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Text
aus:
Michael Opielka (Hrsg.)
Entwürfe zum Sozialstaat
Fischer Taschenbuch, Frankfurt 1985
ISBN 3-596-24090-5
»Da andererseits
die Vielzahl, der ein reichliches Minimum garantiert wird, nur wenig oder
überhaupt nicht arbeiten möchte, sollte ein zur Arbeit anreizendes
Industriesystem geschaffen und organisiert werden, das den Arbeitswillen des
Volkes trotz seines Wohlbefindens weiterhin wachhält.«
Charles
Fourier, Die falsche Industrie, Paris
1836
Schafft die Arbeitslosenunterstützung ab, die
gesetzlichen Pensionen, die Sozialhilfe, die Kinderzulagen, die
Steuerermäßigungen und Steuergutschriften für unterhaltsberechtigte Personen,
die Stipendien, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und den »zweiten
Arbeitsmarkt«, die staatliche Hilfe für Unternehmen, die in Schwierigkeiten
sind. Aber zahlt monatlich jedem Bürger eine ausreichende Summe zur
Befriedigung der Grundbedürfnisse einer alleinstehenden Person. Zahlt ihm diese
Summe, ob er arbeitet oder nicht, ob er arm ist oder reich, ob er allein wohnt
oder mit seiner Familie, in freier Ehe oder in Gemeinschaft, ob er in der
Vergangenheit gearbeitet hat oder nicht. Macht die Höhe dieser Summe nur vom
Alter und vom Grad der eventuellen Erwerbsunfähigkeit abhängig. Und finanziert
das Ganze durch eine progressive Steuer der anderen Einkommen jeder
Einzelperson. Schafft parallel dazu alle für den Arbeitsmarkt geltenden Regeln
ab sowie alle Gesetze, die einen Mindestlohn und eine Arbeitszeithöchstgrenze
vorschreiben. Beseitigt alle administrativen Hindernisse, die der
Teilzeitarbeit im Wege stehen. Senkt das Alter, bis zu dem Schulpflicht
besteht. Schafft die Verpflichtung ab, ab einem bestimmten Alter in Ruhestand
zu gehen.
Setzt das alles durch. Und beobachtet, was dann passiert.
Fragt euch insbesondere, was aus der Arbeit wird, aus dem Arbeitsinhalt, aus
den Arbeitstechniken und aus den menschlichen Beziehungen, die den Rahmen der Arbeit
bilden.
Überwindung der Armut, Abschaffung der
Arbeitslosigkeit
Was zuerst ins Auge fällt, ist die Tatsache, daß dem
Problem der Armut auf wirksamere Art entgegengetreten wird als vorher, zu
geringeren Realkosten für die Gesellschaft und psychologisch weniger belastend
für die einzelne Person. Wirksamer deshalb, weil mit dem Ersetzen der
zahlreichen, an bestimmte Voraussetzungen gebundenen Beihilfen durch ein von
keinen Voraussetzungen abhängiges Grundeinkommen dem Durcheinander der
behördlichen Erfordernisse ein Ende gesetzt wird, in dem die Ärmsten ständig
Gefahr laufen, sich zu verirren. Zu geringeren Realkosten für die Gesellschaft,
weil die Verwaltungskosten für den Transfer der umfangreicheren Mittel durch
den Staat (alle erhalten eine Beihilfe) in keinem Verhältnis zur Ersparnis
steht, die durch die drastische Reduzierung der komplizierten
Verwaltungsvorschriften erzielt wird (Wegfall der Arbeitsämter, der Verwaltung
für Pensionen, der Familienausgleichskassen, der sozialen Ermittlung zur Feststellung
des Anspruchs auf Zahlung eines Existenzminimums). Und schließlich ist die
psychologische Belastung der Einzelperson geringer, da der sozialen Verwaltung
das Recht auf Einsichtnahme in private Angelegenheiten zur Überprüfung der für
die Gewährung des Grundeinkommens erforderlichen Voraussetzungen entzogen wird.
Sie werden übrigens feststellen, daß der Begriff
Arbeitslosigkeit als solcher, so wie er bisher verstanden wurde, seinen Sinn
verloren hat. Die aktive Bevölkerung, mit der sie es zu tun haben, ist nicht
mehr in zwei sich genau unterscheidende Kategorien geteilt, von denen die eine,
die der Arbeitslosen, eine Entschädigung erhält, womit sie Aufnahme in die
Arbeitslosenstatistik findet und gleichzeitig den Empfängern der Entschädigung
das Recht entzieht, eine Lohnarbeit zu leisten. Jetzt wird es nur noch Menschen
geben, die alle das gleiche Grundeinkommen (je nach Alter variierend) erhalten
und außerdem auf sehr unterschiedlichem Niveau an einer entlohnten Arbeit
teilhaben, die besser als vorher aufgeteilt ist.
Warum besser aufgeteilt? Erstens, weil alle Hemmnisse,
die der Teilzeitarbeit entgegenstehen, aufgehoben sind: ob man einer
Ganztagsbeschäftigung nachgeht oder nicht, wird nicht mehr die Höhe der, wie
man es früher nannte, »Pension« oder des »Arbeitslosengeldes« beeinflussen.
Ferner, weil die Finanzierung der Gesamtsumme der zu transferierenden Mittel,
die größer ist als vorher, über eine progressive (die 40. Stunde wird höher
besteuert als die 20.) und eine personenbezogene (die Einkommen der Eheleute
werden nicht zusammen veranschlagt) Steuer vorgenommen wird, was für
diejenigen, die viel arbeiten, einen Anreiz darstellt, einen Teil ihres
Arbeitsplatzes abzutreten. Schließlich und vor allem, weil dadurch, daß das
Grundeinkommen an keine Voraussetzungen mehr gebunden ist, die »Falle« der
Arbeitslosigkeit wegfällt: Früher konnte es nämlich passieren, daß diejenigen,
die keine Arbeit hatten, dann aber eine Arbeit annahmen, deren Entlohnung die
Höhe des Arbeitslosengeldes (hinzugerechnet eventuelle zusätzliche
Familienbeihilfen für Arbeitslose und Arbeitsunkosten) nicht überschritt, zu
einem Satz besteuert wurden, der wegen des an Voraussetzungen gebundenen
Charakters der erhaltenen Beihilfen 100 Prozent übersteigen konnte. Heute
werden diejenigen, die eine gering bezahlte Arbeit finden, nicht mehr auf diese
Weise bestraft, und diejenigen, die glaubten, der »Falle« der Arbeitslosigkeit
nie mehr entrinnen zu können, werden eine Arbeit finden, die ihr Einkommen
erhöht, anstatt es zu verringern.
Rigorose Abnahme der unangenehmen Arbeit
Über die Verteilung der Arbeit und der Einkommen haben
wir gesprochen. Aber wie steht es mit der Natur der Arbeit selbst, ihrem Inhalt
und den Bedingungen, unter denen sie geleistet wird?
Zunächst ist festzustellen, daß eine der Auswirkungen ‑ und keineswegs die geringste ‑ der Einführung eines allgemeinen Grundeinkommens darin besteht, daß die Arbeit freiwillig wird. Natürlich war schon vorher niemand gesetzlich verpflichtet, zu arbeiten. Aber diese rein formelle Freiheit, nicht zu arbeiten, stellte nur für diejenigen eine echte Freiheit dar, die über genug Vermögen verfügten, das ihnen ein ausreichendes Einkommen sicherte. Den anderen bescherten die Leistungen des Wohlfahrtsstaates keine solche Freiheit. Die Arbeitslosenunterstützung wurde sowohl denjenigen versagt, die freiwillig ihren Arbeitsplatz aufgaben, als auch denen, die sich hartnäckig weigerten, einen der vom Arbeitsamt angebotenen Arbeitsplätze anzunehmen. Und ein bescheidenes Existenzminimum wurde nur in äußersten Notfällen denjenigen gewährt, denen kein Angehöriger helfen konnte, und zwar auf so demütigende Art, daß niemand es je anders als einen Notbehelf betrachtet hätte.
Mit der
Einführung des allgemeinen Grundeinkommens wird die Arbeit wirklich freiwillig.
Daraus folgt nicht notwendigerweise, daß das Gesamtvolumen der geleisteten
Arbeit im Gegensatz zu früher geringer ist (es darf nicht vergessen werden, daß
die »Falle« der Arbeitslosigkeit abgeschafft wurde). Aber daraus ergibt sich
zweifellos, daß die Arbeitsplätze, an denen eine besonders unangenehme,
langweilige, gefährliche, schwere und unbefriedigende Arbeit zu leisten ist,
nur noch dann Interessenten finden werden, wenn ihnen ein weitaus höherer Lohn
gezahlt wird als der, zu dem diejenigen, die keine andere Wahl hatten (außer
dem entwürdigenden Existenzminimum), bisher bereit waren, diese Arbeiten zu
verrichten. Auf lange Sicht bedeutet diese Tatsache natürlich, daß das
Gewinnstreben die Unternehmen dazu zwingen wird, die Qualität der Arbeit und
ihren Anreiz für die Arbeitnehmer weitaus mehr als in der Vergangenheit zu
berücksichtigen. Man wird sehr darum bemüht sein, alle unangenehmen
Arbeitsaufgaben zu automatisieren, soweit sie automatisiert werden können und
die Qualität derjenigen zu verbessern, die nicht automatisiert werden können.
Da jeder Arbeitnehmer die Wahl hat, seine Arbeit niederzulegen, weil er auch
ohne Arbeit seine Bedürfnisse und die seiner Familie befriedigen kann, muß der
Arbeitgeber, der ihn ohne wesentliche Lohnerhöhung behalten will, darüber
nachdenken, wie er die Aufgaben, die er vom Arbeitnehmer verlangt, anziehender,
befriedigender und weniger unangenehm macht. Allein das Bestreben, zu den
geringsten Kosten zu produzieren, erfordert, daß man stärker als vorher die Wünsche
der Arbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitsinhalts und seiner Organisation
berücksichtigt.
Die unangenehmen Arbeiten werden also abgeschafft. Übrig bleiben nur diejenigen, die weder abgeschafft noch verbessert werden können. Aber sie werden sehr gut bezahlt. Ohne von einer vorgefaßten Meinung über die Richtung der gewünschten Veränderung auszugehen, erweist sich die Freiwilligkeit der Arbeit als zwingendes Mittel, die Arbeit für den Arbeitnehmer interessanter, weniger unangenehm und attraktiver zu machen.
Aber das ist noch nicht alles. Um die Arbeit freiwillig
zu machen, kann man allein ein Mindesteinkommen garantieren, indem man
denjenigen Personen, deren eigene Einkommen dieses Mindestniveau nicht erreichen,
die zum Ausgleich der Differenz erforderliche Summe zahlt. Das allgemeine
Grundeinkommen hingegen besteht darin, daß man ohne Ausnahme allen eine Summe
zahlt, deren Höhe dem Mindesteinkommen gleichkommt. Zwischen diesen beiden
Systemen, diesen beiden Arten, die Arbeit freiwillig zu machen, besteht der
grundlegende Unterschied nicht etwa darin, daß das zweite aufgrund der
Tatsache, daß es auch an die Reichen verteilt, die Ungleichheiten weniger als
das erste reduzieren würde: da es einen größeren Umfang an Mitteln für den
Transfer erfordert und diese Transferierung der Mittel über eine progressive
Steuer finanziert wird, ist klar, daß die gleichmachende Wirkung größer sein
könnte als die des ersten Systems. Der grundlegende Unterschied besteht vielmehr
darin, daß das erste de facto mit 100 Prozent besteuert (und sogar mehr, wenn
die Tatsache, einen Arbeitsplatz zu haben, zusätzliche Kosten verursacht), bei
eigenen Einkommen, die unter dem garantierten Mindesteinkommen liegen, während
das zweite nur den niedrigsten Satz der progressiven Steuer anwendet.
Dieser Unterschied macht noch einen anderen wesentlichen
Aspekt der Verbesserung der Arbeitsqualität deutlich, der sich jetzt ergibt.
Das allgemeine Grundeinkommen führt nicht nur dazu, die Arbeit freiwillig zu
machen, was allerdings die unangenehmen Aufgaben verteuert. Durch die
Einführung des allgemeinen Grundeinkommens ist es nicht mehr unbedingt abwegig,
eine Arbeit anzunehmen, deren Bezahlung kaum höher oder sogar niedriger (und
zwar beträchtlich) liegt als das garantierte Mindesteinkommen. Natürlich ist
eine derartige Bezahlung nur annehmbar, wenn der entsprechende Arbeitsplatz
genügend andere Vorteile nicht materieller Art bietet: der Arbeitnehmer findet
ein persönliches Interesse an den Aufgaben, die es auszuführen gilt (z. B.
künstlerische Tätigkeiten), er nimmt besonderen Anteil an der Zweckbestimmung
der Produktion (soziale Aktionen etc.), er legt Wert auf die Beziehungen zu
anderen Arbeitnehmern etc.
Es ist also kein Zufall, wenn im Anschluß an die
Einführung des allgemeinen Grundeinkommens ein starkes Ansteigen alternativer
Unternehmen verschiedenster Art festzustellen ist. Eine ganze Reihe von
Unternehmen, die durch die Verpflichtung, hohe Löhne zahlen zu müssen, nicht
lebensfähig waren, können heute rentabel werden unter der Voraussetzung, daß
der nicht materielle Anreiz der Arbeitsplätze, die sie anbieten, groß genug
ist. Es läßt sich schwer voraussagen, wie und wohin der Arbeitsinhalt sich
entwickeln wird. Alles hängt davon ab, welche Dinge den Arbeitnehmern besonders
wichtig erscheinen. Wenn die Arbeitnehmer zum Beispiel keinen besonderen Wert
darauf legen, sich an den Entscheidungen des Unternehmens zu beteiligen, gäbe
es keinen Grund, mit der Verbreitung selbstverwalteter Kooperativen zu rechnen.
Wenn sie jedoch, wie man feststellen kann, sehr daran interessiert sind, werden
sie bereit sein, einen wesentlich geringeren Lohn in einem selbstverwalteten
Unternehmen zu akzeptieren als in einem, das keine Selbstverwaltung kennt, da
ihre Grundbedürfnisse ja in jedem Fall durch das allgemeine Grundeinkommen
abgedeckt sind. Die Selbstverwaltung wird daher systematisch gefördert, ohne
daß man deshalb in irgendeiner Weise auf eine festumrissene
Unterstützungspolitik der öffentlichen Hand zurückgreifen müßte, mit all ihren
Gefahren der Verzerrung, der Druckausübung, der Willkür, die eine solche Hilfe
mit sich bringen würde.
Die Neugliederung der Hausarbeit
Arbeit bedeutet allerdings nicht nur entlohnte Arbeit.
Wie steht es um die Hausarbeit im weitesten Sinne, die nicht nur die Arbeit im
Familienrahmen einschließt, sondern auch jede Art der Eigenproduktion, das
Studium, die Nachbarschaftshilfe, ehrenamtliche Tätigkeiten der
unterschiedlichsten Art? Als flexibles Verfahren zur Teilung der Lohnarbeit (entsprechend
den oben erwähnten Modalitäten) stellt natürlich die Einführung des allgemeinen
Grundeinkommens gleichzeitig ein Mittel zur Neuverteilung der Freizeit dar und
folglich auch der Hausarbeit. Insbesondere wird dadurch die enorme Masse an
»Pseudo-Freizeit« der Arbeitslosen freigesetzt, die oft in apathischer
Wartestellung verharren, weil sie sich in ihrem Wert herabgesetzt fühlen und
die Ungewißheit ihrer Zukunft sie bedrückt. Durch Umwandlung dieser
aufgezwungenen Freizeit in eine besser verteilte und selbstgewählte Freizeit
aufgrund der Einführung des allgemeinen Grundeinkommens kann diese weitaus
aktiver genutzt werden. Die Teilung der Gesellschaft in eine Kategorie von
Menschen, die keine Zeit haben, sich »eigenen« Dingen zuzuwenden, und eine zweite,
die sich nicht dazu aufraffen können, wird damit aufgehoben. Das allgemeine
Grundeinkommen wird es von nun an möglich machen, sich Zeit zu nehmen, wenn
einem der Sinn danach steht, sei es durch Teilzeitarbeit oder durch
Unterbrechung des Berufslebens, sei es, um sich seinen Kindern zu widmen oder
um sein Studium wiederaufzunehmen, sei es, um sich mit Herz und Seele einer
ehrenamtlichen Tätigkeit zu verschreiben oder um sich intensiv um seinen
Gemüsegarten zu kümmern.
Ferner wird die Einführung des allgemeinen Grundeinkommens auch wesentlich die Machtpositionen verändern, die in der häuslichen Sphäre vorherrschend waren. Der Besitz der Kaufkraft war in der Tat - und ist es immer noch - ein ausschlaggebendes Element für die eigentliche Machtstellung in der Familie. Wenn die Frauen oft eine untergeordnete Stellung im Haushalt einnahmen, dann deshalb, weil sie im Durchschnitt sehr viel weniger als die Männer dazu beitrugen, die Familie zu »ernähren«, die »Brötchen zu verdienen«, d. h., sie trugen im Haushalt viel weniger zur Schaffung einer finanziellen Kaufkraft bei, die notwendig ist, um Bedürfnisse zu befriedigen.
Durch
die Einführung des allgemeinen Grundeinkommens wurde diese Situation
grundlegend geändert. Und zwar nicht nur dadurch, dass dieses Grundeinkommen,
finanziert durch eine individualisierte Einkommensbesteuerung der natürlichen
Personen und begleitet von Maßnahmen zur Erleichterung der Teilzeitarbeit, die
Umverteilung der Lohnarbeit zugunsten der Frauen fördert, sondern vor allem
dadurch, daß es den Anteil der Lohnarbeit an den Nettoeinkommen der Haushalte
beträchtlich herabsetzt: Durch die Anhebung des Steuersatzes und obwohl auch
der »Brötchenverdiener« ebenfalls die allgemeine Beihilfe erhält, wird sein
Anteil erheblich reduziert, während im Verhältnis dazu die den anderen »nicht
arbeitenden« (oder »wenig arbeitenden«) Haushaltsmitgliedern rechtmäßig
zustehenden Anteile wesentlich erhöht werden.
Auch ohne die Schaffung eines »Lohnes« für Hausfrauen
oder Hausmänner werden die Kräfteverhältnisse, die für die Verteilung der
Hausarbeit bestimmend sind (»Wer macht den Abwasch?«), desgleichen für die Wahl
der technischen Hilfsmittel (»Soll ein Schnellkochtopf gekauft werden?«) oder
für die Entscheidung, ob ein gemeinsames Leben fortgeführt werden soll,
grundlegend verändert. Aus biologischen und kulturellen Gründen wird allerdings
die durchschnittliche Beteiligung der Frauen an der Lohnarbeit noch lange Zeit
geringer sein als die der Männer. Und (schließlich aus denselben Gründen) wird
es zweifellos vernünftiger sein, im Prinzip der Mutter das Grundeinkommen
auszuzahlen, die von Rechts wegen ihren Kindern unter (zum Beispiel) 14 Jahren
zustehen. Die Einführung des allgemeinen Grundeinkommens wird sich in der
Praxis letzten Endes dahin auswirken, daß eine starke und dauerhafte
Machtverschiebung zugunsten der Frauen stattfindet.
Warum
nicht eher?
Sie haben alles beobachtet. Sie haben gesehen, daß Sie
mit der Einführung eines allgemeinen Grundeinkommens nicht nur das abgeschafft
haben, was man »Arbeitslosigkeit« und »Armut« nannte, sondern daß auch die
Qualität der Lohnarbeit enorm verbessert wurde, d. h. ihre eigentliche
Anziehungskraft in den Augen der Arbeitnehmer. Schließlich haben Sie gesehen,
daß die Kräfteverhältnisse, nach denen sich die nicht entlohnte Arbeit
richtete, gerechter gestaltet wurden. Aber warum, so werden Sie sich fragen,
hat man an all das nicht eher gedacht?
Hauptsächlich wohl deshalb, weil es noch gar nicht so
lange her ist, daß in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften die
sachlichen Voraussetzungen für den Erfolg einer solchen Neuordnung vorhanden
sind. Der Erfolg setzt nämlich nicht nur voraus, daß die Fortschritte der
Produktivität ausreichend sind, um eine massive, technologisch bedingte
Arbeitslosigkeit zu erzeugen ohne gleichzeitig den Fortbestand eines
durchschnittlich angenehmen Lebensstandards in Frage zu stellen. Er erfordert
außerdem, daß die physischen und menschlichen Grenzen, an die das
wirtschaftliche Wachstum stößt, es als abwegig erscheinen lassen, die auf diese
Weise freigesetzten Arbeitskräfte durch einen »Aufschwung« wieder zum Einsatz
bringen zu wollen. Nur unter diesen Voraussetzungen ist das, was früher eine
Utopie von Träumern war, zu einer realen Möglichkeit und schließlich zu einer
zwingenden Notwendigkeit geworden.
Hinzu kommt, daß das, was dringend notwendig geworden
ist, sich nicht von heute auf morgen in Form von politischen Entscheidungen
durchsetzen konnte. Die Neuordnung mußte zuerst vorgeschlagen, kritisiert, mit
anderen Vorschlägen verglichen, verändert und verteidigt werden. Sie mußte zum
Gegenstand einer großen Debatte werden, die über die Kreise der Technokraten
und die Klubs der Schönredner hinausgeht. Ihre Kohärenz mußte vorab anhand der
besten technischen Mittel und der zuverlässigsten zur Verfügung stehenden Daten
geprüft werden. Erst dann waren politische Kräfte bereit, ihr
Gesellschaftsprojekt an diesen Vorschlag anzupassen. Erst dann war es möglich,
über ein kohärentes Bündel kurzfristiger Maßnahmen nachzudenken.
Diese Ideen, die vorher nur fromme Wünsche waren, sind
dann durch Kampagnen und Kämpfe, Siege und Kompromisse nach und nach zu
Tatsachen geworden. Die Rentensysteme und Familienbeihilfen wurden auf einen
Nenner gebracht und individualisiert. Die Arbeitslosenunterstützung wurde
vereinheitlicht und so angepaßt, daß sie mit den Familienbeihilfen, den
Stipendien für Jugendliche und den Renten für ältere Menschen zusammengelegt
wurde. Alles zusammen wurde stufenweise zu einem stark aufgewerteten
Existenzminimum verschmolzen. Dann erschien allen der Übergang zu einem an
keine Voraussetzungen gebundenen Grundeinkommenssystem als unvermeidbar.
Verbunden mit einer stufenweisen Entregulierung des Arbeitsmarktes wurde das
allgemeine Grundeinkommen eingeführt, dessen Auswirkungen wir dargelegt haben.
Wie die allgemeine Wahl stellt auch das allgemeine
Grundeinkommen kein Allheilmittel dar. Aber es stellt, wie die Wahl, eine nicht
mehr rückgängig zu machende Errungenschaft dar, die nicht mehr wegzudenken ist.
Aus dem Französischen übersetzt von Michael
Opielka