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Text aus:
DIE ZEIT Nr.
19 vom 2.5.1986
Seite
40
In der
Diskussion um ein garantiertes Mindesteinkommen für jeden Bundesbürger ergreift
Wolf-Dieter Hasenclever von den Grünen das Wort. Seine These: Es gibt ein
soziales Bürgerrecht, das der einzelne der Gemeinschaft gegenüber geltend
machen kann.
Wolf-Dieter
Hasenclever, Studiendirektor, war von 1980 bis 1984 Sprecher der Gruppe Grüne
im Landtag von Baden-Württemberg. Vom 1. Juli an leitet er das
Landerziehungsheim Marienau in Niedersachsen.
Ein Weg ins
Schlaraffenland?
Das
Grundeinkommen für jeden Bürger könnte ein Schritt zur sozialen Freiheit sein
Von
Wolf-Dieter Hasenclever
Ralf
Dahrendorf hat die Frage gestellt: „Gehen wir in eine Zeit, in der die
Mehrheitsklasse der Besitzenden immer brutaler ihren Status verteidigt - oder
öffnen wir uns erneut für die Bürgerrechtsgesellschaft, die allen Freiheit
verspricht?“
In der Tat geht es bei der Diskussion um ein
Grundeinkommen, auf das jeder Bürger ohne Ansehen seiner Person, ohne soziale
Nachweise, ohne eigene vorhergegangene Zwangsabgaben oder
Versicherungszahlungen Anspruch haben soll, um eine neue Dimension von
Freiheit. Historisch ist die Idee einer materiellen Erweiterung des
Bürgerrechtes alles andere als neu. Sir Francis Bacon etwa, englischer
Philosoph und zeitweise Lordkanzler des Königreiches, ging in seinem
Zukunftsentwurf ,Nova Atlantis' (1627) von einem staatlich gewährten
Bürgereinkommen aus.
Ähnliches findet sich bei einigen Autoren
schon früher, so bei Thomas Morus. Es verwundert nicht, daß die utopischen
Sozialisten im Frankreich des 19. Jahrhunderts diesen Gedanken wieder
aufnahmen. Karl Marx sah die ideale kommunistische Gesellschaft, die „freie
Assoziation freier Produzenten“ unter Maßgabe einer Güterverteilung auf der
Grundlage „jedem nach seinen Bedürfnissen“.
Seit dieser Zeit blieb die Diskussion um ein
gesellschaftlich garantiertes Grundeinkommen zumindest in theoretischen Zirkeln
lebendig - von Rudolf Steiner (aus der Sicht der Anthroposophie) über Josef
Popper-Lynkeus („Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage“) bis
zu Milton Friedman und der schwedischen „Alva-Myrdal-Report“-Kommission reicht
der Kreis derjenigen, die sich daran beteiligten.
An politischer Relevanz in der Bundesrepublik
hat der Gedanke des Grundeinkommens in jüngster Zeit gewonnen: Bei Kurt
Biedenkopf und Meinhard Miegel findet sich die Forderung nach einer
garantierten Mindestrente, ebenso (allerdings wieder zurückgenommen) bei Martin
Bangemann. Die Grünen im Bundestag haben eine Wissenschaftlergruppierung mit
einem Gutachten zur Frage des Grundeinkommens beauftragt. Bei Grünen wie bei
Sozialdemokraten wurden grundlegende Anhebungen der Sozialhilfesätze gefordert,
die ja de facto Elemente einer materiellen Grundsicherung darstellen.
Im Mai wird ein Buch mit dem Titel „Das
garantierte Grundeinkommen“ als Fischer-Taschenbuch erscheinen. Als Herausgeber
zeichnen verantwortlich: Michael Opielka, sozialpolitischer Mitarbeiter der
Bundestags-Grünen, und Georg Vobruba, Sozialwissenschaftler am
Wissenschaftszentrum Berlin. Die Beiträge werden das Thema zum Teil kontrovers
beleuchten. Das Konzept des Buches und die Autorenliste lassen eine äußerst interessante
Auseinandersetzung auch um Praxismodelle, vor allem aus dem
grün-links-sozialdemokratischen Spektrum erwarten.
Die Debatte um das Grundeinkommen ist vor
allem deshalb so schwer zu durchschauen, weil sich an ihr die unterschiedlichen
politischen Positionen zu verwischen scheinen. Befürworter dieser Konzeption
finden sich, zumindest in Ansätzen, unter den Anhängern verschiedenster
politischer Lager: von den Konservativen über die Liberalen und
Sozialdemokraten bis zu den Alternativen. Um so notwendiger ist die Frage,
welche Vorstellungen einer künftigen Gesellschaft, welche politischen
Grundkonzeptionen eigentlich hinter den jeweiligen Position stecken. Allen
(tendenziellen) Befürworten scheint folgender Gedanke gemeinsam:
Mehr
Reichtum, weniger Arbeit
In den kommenden Jahren ist mit einem
weiteren Anstieg der Produktivität zu rechnen. Dieser Anstieg wird vor allem im
Produktionssektor stattfinden, jedoch auch zunehmend Teile des
Dienstleistungsbereiches umfassen. Zugleich kann die Nachfrage nicht in
gleichem Umfang Schritt halten. Dies bedeutet, daß die Menge der insgesamt
benötigten Güter und Dienstleistungen mit noch weniger Arbeit produziert wird
als bisher.
Da Kaufkraft bei uns nach wie vor aber in der
Regel an das Einkommen aus Arbeit angeknüpft ist, führt dies bei einer
zunehmenden Vergrößerung der Zahl derjenigen, die aus irgendwelchen Gründen im
Produktionsprozeß keinen Platz mehr finden können oder finden wollen, zu
verschlechterten sozialen Bedingungen. So erscheint es sowohl aus Gründen
gesellschaftlicher Vernunft als auch aus Gründen sozialer Gerechtigkeit
angemessen, eine zumindest tendenzielle Abkoppelung von Arbeitsleistung und
Einkommen vorzuschlagen. Die Vorstellungen reichen hier von einer unabhängig
von Beitragsleistungen garantierten Grundrente bis zu einem „Bürgergehalt“
deutlich oberhalb der jetzigen Sozialhilfegrenzen.
Ein gängiger Einwand gegen diese Auffassung
vor allem innerhalb des grünen Lagers ist folgender: Es sei zwar richtig, daß
die Fortschreibung des derzeitigen Trends zu einer enormen Anhäufung
gesellschaftlichen Reichtums mit immer weniger Arbeit führe. Hierbei werde
jedoch übersehen, daß in Zukunft ein immer mehr steigender Anteil von Arbeit im
Bereich der ökologischen Sicherung unseres Lebensraumes zu leisten sei. Aus
diesem Grunde gehe es in Zukunft nicht so sehr um die Verteilung eines von
Lohnarbeit entkoppelten Einkommens, sondern um eine Förderung der für
gesellschaftlich notwendig erachteten Bereiche, etwa auch durch
Subventionierung der dort anfallenden Löhne.
Ein anderer Einwand, vor allem von Seiten der
Sozialdemokratie, geht davon aus, daß es angesichts der geschilderten
gewaltigen Steigerung der Produktivkräfte in erster Linie darauf ankomme, die
Arbeit selbst gerechter zu verteilen, bei gleichzeitig mindestens entsprechend
dem Produktivitätsfortschritt ansteigenden Löhnen.
Man könnte an dieser Stelle die Einwände
vertiefen oder ihnen zu entgegnen versuchen. Mir geht es zunächst aber um etwas
völlig anderes: Ist es nicht tatsächlich so, daß heute, angesichts der immer
engeren wirtschaftlichen Verflechtungen und der Tatsache, daß jeder Mensch in
irgendeiner Form auch in seiner wirtschaftlichen Existenz von den Leistungen
sehr vieler anderer Menschen abhängig ist, der jeweilige individuelle Beitrag zum
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohl nicht ermittelt werden kann? Und
baut unsere Wirtschaft nicht immer stärker auf gemeinschaftlichen,
„kollektiven“ Leistungen auf? Und schließlich - ist die gewaltige Verschiebung
der Wertschöpfung weg von der Arbeit und hin zum Kapital (das wiederum die
kumulierte Leistung der Vergangenheit darstellt) nicht ein wirklicher
historischer Einschnitt?
So gesehen kann die Arbeit des einzelnen
allein heute zumindest nicht mehr den ausschließlichen Maßstab für die Zuteilung
von Einkommen bilden. Es wird deutlich, daß es nunmehr einen moralischen
Anspruch derjenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - am Arbeitsprozeß
nicht teilnehmen, auf die Zahlung eines Transfereinkommens gibt. Aus der
Situation von Arbeit und Kapital heute folgt nach meiner Ansicht zwingend die
Formulierung eines sozialen Bürgerrechtes: Das Recht auf Einkommen.
Sozialhilfe
unter der Armutsgrenze
Es ist vielleicht erwähnenswert, daß die
Kommission der EG bereits 1983 für alle EG-Bürger einen gesetzlichen Anspruch
für alle oberhalb der Armutsgrenze gefordert hat. Auf die großen sozialen
Gefahren, die beispielsweise in Großbritannien wegen der Abkehr von diesem
Prinzip und der Neukonstitution des alten „Armenrechtes“ drohen, hat Ralf
Dahrendorf hingewiesen. Wenn man dem Grundsatz eines Rechtes auf Einkommen
oberhalb der Armutsgrenze zustimmt, so ist dies heute in bezug auf die
Betroffenen in zwei Lebensabschnitten innerhalb der Bevölkerung und bei
Sozialpolitikern relativ problemlos zu vertreten: Für die Kindheit und
Ausbildungszeit - die Zeit des Noch-nicht-Arbeitens - und die Zeit des Alters -
die Zeit des Nichtmehr-Arbeitens.
Schwierig und oftmals erregt wird die
Diskussion dann, wenn es um ein Einkommensrecht auch für die Zeit der Arbeitsfähigkeit
geht. Sehr tief ist der Grundsatz des „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht
essen“ verankert. Das Prinzip der Arbeitslosigkeitsversicherung wird zwar
gebilligt, es rechtfertigt sich jedoch aus vorher Geleistetem.
Zwar möchte niemand, daß „in unserem Land
jemand verhungert“, aber diejenigen, die lange arbeitslos sind oder diejenigen,
die nicht arbeiten können (sei es aus psychischen oder sonstigen Gründen, etwa
sitzengelassene, alleinerziehende Frauen), sollen ruhig auf den ständigen Gang
zum Sozialamt angewiesen sein. Wie diskriminierend zum Beispiel der Rückgriff
des Amtes auf das Portemonnaie der Eltern längst erwachsener Kinder ist, ist
vielen gar nicht bewußt. Und nicht allgemein bewußt ist auch, daß die
Sozialhilfe in der Bundesrepublik heute nach Ansicht fast aller Fachleute
erheblich unter der Armutsgrenze liegt.
Ein garantiertes Einkommen, das auch
denjenigen gezahlt werden würde, die einfach keine Lust zur Lohnarbeit haben,
also nach gängiger Anschauung einfach faul sind, würde nach Auffassung der
weitaus meisten Menschen dazu führen, daß Drückebergerei belohnt würde. Und
dies will man nicht, sei es aus Sorge, daß notwendige Arbeiten in Zukunft nicht
mehr getan würden, sei es aus verborgenem Neid und geheimer Sehnsucht nach
Befreiung vom Arbeitszwang, dem man selbst andererseits nicht entrinnen kann.
Und oft wird die Sorge geäußert, daß bei
Zahlung eines einigermaßen auskömmlichen Grundeinkommens eine Zweiteilung der
Gesellschaft auftreten wird: Zum einen in die Klasse derjenigen, die qualifizierte
Arbeitsplätze haben, die über ihre Arbeitsleistung zum wirtschaftlichen Erhalt
der Gesellschaft beitragen und die über die Arbeit, die sie leisten, Einfluß
ausüben. Zum anderen in die Klasse derjenigen, die als Kostgänger der übrigen
eine halbparasitäre Existenz führen, und denen über kurz oder lang dann auch
die Mitwirkung an der Gestaltung der Gesellschaft beschnitten werden könnte.
Die Befürchtung etwa, die vor allem aus gewerkschaftlichen Kreisen zu hören
ist, daß nämlich ein Mindesteinkommen zu einer von der Kapitalseite gewünschten
Brachlegung von Arbeitskraft führen könnte, die andererseits wesentliche
Bedürfnisse des Menschen nach sinnvollen, nützlichen und zielgerichteten
Tätigkeiten verletzen würde, ist nicht von der Hand zu weisen.
Durch alle, im einzelnen noch so berechtigten
Einwände aber wird die oben getroffene Feststellung nicht berührt, daß es heute
auf Grund der historischen Situation ein soziales Bürgerrecht auf Einkommen
gibt.
Aus alternativer Sicht wäre eine Befreiung
vom Zwang zur Lohnarbeit aus verschiedenen Gründen segensreich. Einerseits
würden die Möglichkeiten zur kulturellen Selbstbestimmung des einzelnen
erheblich gesteigert. Die Möglichkeiten, „sich selbst“ zu verwirklichen, wären
in der Tat nicht mehr durch Zeit sondern nur noch durch die Höhe des staatlich
gewährten Grundlohnes begrenzt. Andererseits könnten Unternehmensgründungen
aller Art durch diesen Grundlohn stark erleichtert werden. Gerade im
sogenannten alternativen Sektor ist es zur Zeit schon sehr oft so, daß viele
Tätigkeiten nur deshalb ausgeübt werden können, weil entweder die Sozialhilfe,
ein Einkommen aus früher erworbenen Ansprüchen gegen die Bundesanstalt für
Arbeit oder Unterstützung der Eltern oder der Ehegatten vorhanden sind. Auch
freiwillige Aktivitäten im sozialen Bereich - von der selbstverwalteten
Kindergruppe bis zur Betreuung eines Wohnbezirkstreffs - ließen sich mit Hilfe
einer Grundeinkommengarantie leichter organisieren. Insgesamt ließe sich eine
wahrscheinlich bedeutsame Stärkung des „eigenproduktiven Sektors“ erwarten,
sowohl im Sozialwesen als auch in der eigentlichen Produktion.
Sieht man also ein garantiertes
Grundeinkommen unter diesen Aspekten, wäre mit seiner Hilfe in der Tat eine
bedeutsame Erweiterung wirtschaftlicher und sozialer Freiheitsräume möglich:
Eine Andeutung des „Reiches der Freiheit“, das ja schon Marx in seiner
Definition aus Tätigkeiten bestehen sah, „die sich Selbstzweck sind“. Hierunter
sind idealerweise Tätigkeiten gegenseitiger nachbarschaftlicher Hilfe ebenso zu
verstehen wie künstlerische Projekte und der ganze oben genannte
eigenproduktive Sektor, aber auch die Erziehung der eigenen Kinder.
Gegen diese Vision läßt sich einwenden, daß
unter den Bedingungen der heutigen Medien- und Konsumgesellschaft aus dem
„Reich der Freiheit“ leicht ein „Reich der Faulheit“ werden kann, daß
diejenigen, die sich in den Genuß eines lohnarbeitsfreien Einkommens setzen, in
Gefahr geraten, zu einem Lumpenproletariat der Bier- und Videokonsumenten zu
werden.
Die Konzeption des Sozialeinkommens befindet
sich an dieser Stelle in einem zunächst kaum überbrückbar erscheinenden
Zwiespalt. Ein in ausreichender Höhe festgelegtes Grundeinkommen könnte dazu
verleiten, gar nicht mehr zu arbeiten, andererseits würde ein zu niedriger Satz
zur Annahme untergeordneter und nur geringfügig bezahlter Arbeit zwingen. Und
in einem solchen Falle würden nun alle massiven Bedenken der traditionellen
Linken zutreffen, die von einem solchen an der Armutsgrenze fixierten Grundlohn
eine weitere Spaltung der Arbeitswelt befürchten: in einen Kern qualifizierter,
dauerhaft beschäftigter, gewerkschaftlich organisierter Arbeiter und
Angestellter und ein fluktuierende Gruppe auf Zeit Beschäftigter, die als
Verfügungsmasse der jeweiligen Konjunktur dienen.
Von liberaler Seite aus wird man entgegnen
können, daß es, da eine solche Spaltung, wie das Beispiel Japan und USA zeigt,
unvermeidbar scheint, zumindest darauf ankäme, die sozialen Folgen erträglich
zu gestalten. Zweifellos ist eine solche Position erheblich ehrenwerter als der
Weg des Thatcherismus, der die wirkliche Armut derjenigen, die aus dem Kern des
Arbeitsmarktes hinausfallen, in Kauf nimmt.
Mit Recht wendet sich Ralf Dahrendorf massiv
gegen diese „Wiederbelebung des Armenrechtes“ und weist darauf hin, daß die
Konstituierung des Bürgerrechtes auf ein Mindesteinkommen dem „Zerbröseln des
Sozialkontraktes“ entgegenwirken kann. Notwendig erscheint mir aber, daß in
gleichen Ausmaß Strategien einer gerechteren Verteilung der Arbeit gefunden und
beschritten werden, die möglichst vielen die Beteiligung am Arbeitsleben
ermöglichen. Arbeitszeitverkürzungen, die Schaffung von mehr
Teilzeitarbeitsplätzen können auch durch die Absicherung eines Sozialeinkommens
nicht überflüssig gemacht werden.
Sollte die Diskussion um das Grundeinkommen
dazu dienen, den Abbau des Sozialstaates zu verschleiern, indem ein minimaler
Vergütungssatz als sozialer Fortschritt gepriesen würde, in Wahrheit aber zur
Ausverkaufsware des Sozialstaats in der Art eines billigen Jakob werden könnte,
so wäre sie verhängnisvoll.
An dieser Stelle muß die Frage nach der
Finanzierbarkeit eines garantierten Grundeinkommens gestellt werden. Hier
kursieren nun die unterschiedlichsten, zum Teil recht abenteuerlichen
Vorstellungen. Würde man – nach dem Modell der „Sozialdividende“ – jedem Bürger
zwischen 18 und 60 Jahren einen Anteil von 800 Mark ohne weitere Nachweise
auszahlen, dazu den Kindern und Jugendlichen die Hälfte und den Älteren je 1000
Mark, so würde sich ein Gesamtfinanzbedarf von rund 550 Milliarden Mark
ergeben.
Eine neue
Finanzquelle
Hinzu kämen die Ausgaben für die
Krankenfürsorge, entlastend würden sich Einsparungen bei der Pensions- und
Rentenzahlung, der Sozialhilfe und den Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit
auswirken. Nun ist das Modell eines an alle Bürger gleichmäßig und ohne
Bedürftigkeitsnachweise gezahlten Betrages zweifellos das Radikalste und von
der Finanzierung her Unrealistischste. Es vermittelt dennoch einen gewissen
Einblick in die möglichen finanziellen Größenordnungen. Es macht zugleich
deutlich, daß eine totale Abkehr vom Bedürftigkeitsprinzip auch auf längere
Sicht nicht möglich sein dürfte.
Aber auch bei anderen Vorstellungen, zum
Beispiel der einer erweiterten Sozialhilfe, müssen über kurz oder lang neue
Finanzierungsquellen erschlossen werden. Da neue Finanzierungsquellen zur
Absicherung der Renten bereits in wenigen Jahren ohnehin unabwendbar werden,
ist dieses Thema derzeit sehr aktuell.
Nach den demographischen Daten wird sich das
Verhältnis der Erwerbstätigen zu den Nichterwerbstätigen bis zur
Jahrtausendwende auf 50 zu 50 erniedrigen (zur Zeit beträgt es etwa 60/40). Um
die derzeitige Rentenhöhe zu halten, wäre bei einem Festhalten an der
lohnsummenbezogenen Rentenfinanzierung ein Satz von 30 Prozent auf die
Einkommen nur für die Rentensicherung zu erwarten. Ein solcher Beitragssatz
dürfte bei den dann Betroffenen auf wenig Verständnis stoßen, ganz abgesehen
von der arbeitsmarktpolitischen Dummheit, ausgerechnet die Löhne so hoch zu
belasten und damit den Arbeitseinsatz im Vergleich zum Maschineneinsatz weiter
zu benachteiligen.
Als neue Finanzierungsquelle bietet sich
demgegenüber eine Wertschöpfungssteuer an, die gerade auch die maschinell zum
Sozialprodukt erbrachten Leistungen berücksichtigt. Eine solche indirekte
Besteuerung trifft zwar schließlich auch den Verbraucher, wird aber als
gerechter empfunden werden, da sie an dem tatsächlichen Verbrauch an Gütern und
Dienstleistungen orientiert ist und den Faktor „Kapital“ innerhalb der Volkswirtschaft
stärker belastet. Dies ist schon deshalb gerechtfertigt, weil die an den
Kapitaleinsatz gekoppelte Wertschöpfung in Zukunft einen noch größeren Anteil
einnehmen wird. Dennoch bleibt festzuhalten: Auch der Einstieg in ein
garantiertes Grundeinkommen wird finanzpolitisch Probleme aufwerfen., die um so
größer sind, je umfassender die Garantie ausgesprochen wird.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus den
genannten Gesichtspunkten ziehen? Die Vielfalt der Argumente macht es nicht
leicht. Sie verwirrt geradezu, denn offensichtlich überkreuzen sich Positionen
der klassischen politischen Richtungen.
Ich möchte mich aber zu der grundsätzlichen
Auffassung der Existenz eines sozialen Bürgerrechtes bekennen, eines Rechtes,
das der einzelne gegenüber der Gemeinschaft geltend machen kann. Und ich meine,
daß es heute zunächst einmal darauf ankommt, dieses Recht durch die Gewährung
einer garantierten Mindestrente für Ältere und eines ausreichenden
Ausbildungsförderungssatzes für Jüngere zu gewährleisten.
Bei der Mindestrente, die für eine
alleinstehende Person etwa einen Umfang von 1000 Mark haben könnte, geht es in
der Finanzierung zunächst einmal um eine Zusammenfassung verschiedener Töpfe:
Die Kleinstrenten müssen ohnehin aus dem Sozialhilfefonds der kommunalen Träger
in Form von Miet- und Kleiderbeihilfen aufgestockt werden. Den betroffenen
älteren Menschen den Gang zum Sozialamt zu ersparen, ist für sich genommen
bereits politisch wünschenswert. Die Mehrkosten, die sich per saldo für dies
Fälle ergeben, wären vergleichsweise niedrig und können über eine geringe, an
die Wertschöpfung angekoppelte „Sozialsteuer“ finanziert werden.
Die falschen
Prioritäten
Ähnliche Überlegungen müßten für einen
angemessenen Satz der Ausbildungsförderung angestellt werden. Die jüngst
veröffentlichte Studie des Deutschen Studentenwerkes zur sozialen Situation der
Studenten verdeutlicht, wie sich die soziale Lage der 1,3 Millionen Studenten
verschlechtert hat. Sicher sind auch die Studienzeiten zu lang, aber unter dem
Aspekt des sozialen Bürgerrechtes ist hier Abhilfe geboten. Eine Grundbeihilfe,
die zumindest bei älteren Studenten schrittweise von der Subsidiarität, das
heißt vom Rückgriff in das Portemonnaie der Eltern absieht, wäre in ähnlicher
Weise wie die Grundrente finanzierbar – und sie würde bei einem Gesamtvolumen
von einigen 100 Millionen Mark durchaus tragbar sein.
Es bleibt die Frage nach einer Ausgestaltung
des Sozialhilferechtes, verbunden mit einer verbesserten Absicherung der
Langzeitarbeitslosen. Nach Paragraph 12 des Bundessozialhilfegesetzes ist durch
sie der „notwendige Lebensunterhalt“ zu gewährleisten. Bis 1981 wurde der
Regelsatz, der den Maßstab für den Mindestbedarf einer menschenwürdigen
Lebensführung darstellen soll, durch einen dynamisierten „Warenkorb“ bestimmt.
Diese Dynamisierung wurde seit 1982 im wesentlichen aufgehoben. Es ist völlig
verständlich, wenn die kommunalen Träger der Sozialhilfe gerade in einer Zeit,
in der der Bund die sozialen Folgelasten der herrschenden Dauerarbeitslosigkeit
in die Sozialhilfe hinein abschiebt, gegen die eigentlich dringend
erforderliche Verbesserung in diesem Bereich Stellung nehmen. Zur „Legitimität
demokratischer Gemeinwesen heute“ gehört aber, wie es Dahrendorf beschrieben
hat, daß sie in der Lage sind, allen ihren Bürgern einen Platz zu geben. Geht
man von der tatsächlichen Existenz eines sozialen Bürgerrechtes aus, so wird
die Marschrichtung für eine durchgreifende Verbesserung der Sozialhilfe
deutlich. Zunächst einmal wären Regelsätze merklich oberhalb der Armutsgrenze
festzusetzen, die gesetzlich dynamisiert sein müßten. Dies könnte, nach
holländischem Modell, mit einem bestimmten Prozentsatz der Einkommen geschehen
oder durch Festlegung eines vernünftig bemessenen Warenkorbes, der gesetzlich
wieder an den Preisindex anzukoppeln wäre.
Außerdem müßte im Sinne des Ausbaus des
sozialen Bürgerrechts eine Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip in auf- und
absteigender Linie durchgesetzt werden. Erwachsene ohne oder mit zu geringem
eigenen Einkommen bekommen einen rechtlichen Anspruch auf die erweiterte
Sozialhilfe, ohne daß ein Rückgriff auf das Einkommen oder den (zumeist ja
geringfügigen) Besitz von Eltern oder Kindern möglich ist. Das Einkommen der
Ehegatten oder Lebenspartner hingegen sollte nach wie vor angerechnet werden.
Um dem Bedürfnis des bereits erwähnten
alternativen oder eigenproduktiven Sektors entgegenzukommen, sollte man einen
zusätzlichen Verdienst – vielleicht bis zur Höhe der Lohnsteuerfreigrenze –
ohne Anrechnung auf die erweiterte Sozialhilfe ermöglichen. Dies so erweiterte
Modell der Sozialhilfe legt wie bisher den Bedürftigkeitsgedanken zugrunde,
würde aber bereits wesentliche Züge eines Bürgerrechts auf Einkommen tragen.
Und es hätte den Vorzug, im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten zu bleiben.
Natürlich wäre es notwendig, den genauen
Finanzbedarf verschiedener Modelle untersuchen zu lassen. Eine Entlastung der
kommunalen Träger und eine Verlagerung auch dieser Sozialaufwendungen auf eine
neu einzurichtende Wertschöpfungssteuer erscheint jedoch als ein richtiger Weg.
Öffnet ein garantiertes Grundeinkommen das
Tor ins Schlaraffenland? Sicherlich nicht, abgesehen davon wäre ein solches
Land für die Menschheit eine Schreckensvision. Nach wie vor muß das, was
verteilt werden soll, vorab erwirtschaftet werden. Vielleicht mehr denn je gibt
es eine Fülle von Arbeit, die getan werden müsste, die aber wegen der falsch
gesetzten Prioritäten in Politik und Wirtschaft bisher nicht getan wird. Die
Möglichkeiten der besseren und gerechteren Verteilung der Lohnarbeit auf viele
Schultern durch Teilzeitarbeit und Arbeitszeitverkürzungen sind bisher kaum
genutzt.
Jenseits solcher Überlegungen aber steht der
Gedanke der Solidarität unserer Gesellschaft mit denjenigen, die am Prozeß der
Lohnarbeit nicht (oder nicht mehr) teilnehmen können. Das Recht auf eine
menschenwürdige Existenz muß als wesentliches Bürgerrecht erkannt werden. Über
seine materielle Gestaltung, über die Methoden seiner Durchsetzung wird und muß
man sich noch heftig streiten.