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Text aus:

DIE ZEIT Nr. 48

25. November 1988

 

Schwaches Wachstum, überalterte Bevölkerung, leere öffentliche Kassen - die soziale Sicherung in den Industriestaaten wird unbezahlbar. Doch Sparen reicht nicht. Der Wohlfahrtsstaat braucht neue Konzepte. Eine ZEIT-Serie.

 

Guy Standing leitet die Abteilung Arbeitsmarktforschung beim Internationalen Arbeitsamt in Genf

Übersetzung aus dem Englischen: Evelin Stöhr

 

Einkommen ist Bürgerrecht

Die Sozialversicherung muß durch ein steuerfinanziertes Grundgehalt ersetzt werden

 

Von Guy Standing

 

 

In ganz Westeuropa stimmen die Voraussetzungen, unter denen der Sozialstaat geschaffen wurde, nicht mehr. Das System sozialer Sicherung ist im Konflikt mit dem Arbeitsmarkt, es gibt immer mehr Menschen, die in Armut leben oder die kein sicheres Einkommen haben. Die Arbeitslosigkeit hat in den achtziger Jahren jenen Trend zum engeren sozialen Zusammenhalt umkippen lassen, durch den früher benachteiligte soziale Gruppen langsam in den Hauptstrom der Wirtschaft einbezogen wurden. Jetzt werden anfällige Gruppen - ethnische Minderheiten, ältere Arbeitnehmer, Frauen, Behinderte und so weiter - noch ungeschützter den Widrigkeiten einer ungünstigen Wirtschaftsentwicklung ausgesetzt.

 

 Das Hauptproblem ist, daß die Pflicht des Staates zur Einkommenssicherung der Bürger, die in der UN-Erklärung zu den Menschenrechten enthalten ist, durch ein nationales System der Sozialversicherung nicht mehr erfüllt werden kann. In den meisten Teilen Europas hat sich nämlich im vergangenen Jahrzehnt ein flexiblerer Arbeitsprozeß herausgebildet, teilweise als Folge internationaler Konkurrenz. Das gegenwärtige soziale Sicherungssystem konnte nur so lange effizient funktionieren, wie es Vollbeschäftigung gab, solange die Beiträge grob den Versicherungsleistungen entsprachen und die Leistungen nur dazu benötigt wurden, zeitweilige Unterbrechungen des Verdienstes zu überbrücken. Dieses System war auf der Prämisse aufgebaut, daß die versicherte Bevölkerung aus Familien bestand, in denen der Mann eine normale, sichere, gutbezahlte Vollzeitbeschäftigung hatte, während die Ehefrau sich zu Hause um die abhängigen Kinder kümmerte. Die wirkliche Welt war allerdings nie so, und seit Beginn der achtziger Jahre entspricht sie diesem Bild noch weniger.

 

 Allenthalben wurden in den siebziger Jahren die Bedingungen für die Gewähr von Sozialleistungen verschärft. Immer häufiger wurden Bedürftigkeitskontrollen und Überprüfungen der Arbeitswilligkeit und -verfügbarkeit angesetzt, und es entstand ein Sammelsurium von Auswahlkriterien. In Großbritannien gab es zum Beispiel Anfang der achtziger Jahre mehr als sechzig staatliche Kriterien für die Zuteilung von Sozialhilfe.

 

 Viele Hunderttausende von Menschen in ganz Europa sind dadurch in "Armutsfallen" (wenn sie für mehr Einkommen härter arbeiten, haben sie am Ende weniger, denn sie verlieren ihren Anspruch auf Unterstützung) oder "Arbeitslosigkeitsfallen" (wenn sie eine Arbeit annehmen, verlieren sie den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe) geraten.

 

 Als Folge davon bleiben sie lieber gleich arbeitslos und kassieren Unterstützung. Die Kosten, die dem Staat daraus erwachsen, werden nie von denen in Betracht gezogen, die die Voraussetzungen für Sozialleistungen zwecks Kostenersparnis heraufsetzen wollen.

 

 Wie könnte die Sozialpolitik den Sinn sozialer Solidarität oder sozialen Zusammenhalts neu definieren und ein Sozialversicherungssystem schaffen, das zivilisierten Gesellschaften angemessen wäre?

 

 Sehen wir nur ein paar langfristige Trends an. Seit 1970 hat sich die Erwerbslosigkeit in Europa vervierfacht, allein zwischen 1980 und 1985 sogar verdoppelt, und es gibt keine Anzeichen, daß sie sich auf das Niveau der sechziger und siebziger Jahre zurückentwickelt. In einigen Ländern ist bei wirtschaftlichem Aufschwung die Arbeitslosigkeit gestiegen.

 

 Arbeit ist unsicher geworden. Teilzeitjobs mit niedrigem Einkommen haben in den achtziger Jahren Vollzeitjobs ersetzt. Die Zahl der unregelmäßig Beschäftigten ist im Verhältnis zu den sicheren Dauerarbeitsplätzen gestiegen. Es hat einen Umschwung gegeben hin zu kleinen, relativ unsicheren Firmen. Und viele Leute sind, oft um Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu vermeiden, in die Schattenwirtschaft übergewechselt, wo die Einkommen niedrig und unsicher sind.

 

 Zugleich sind die Unterschiede unter jenen, die Arbeit haben, gewachsen. Etliche Gruppen von Arbeitnehmern erhalten wachsende Zuwendungen, Gewinnbeteiligung und betriebliche Sonderleistungen. Andere Fabrikarbeiter und Arbeitnehmer im Dienstleistungsgewerbe verlieren solche Einkommensquellen. Insgesamt wird die Zahl derer, die Sonderleistungen erhalten, kleiner.

 

 Zusammengefaßt: Arbeitsmarkt- und Einkommensschwankungen sind stärker geworden und werden in den neunziger Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach noch zunehmen. Ist das nicht ein soziales und ökonomisches Argument dafür, die Einkommenssicherung vom Arbeitsmarkt abzukoppeln?

 

 Ohne Zweifel nämlich werden Ungleichheit und die soziale Ausgliederung Schwächerer noch zunehmen. Solange die Gewerkschaften starke kollektive Institutionen waren, waren sie eine Quelle sozialer und wirtschaftlicher Integration. Aber die Gewerkschaften sind schwächer geworden - weniger in Deutschland als in anderen Teilen Europas, wie Italien. Die Gesellschaft besteht überdies zunehmend aus speziellen Gruppierungen, die durch jeweils besondere Defizite definiert sind; jede Gruppe strebt nach spezieller Behandlung und Zuwendungen vom Staat, jede besteht darauf, noch bedürftiger als die anderen zu sein. Das sind schlechte Aussichten.

 

 Ein weiterer Mechanismus des sozialen Ausgleichs scheint zu klemmen. In der Nachkriegszeit herrschte weitgehend die Erwartung, daß das Steuersystem durch Umverteilung allmählich Einkommensungleichheiten abtragen sollte. Heutzutage glauben nur noch wenige daran. Viele Politiker und Wirtschaftler sind vielmehr der Meinung, daß eine hohe direkte Besteuerung das Wirtschaftswachstum bremst, ohne eine wesentliche Umverteilung zu gewährleisten. Wahrscheinlich ist das letztere auch richtig. Aber sollen wir ein größeres Ungleichgewicht von Einkommen, Geld und Macht tolerieren? Wenn man hohe Gewinne braucht, um Wachstum und Investitionen zu vervielfachen, so ist es doch nicht nötig, daß man zugunsten einer kleinen Elite hochproduktive Jobs noch bezuschußt.

 

 Wenn die Abschaffung von Ungleichheit Ziel einer neuen Sozialstruktur sein soll, dann muß der Mehrwert kollektiv geteilt werden, vielleicht in der Art, wie es sich im wirtschaftlich prosperierenden Schweden abzeichnet. Wenn das mit der Einkommensteuer nicht geht und wenn der Arbeitsmarkt immer neue Ungleichheiten aufwirft zwischen denen, die Arbeit haben, und den Arbeitslosen, was ist dann die Alternative für eine gleichmäßigere Verteilung des Profits?

 

 Wir müssen die Mechanismen der Einkommenssicherung verstärken - dies ist ein soziales Grundrecht, das wieder eingeführt werden muß. Gegenwärtig haben alle westeuropäischen Staaten ein Sozialhilfesystem. In den meisten Ländern ist dieses Mindesteinkommen aber zu niedrig, um einen angemessenen Lebensstandard zu gewährleisten - wahrscheinlich, um den Willen zur Arbeit nicht zu bremsen. Überdies sind die Bedürftigkeits- und Arbeitsfähigkeitsprüfungen schwierig. Es ist eine grausame Ironie, daß die Leute, die staatliche Unterstützung am nötigsten haben, am meisten unter den harten Auswahlkriterien und Überprüfungen zu leiden haben.

 

 Wenn die Gesellschaft Armut verhindern will, braucht sie ein garantiertes Grundeinkommen als Bürgerrecht. Die Regierungen von Luxemburg und Frankreich verfolgen neuerdings dieses Ziel, die Holländer haben das bis zu einer gewissen Grenze schon getan; ein Grundeinkommen ist Voraussetzung für wirkliche soziale Reformen. Es sollte deshalb eine Mindesteinkommensgarantie für jeden Bürger geschaffen werden, die die derzeitigen staatlichen Zuwendungen ersetzt. Das Mindesteinkommen sollte an jeden ausgezahlt werden, unabhängig von Einkommen, Alter, Geschlecht oder Status. Es könnte für Erwerbstätige als Steuernachlaß und für jeden anderen als einfache Barauszahlung gewährt werden.

 

 Solch ein Plan sollte der Hauptpfeiler unserer postindustriellen Nach-Wohlfahrtsstaat-Gesellschaft sein, die durch flexible Lebensweisen von unterbrochenen Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigungen, Ausbildung und Pensionsalter gekennzeichnet ist. Dadurch könnte die Grundlage für einen neuen sozialen Konsens geschaffen werden, in dem sich die politische Rechte und die politische Linke wiederfinden könnten.

 

 Zum erstenmal in der Geschichte ist es möglich, jedem ein staatliches Mindesteinkommen zu finanzieren. Einerseits erlauben das die hohen Volkseinkommen. Andererseits wird dies dadurch möglich, daß Sozialversicherungsabgaben und Steuererleichterungen in manchen Ländern auch heute schon mehr als ein Drittel des Bruttosozialprodukts ausmachen. Hinzu kommt, daß die Verwaltungskosten des derzeitigen Sicherungssystems riesig sind, besonders wenn man die Kosten einbezieht, die derzeit aufgewendet werden, um Leute künstlich aus dem sozialen Netz herauszunehmen oder ihnen die eine oder andere unproduktive Sondermaßnahme aufzudrängen.

 

 Gegen die Idee des garantierten Grundeinkommens sind viele Einwände erhoben worden. Es gibt drei Hauptkritikpunkte: einen von rechts, einen von links und einen, der überall im politischen Spektrum zu hören ist. Alle drei sind ohne Bedeutung.

 

 Der erste, allgemeine Kritikpunkt ist, daß ein garantiertes Grundeinkommen extrem hohe Kosten verursache. Man muß dagegenhalten, daß es ein existierendes teures und uneffizientes System ersetzen würde und daß - wie vorher angeführt - es die allgemeine Umverteilung durch seine steuerbegünstigenden produktiven Anstöße stimulieren würde.

 

 Der Hauptkritikpunkt, der typischerweise von der politischen Rechten kommt, ist, daß ein garantiertes Grundeinkommen den Willen zur Arbeit schwächt. Das muß man anzweifeln, da ein System ohne Überprüfungen Armuts- und Arbeitslosigkeitsfallen ausschließen würde, die jetzt hauptsächlich Leute von der Arbeit abhalten. Darüber hinaus arbeiten fast alle Deutschen nicht nur um des Geldes willen, sondern auch, um einen gesellschaftlichen Status zu erlangen. Es ist unwahrscheinlich, daß die Leute durch ein Grundeinkommen fauler würden. Jedenfalls sollte eine sozial eingestellte Gesellschaft nicht mit der Armutspeitsche drohen, um Leute zur Arbeit zu motivieren.

 

 Die Position der Linken zu einem garantierten Grundeinkommen wird durch die verbreitete Forderung einer "Ethik der Arbeit" bestimmt. Sozialdemokraten und Gewerkschaften fordern das Recht auf bezahlte Arbeit. Andere Arten von Einkommen, andere Arbeitsformen sind damit nicht unter einen Hut zu bringen. Hauptkritikpunkt der Linken ist, daß ein garantiertes Grundeinkommen dazu führe, die Löhne zu senken, weil die Arbeitgeber unter geringerem (moralischem) Druck stünden, angemessene Löhne zu zahlen. Auch das ist fraglich, da eine Einkommensgarantie den Randgruppen, zum Beispiel Frauen, eine stärkere Verhandlungsposition schaffen würde und sie den schlimmsten Formen von Ausbeutung widerstehen könnten. Jedenfalls würden die Gewerkschaften und die Lohnschutzmaschinerie die Löhne auf der derzeitigen Höhe halten.

 

 Ein wichtiger Einwand gegen das Bürgergehalt lautet, daß das garantierte Grundeinkommen unnötigerweise alle gleichmache. Aber schon jetzt sind in der Europäischen Gemeinschaft mehr als 145 Millionen Menschen auf staatliche Unterstützung angewiesen. Die Zahl der tatsächlichen Sozialhilfeempfänger wächst stetig, wie zum Beispiel in den Niederlanden, wo sie seit 1975 von 2,4 Millionen auf vier Millionen gestiegen ist. Und die Zahl der Leute, die durch das soziale Netz fallen, wird auch immer größer.

 

 Es ist wichtig, daß man das garantierte Grundeinkommen nicht als Allheilmittel für jede soziale Krankheit ansieht, aber längerfristig sollten seine sozialen und wirtschaftlichen Vorteile überzeugen. Jetzt, da die Computerisierung es erlaubt, Steuer- und staatliches Zuwendungssystem zusammenzufügen, können die Regierungen durch die Effektivität überzeugt werden, mit der ein solches System eingeführt und verwaltet werden kann. Man sollte nicht vergessen, daß, obwohl jeder Bürger eine Einkommensgarantie erhält, weniger Geld bewegt wird und nicht mehr; wo jetzt die Regierungen mit der einen Hand Geld austeilen, das sie mit der anderen wieder zurücknehmen, würden durch das garantierte Mindesteinkommen die meisten Leute ihre Zuwendung durch eine Steuererleichterung erhalten. Nur die mit geringen Einkommen oder ohne andere Verdienste bekämen Barzahlungen.

 

 Ein entscheidender Vorteil ist, daß dieses System flexible Arbeitspraktiken fördern würde, es würde viel mehr Arbeitnehmern erlauben, eine Teilzeitarbeit mit anderen Einkommensmöglichkeiten zu verbinden. Durch die Aufhebung der Arbeitslosigkeitsfalle hätten insbesondere arbeitslose Männer die Möglichkeit, eine Teilzeitbeschäftigung anzunehmen. Da das Risiko völliger Verarmung nicht besteht, könnte das Risiko einer selbständigen Arbeit leichter eingegangen werden.

 

 Die Männer könnten sich mehr an der Hausarbeit beteiligen, da sie öfter in Teilzeitbeschäftigungen arbeiten, und so würde die geschlechtsspezifische Teilung der Gesamtarbeit abgebaut.

 

 In einem großen Teil Westeuropas gibt es eine wachsende Form von Ungleichheit, die man als "Haushalts-Dualismus" bezeichnen könnte. In manchen Familien haben der Mann und die Frau Vollzeit-Karrierejobs. Also haben sie zusammen eine Lebensarbeitszeit von siebzig oder mehr Jahren mit sicherem Einkommen, der eine Zeit mit sicheren, lukrativen Renten folgt. Am anderen Ende des sozialen Spektrums sind Haushalte, in denen durch Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und periodische Zeiten ohne Arbeit das kombinierte Arbeitsleben von Mann und Frau nur vierzig oder fünfzig Jahre beträgt. In diesen Fällen steht hinter dem niedrigeren Familieneinkommen ein viel schlechteres relatives Lebenszeit-Einkommen und an dessen Ende keine große Aussicht auf zusätzliche Renten. Ein Grund dafür ist, daß in vielen Ländern die Frauen arbeitsloser Männer wenig motiviert sind, arbeiten zu gehen oder ihre Arbeitsstundenzahl zu erhöhen - denn je mehr sie verdienen, um so mehr staatliche Zuwendungen verliert die Familie. Diese Falle aus Arbeitslosigkeit und Armut würde durch das garantierte Grundeinkommen beseitigt, denn das garantierte Einkommen würde nicht in die Hände des Staates zurückfallen, wenn einer der Partner arbeiten geht. Sie müßten nur Steuern bezahlen für den Betrag, der über das Garantieeinkommen hinausginge.

 

 Ein allgemeines Grundeinkommen würde auch die willkürliche und unflexible Festsetzung der Altersgrenze aufheben. Es ist absurd und sozial unerwünscht, daß Renten erst dann gezahlt werden, wenn das Pensionsalter erreicht wird. Wenn jeder das Recht auf ein Grundeinkommen hätte, könnte eine große Zahl älterer Arbeitnehmer ihre Fähigkeiten und Erfahrungen zu ihrem Nutzen oder dem ihrer Gemeinde einsetzen, ohne ihre staatliche Rente durch Zuverdienstgrenzen oder Einkommensüberprüfungen zu verlieren.

 

 Die Garantie eines Grundeinkommens würde Unterbrechungen im Arbeitsleben erleichtern. Dieser Lebensstil beginnt sich durchzusetzen. Aber warum sollen Pausen im Arbeitsleben nur einer kleinen Zahl von hochqualifizierten Arbeitnehmern und Wohlhabenden gewährt werden? Wenn alle das Recht auf ein Grundeinkommen hätten, könnten viele die Arbeit eine Zeitlang unterbrechen, um sich neue Fähigkeiten anzueignen. Gegenwärtig sind Karriereunterbrechungen, die ein paar relativ gut verdienenden Gruppen erlauben, ihre Arbeit zeitweilig zu verlassen, eine Quelle sozialer Ungerechtigkeit. Sie ermöglichen es den Privilegierten, ihre Privilegien durch neue Fähigkeiten noch zu erhöhen. Wenn solche Karriereunterbrechungen nützlich sind, sollte die Gesellschaft sie möglichst vielen ihrer Mitglieder zugänglich machen.

 

 Das garantierte Grundeinkommen könnte es auch schaffen, Schattenökonomie wieder in den Hauptstrom der legalen, steuerzahlenden Wirtschaft zurückzulenken. Nach gängigen Schätzungen machen solche schwarzen Aktivitäten in der Wirtschaft jetzt ungefähr ein Viertel des Volkseinkommens in Italien aus, und in anderen Ländern nehmen sie zu.

 

 Schließlich könnte das garantierte Grundeinkommen den Druck von den Regierungen nehmen, teure und womöglich unnütze Jobs zu schaffen, die jetzt dazu benutzt werden, Menschen nur zu beschäftigen. Der Hang zu unterbezahlten Stellen im öffentlichen Dienst mit geringer Produktivität als Reaktion auf die Massenarbeitslosigkeit hat in der Öffentlichkeit genau gegenteilige Wirkung erzielt. Diejenigen, die solche Arbeit leisten, wissen, daß sie das tun müssen, weil sie als "Versager" nur unterbezahlte Jobs für kurze Zeit ausführen können; sie leisten nur minderqualifizierte Dienstleistungen, und sie untergraben dadurch die Legitimation des öffentlichen Sektors.

 

 Wenn man den jetzigen Strömungen in Europa nicht gegensteuert, wird sich die Gefahr von Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt vergrößern. Privatem Überfluß einiger Gruppen werden schrumpfende öffentliche Leistungen und eine separate, wachsende Unterklasse gegenüberstehen. Der Staat wird weiterhin alles tun, die Verlierer politisch auszugrenzen. Wenn die Armen nicht das Recht bekommen, am wachsenden Volkseinkommen teilzuhaben, und zwar auf aktive Art, was bleibt ihnen dann übrig? In den sechziger Jahren schloß sich die Jugend radikalen Bewegungen an und verlangte Umverteilung und Zugang zur Macht. Das war eine Zeit von steigenden Erwartungen, Optimismus und sozialer Integration. In den späten achtziger Jahren ist das Gegenteil näher an der Wahrheit; viele sehen nur geringe Chancen, am "aktiven Leben" teilzuhaben, sozialen oder politischen Einfluß zu bekommen oder auch nur in ihrer Gemeinde mitzureden.

 

 Eine besorgniserregende Reaktion auf soziale Ausgrenzung und Dauerarbeitslosigkeit ist workfare. Gemeint ist damit, daß das Recht auf Unterstützung nur der hat, der vorher berufstätig war. Diese Regelung wurde 1988 durch Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten eingeführt und könnte auch für Westeuropa ein Vorbild werden. Mehr und mehr argumentieren Vertreter der politischen Rechten, daß Menschen, die Arbeitslosenunterstützung oder -hilfe bekommen, zur Arbeit verpflichtet werden müssen. Gleichzeitig fordern die Vertreter der Linken, die das "Recht auf Arbeit" auf den Sockel heben, eine "Politik garantierter Beschäftigung" - was bedeutet, daß jede arbeitslose Person eine Arbeitsstelle erhält und eine staatliche Unterstützung bekommt. Die Gefahren dieser unheiligen Allianz der Standpunkte sollten alle abschrecken, die an Freiheit glauben.

 

 Ein Recht auf Arbeit kann nur da existieren, wo es auch ein Recht auf Nicht-Arbeit gibt. Und  workfare - du bekommst eine kleine staatliche Unterstützung unter der Bedingung, daß du einen Job annimmst (oder eine Ausbildung) - würde Freiheit tendenziell abschaffen und den Trend zur Ausgrenzung und Ungleichheit noch verstärken.

 

 Die alternative Vision ist eine Gesellschaft mit einem garantierten Grundeinkommen als wichtiger Komponente für eine Politik, die soziale Reintegration fördert, Umverteilung und autonome Kreativität unterstützt, Experimente mit der Arbeit, Effektivität und Flexibilität in relativer Einkommenssicherheit einfacher macht. Weit davon entfernt, die Abhängigkeit vom Staat zu vergrößern, verringert das Grundeinkommen die Abhängigkeit der Armen von einem schlecht funktionierenden Arbeitsmarkt. Und es verhindert, daß die Arbeitslosen in einem System steckenbleiben, das mehr und mehr reguliert und anprangert. Es ist kein utopischer Traum; die politische Herausforderung besteht darin, eine breite Koalition zu schaffen. In der letzten Dekade des zwanzigsten Jahrhunderts könnte das möglich werden.