und gar auf staatlichen Interventionismus verzichtet werden). Bisherige sozialstaatliche Politik zielt darauf, die Folgen der industrialistischen Entwicklung abzumildern, sie war Kompensation für die Wunden, die der Fortschritt schlägt. Das Mindesteinkommen unterscheidet sich hiervon nicht unbedeutend: es will Wunden nicht nur heilen, sondern sie auch verhindern, es will ermöglichen, daß Menschen nicht mehr darauf angewiesen sind, ihre Haut zu Markte zu tragen. Mehr noch: es könnte aktiv dazu beitragen, die Lohnarbeit zurückzudrängen. Die Freisetzung der Menschen von sinnentleerter und unwürdiger Arbeit wird heute vor allem durch den kapitalistischen Innovationsprozeß besorgt: nicht der Widerwille der Menschen gegen unsinnige, überflüssige und entwürdigende Arbeit, sondern das Rentabilitätskalkül der Unternehmer ist das Entscheidende. Der Prozeß der Freisetzung von Arbeit ist damit gewissermaßen auf den Kopf gestellt: er findet zwar statt, ist aber nicht von menschlichen Interessen, sondern von den Produktionserfordernissen diktiert. Da würde das Mindesteinkommen von der Menschenseite her eingreifen: es wäre nicht nur Reaktion auf den Verminderungsprozeß der Lohnarbeit, es würde vielmehr versuchen, diesen Prozeß von der menschlichen Bedürfnisseite her zu beeinflussen, zu prägen und zu fördern. Es wäre ein Beitrag zur Zurückdrängung der Lohnarbeit nicht nur durch Maschinen, sondern auch durch Menschen. Voll entfaltete Lohnarbeit setzt eine zerstörerische und vergeudende industrielle Produktion in Gang; das Mindesteinkommen kann diesem arbeits‑ und warenklirrenden Hang zum Suizid wenigstens einen Riegel vorschieben. Wenn Leute nicht mehr gezwungen sind, sich anheuern zu lassen, fällt ihnen ja doch vielleicht irgendwann einmal etwas Besseres ein. Eine Garantie gibt es nicht, das Mindesteinkommen könnte aber eine Entscheidungshilfe sein.

 

Kurz will ich noch auf einen letzten Einwand gegen das garantierte Mindesteinkommen, der von Rechten wie Linken vorgebracht wird, eingehen: das Mindesteinkommen fördere nur die Verantwortungslosigkeit, will sagen die Faulheit. Es dürfte deutlich geworden sein, daß das Mindesteinkommen einiges mit gesellschaftlicher Verantwortungsethik zu tun hat. Bleibt also die Faulheit. Wer mit ihr argumentiert, macht keine besonders gute Figur. Denn zum einen nimmt er nicht nur Kenntnis, daß die heute schon zu hoher Form gediehene Schattenwirtschaft ein deutlicher Beweis dafür ist, daß es den Leuten an energetischen, auf Tätigkeit drängenden Impulsen keineswegs fehlt. Und zum anderen legt, wer vor der drohenden Faulheit warnt, ein seltsam verkehrtes Verständnis vom Wesen der Menschen an den Tag: er glaubt ganz offensichtlich, der Mensch sei ‑ wenn niemand die Knute der Arbeit schwingt ‑ ein nichtstuender Minusman. In der Logik dieser Philosophie läge der Arbeitszwang ‑ eine Lösung, die mit Emanzipation ganz sicher nichts zu tun hat. Zudem übersehen die, die vor der drohenden Furie der Faulheit warnen, gerne, daß der Hang zu ihr in aller Regel nichts anderes ist als die überaus berechtigte Reaktion der Leute auf Arbeitsbedingungen, die mit Selbstverwirklichung ganz sicher nichts zu tun haben.

 

 

Seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Bandes (1984) hat sich in der Diskussion um ein garantiertes Mindesteinkommen Beträchtliches geändert: die Idee ‑ damals meist nur belächelt oder als ganz unrealistisch abgetan ‑ hat inzwischen Fuß gefaßt und wird von fast allen gesellschaftlichen Gruppen und auch allen Parteien sowie den Gewerkschaften ernsthaft erörtert und erwogen (man darf freilich nicht übersehen, daß es sich dabei bislang meist um ‑ mehr oder minder einflußreiche ‑ Minderheiten handelt). Es wird kaum noch bestritten, daß das überkommene sozialpolitische Gefüge den Erfordernissen der Zukunft kaum angemessen ist und es mit Modifikationen nicht getan sein wird. Die Bereitschaft, Neuland zu betreten, ist gewachsen.

 

Dabei fehlt es natürlich nicht an Versuchen, die Idee des Mindesteinkommens zwar in irgendeiner Form aufzugreifen, sie sodann aber schnell wieder in alte sozialpolitische Konzeptionen zurückzubiegen. Ich will zum Schluß auf einige Kritiken und Rückholversuche eingehen und auf diesem Hintergrund versuchen, das unverwechselbar Neue an einem garantierten Mindesteinkommen genauer zu bestimmen.

 

Einer der deutlichsten Kritiker war Peter Glotz. (3) Ich lasse hier den polemischen Überschuß seiner Invektive (4) außer acht und konzentriere mich auf das zentrale Argument: das garantierte Mindesteinkommen »läuft auf eine Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen hinaus« (S. 143). Die Sorge ist verständlich, denn gerade von rechts fehlt es nicht an Konzeptionen der Mindestsicherung, die ‑ angesichts des Endes jener kurzen Ära die von Vollbeschäftigung geprägt war ‑ bewußt auf die Zweidrittelgesellschaft zielen. Glotz übersieht jedoch leider, daß das Mindesteinkommen auch zum Gegenteil gut sein könnte, daß es der drohenden Spaltung der Gesellschaft in Arbeitsplatzbesitzer (die zu einem großen Teil politisch in seiner Partei beheimatet sind und relativ fest auf dem Boden ihres Besitzes stehen) und von der Erwerbsarbeit mittelfristig oder auf Dauer Ausgeschlossene entgegenwirken könnte ‑ nicht als Allheilmittel, aber als ein Mittel. Gewiß, eine allgemeine und generalisierte Arbeitszeitverkürzung wäre auch ein solches Mittel (und es steht außer Frage, daß die Arbeitszeitverkürzung ‑ über deren genauen Modus freilich zu diskutieren wäre! - ein wesentlicher Bestandteil von Beschäftigungspolitik sein muß). Das Mindesteinkommen würde den Menschen jedoch noch anderes ermöglichen: es würde die starre Trennmauer zwischen Arbeit und Nichtarbeit durchlässiger machen, würde den Menschen bewußte Pendelbewegungen zwischen beiden Polen zumindest erleichtern, würde die Trennmauer nach beiden Seiten hin durchlässiger machen. In einer Gesellschaft, die noch immer das Signum der lebenslangen gleichförmigen Arbeit trägt, wird dieser Prozeß in dem Glotz rechte Massensprengkraft befürchtet ‑ nicht ohne Reibungen und Konflikte abgehen. Die Forschung zum ‚Wertewandel’ zeigt aber auch, daß diese Durchlässigkeit von vielen (und keineswegs nur den Angehörigen der ‚neuen Mittelschichten’) gewünscht wird, daß Zeitsouveränität, Wahlmöglichkeiten und der Wunsch nach gemischten Lebensentwürfen in der Werteskala vieler nach oben gerutscht sind. Was eigentlich spricht dagegen, mit der ‑schrittweisen ‑ Einführung des Mindesteinkommens diese Wünsche, die heute gewissermaßen noch in der Luft hängen, allmählich realisierbar zu machen? Zum Glück gibt es auch Sozialdemokraten, die dagegen nichts einzuwenden haben. (5)

 

Andere wiederum ‑ gerade bei den Grünen sind sie zahlreich vertreten ‑ möchten zwar das Mindesteinkommen nicht ausschließen, wollen es aber doch möglichst eingrenzen und als Verlängerung traditioneller linker Sozialpolitik begreifen.(6) Das Mindesteinkommen ist hier ‑ angesichts einer offensichtlichen Krise aller bekannten Beschäftigungspolitik, auf die eine transzendierende Antwort nicht in Sicht ist ‑ vor allem als Notbehelf gedacht: solange Vollbeschäftigung, die das Ziel bleibt, nicht herstellbar ist, soll der Staat verpflichtet sein, den aus dem System der Erwerbsarbeit Herausgefallenen eine Mindestsicherung zu garantieren. Was hier bleibt, ist die Arbeitszentriertheit und zuletzt auch die negative Stigmatisierung derer, die ‑ aus welchen Gründen auch immer - nicht erwerbstätig sind. Ein Mindesteinkommen, so begründet (und es gibt dafür viele Formeln), verdient diesen Namen nicht. Es ist an den großen Zeitfragen vorbei gedacht, trägt nicht zur Lockerung der Arbeitsgesellschaft bei und umgeht das entscheidende Problem, wie denn der sozial und ökologisch bedrohliche Wachstumsimperativ, den die Arbeitsgesellschaft hervorgebracht hat, außer Kraft gesetzt werden soll.

 

Das Konzept eines voraussetzungslos garantierten Mindesteinkommens für alle wäre mißverstanden, wenn man es als „systemsprengend“(7) oder als sozialpolitischen Paukenschlag, der sofort ganz neue Verhältnisse schafft, begreift. Es kann, wie bei aller Sozialpolitik, auch hier nur um eine langsame Neuorientierung gehen: um eine Politik der Experimente von mittlerer Reichweite, die dem ‚Trial‑and‑error‑Verfahren’ folgt. Daher ist ‑ gerade auch in einem libertären Verständnis ‑gegen eine Vielfalt von Wegen zum garantierten Mindesteinkommen nichts einzuwenden. Etliches wird zu Anfang sehr unscheinbar aussehen und kaum zu unterscheiden sein von jenen eher arbeitszentrierten Ansätzen, die nicht mehr vorschlagen als die Einführung von ‚Sockelbeträgen’ in das bisherige System der Sozialversicherung.

 

Darüber sollte jedoch nicht vergessen werden, daß das Mindesteinkommen für alle zwar sehr modulations‑ und anpassungsfähig, also grundreformerisch ist, dennoch aber auch eines gewissen Maximalismus bedarf. Eine andere Republik als die der Arbeit und zwar gerade auch dann, wenn die Bedeutung der Erwerbsarbeit in absehbarer Zukunft keineswegs schwinden wird ‑ sollte der Kampf um das Mindesteinkommen schon im Auge haben. Es wäre ein gewaltiges, nur konsensual und in langer Auseinandersetzung realisierbares Projekt: die industrielle Kolonisierungsphase zu beenden und damit zu beginnen, wenigstens etwas größere Teile menschlicher (Arbeits)Kraft in die Gesellschaft zu entlassen. (8) Das voraussetzungslos garantierte Mindesteinkommen für alle wäre ein Teil der Ouvertüre. Es nutzt den Staat, macht ihn aber nicht stärker. Es macht Freiheit möglich. Eigentlich ist nicht einzusehen, warum dafür eine Mehrheit nicht möglich sein soll ‑ eine Mehrheit, zu der alle gesellschaftlichen Gruppen ohne Gesichtsverlust beitragen können.

 

 

 

 

Anmerkungen

 

1. Joseph Weizenbaum, Diese technologischen Prozesse setzen sich fort wie Krebs, in: ‚Frankfurter Rundschau’ vom 30. 11. 1983, S. 13.

2. Ralf Dahrendorf, Die Chancen der Krise. Über die Zukunft des Liberalismus, Stuttgart 1983, S.99.

3. Peter Glotz, Freiwillige Arbeitslosigkeit? Zur neueren Diskussion um das „garantierte Grundeinkommen“, in: Michael Opielka, Georg Vobruba (Hrsg.), Das garantierte Grundeinkommen. Entwicklung und Perspektiven einer Forderung, Frankfurt a. M. 1986, S. 135‑148. Eine kürzere erste dafür aber sehr viel rabiatere ‑ Fassung dieser Kritik erschien in: ‚Pflasterstrand’, Heft 197/1984, S. 18‑22.

4. Etwa: das suggestive Insistieren auf dem rechten bis reaktionären Traditionsstrang der Diskussion über das Mindesteinkommen oder der Vorwurf, die Verfechter des Mindesteinkommens glaubten ernsthaft, mit diesem den locker zu beschreitenden Königsweg in eine nebulöse »alternative« Gesellschaft gefunden zu haben.

5. So z. B. Oskar Lafontaine, der das garantierte Mindesteinkommen nicht grundsätzlich verwirft; vgl. Oskar Lafontaine, Der andere Fortschritt. Verantwortung statt Verweigerung, Hamburg 1985, S. 111.

6. Ein Beispiel unter so vielen: Stephan Leibfried, Bedarfsprinzip und Krise sozialer Grundsicherung, in: Opielka, Vobruba (Hrsg.), a. a. O., S. 149-157.

7. So z. B. Peter Glotz, a. a. O., S. 135.

8. Sehr deutlich und überzeugend wird diese Perspektive herausgearbeitet in: Herwig Büchele, Lieselotte Wohlgenannt, Grundeinkommen ohne Arbeit. Auf dem Weg zu einer kommunikativen Gesellschaft, Wien, München, Zürich 1985, insbesondere Teil I, S. 19‑110.