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Manfred Füllsack

 

Leben ohne zu arbeiten?

 

Zur Sozialtheorie des Grundeinkommens

Berlin, Avinus-Verlag, 2002

ISBN 3-930064-07-3

 

 

 

1. Was ist das, Arbeit?

 

Beginnen wir mit der Feststellung, dass es viel Arbeit ist, ein Buch über ein Leben ohne Arbeit zu schreiben. Wir bedienen damit nicht nur die Eitelkeit des Autors, wir begeben uns, was wichtiger ist, auch unmittelbar in medias res unseres Vorhabens. Wenn nämlich auch ein Leben ohne zu arbeiten, oder zumindest das Nachdenken darüber, Arbeit bereiten kann, so bedeutet dies, dass wir unsere Vorstellungen von Arbeit genauer klären müssen, so wir nicht von vornherein riskieren wollen, missverstanden zu werden. Mit der obigen Feststellung ist also eine Frage angesprochen, die für unsere folgenden Überlegungen von größter Bedeutung sein wird und der deshalb auch der erste Teil dieses Buches gewidmet ist: die Frage nämlich, was denn das überhaupt ist, was wir hier unter Arbeit verstehen wollen.

Sicher, wir haben alle eine mehr oder weniger konkrete Vorstellung von Arbeit und nicht wenige von uns werden diesbezüglich wohl zunächst einmal an diejenigen Tätigkeiten denken, mit denen wir unseren Lebensunterhalt verdienen. Auch der Titel dieses Buches zielt natürlich, wie eingangs erwähnt, auf Lohnarbeit ab. Trotzdem wollen wir hier im Folgenden versuchen, eine grundsätzlichere Definition für Arbeit zu finden.

Bleiben wir dazu zunächst bei unseren Alltagsvorstellungen. Ihnen gemäß umfasst Arbeit also diejenigen Aktivitäten, für die wir, weil wir sie offensichtlich nicht freiwillig tun, entlohnt werden. Arbeit wäre demnach zum Beispiel das, was viele von uns zwischen, sagen wir, 9 und 17 Uhr an einem speziell dafür vorgesehenen Arbeitsplatz, etwa in einem Büro oder in einer Fabrikhalle für Geld tun. Das Schreiben dieses Buches, aber auch etwa das Abwaschen des schmutzigen Geschirrs nach dem Essen, oder die Erziehung und das Zubettbringen der Kinder, das Staubsaugen, das Wäschewaschen und vieles mehr gehört nicht zu diesen Tätigkeiten. All das wäre nach dieser Definition keine Arbeit, einfach weil diese Tätigkeiten nicht entlohnt werden. Da ein großer Teil dieser Arbeiten traditionell von Frauen verrichtet werden, müssten wir demgemäß sagen, dass Hausfrauen nicht arbeiten, eine Behauptung, die von den Betroffenen zurecht wohl sofort mit Empörung zurückgewiesen würde. Wenn wir also nicht Gefahr laufen wollen, die Tätigkeit ganzer Gesellschaftsteile aus unserer Definition auszuschließen, müssen wir unseren Begriff von Arbeit genauer fassen. Das, wofür in unserer Gesellschaft Lohn bezahlt wird, umfasst offensichtlich noch nicht alle Arten von Arbeit.

Nun könnten wir freilich auch versucht sein, Arbeit als Tätigkeit zu definieren, die zwar nicht tatsächlich entlohnt werden muss, die aber immerhin entlohnt werden könnte, so sich jemand findet, der dafür bezahlt. Wir könnten zum Beispiel festlegen, dass jede Tätigkeit Arbeit genannt wird, die vollständig von jemandem, der nicht unserem Haushalt angehört, gegen Lohn verrichtet werden kann, auch wenn diese Tätigkeit für gewöhnlich in unserer Gesellschaft nicht entlohnt wird. (3) Geschirr- oder Wäschewaschen, Staubsaugen, Kochen und eine Reihe weiterer typischer Haushaltsarbeiten wären damit klar als Arbeit definiert. Das Schreiben von Büchern wie diesem, von Büchern also, die kommerziell aller Voraussicht nach nicht zu den Erfolgreichsten zählen werden, allerdings nicht. Und auch etwa das Zubettbringen von Kindern lässt sich nur sehr bedingt ohne Qualitätsverlust auf außenstehende Dienstnehmer auslagern. Kinder würden entweder schnell protestieren oder sich auf lange Sicht wohl nicht ganz der Vorstellung der Mutter entsprechend entwickeln, würden sie beständig von lohnarbeitenden Leihmüttern zu Bett gebracht werden. Auch Tätigkeiten wie Lernen oder, um der Deutlichkeit willen ein Extrem anzuführen, das Gebären von Kindern lassen sich nicht ohne Qualitätsverlust gegen Bezahlung von Lohnarbeitern verrichten. Trotzdem würden manche von uns diese Tätigkeiten wohl doch als recht mühevolle Arbeit bezeichnen.

Wir müssen unsere Definition von Arbeit also noch einmal umstellen. Eine Möglichkeit dazu bietet sich vielleicht, wenn wir die Frage der Entlohnung zunächst einmal hintanstellen und statt dessen den Zweck einer Tätigkeit ins Auge fassen. Klassisch wird Arbeit von vielen Ökonomen zum Beispiel als Tätigkeit betrachtet, die die Herstellung von Gütern, die für den Arbeitenden oder für dessen Gesellschaft von Wert sind, zum Zweck hat. Selbst wenn man dabei den Begriff der Produktion sehr weit fasst und darunter etwa auch das Jagen von Wild, das Sammeln von Früchten, das Schreiben von Büchern etc. versteht, so wird damit doch der große und in der Moderne immer wichtiger werdende Bereich der Dienstleistungen ausgeschlossen. Die Pflege bedürftiger Mitmenschen zum Beispiel lässt sich nicht unter dem Produktionsparadigma erfassen.

Ein wenig weiter könnten wir kommen, wenn wir Zweck durch Intentionalität ersetzen und damit jene Tätigkeiten als Arbeit bezeichnen, die in der Intention unternommen werden, Güter oder Dienste für sich oder andere Personen zu schaffen. (4) Altenpflege wäre damit klar als Arbeit bestimmt. Im Hinblick auf unsere Eingangsfeststellung müssten wir allerdings die Frage klären, ob das Schreiben dieses Buches ein Gut oder einen Dienst darstellt und für wen dieses Gut geschaffen beziehungsweise dieser Dienst geleistet worden ist. Eine Frage, die auch der Autor des Buches nicht so leicht beantworten könnte.

Was für ihn allerdings unzweifelhaft feststeht, ist der Umstand, dass dem vorliegenden Buch ein Problem zugrunde liegt, das Problem nämlich, ob ein Leben ohne zu arbeiten in unserer Gesellschaft sinnvoll, denkbar und in absehbarer Zeit auch realisierbar sein kann. Wenn nun das Schreiben dieses Buches den Versuch darstellt, ein Problem zu lösen, so liegt es aus dieser Perspektive nahe, die menschliche Arbeit ganz allgemein als den Versuch, Probleme zu lösen, zu betrachten. Auch wenn es sich dabei nicht wirklich um eine Definition im strengen Sinn, sondern eher um eine Kategorisierung handelt, schließen wir damit zumindest keine der bisher angesprochenen Tätigkeiten von vornherein aus. Sowohl jene Aktivitäten, die ganz simpel der Erhaltung unserer Art und unserer Gattung, unserer Reproduktion also dienen, wie auch die, die dann in der Gesellschaft entlohnt werden, oder die, die zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivität unternommen werden, sowie die, die der Erziehung, der Ausbildung, oder der Pflege von Mitmenschen oder auch der Klärung gesellschaftstheoretischer Fragen dienen, können unter dieser Vorstellung erfasst werden. (5)

 

 

 

 

(3) Es handelt sich dabei um das so genannte "Third person criterion", das Margaret Reid in ihrem Buch The Economics of Household Production 1934 vorgeschlagen hat.

 

(4) Dies schlägt zum Beispiel Ingrid Robeyns in ihrer Schrift The Political Economy of Non-Market Work (2000) vor.

 

(5) Wage können wir uns diesbezüglich an der Allgemeinheit des Arbeitsbegriffs von Karl Marx orientieren, der stets betont hat, dass auch "die Nebelbildungen im Gehirn der Menschen", also etwa auch Dinge wie "Moral, Religion, Metaphysik und sonstige Ideologie und ihnen entsprechende Bewußtseinsformen" im Zuge der materiellen Produktion, sprich im Zuge der Arbeit entwickelt und verändert werden. Vgl.: Marx 1978/83 EB I: 349.