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Inhaltsverzeichnis von „Das garantierte Grundeinkommen“, 1986

 


 

 

 

Peter Glotz:

 

Freiwillige Arbeitslosigkeit?

 

Zur neueren Diskussion um das "garantierte Grundeinkommen" (*)

 

(*) Erweiterte und veränderte Fassung einer gleichnamigen Rezension in "Pflasterstrand" 197, November 1984

 

 

Ein Gespenst geht um in Europa: die "systemsprengende" Idee eines garantierten Grundeinkommens. Geistiger Vater dieses Gespenstes ist Milton Friedman, der Papst des Monetarismus. Seine wesentlichen Verfechter in Deutschland waren bisher Wolfram Engels (CDU, Mitglied des neoliberalen "Kronberger Kreises", Herausgeber der "Wirtschaftswoche") und Ralf Dahrendorf (Begründer des transzendentalen Liberalismus). Neuerdings hat die Idee ganz andere, möglicherweise aber auch jenen nicht ganz wesensfremde Befürworter: alternativ orientierte Sozialwissenschaftler wie Claus Offe oder Georg Vobruba, grüne Sozialpolitiker wie Michael Opielka und speziell die "ökolibertäre" Denkrichtung dieser Partei (Thomas Schmid u. a.) (1). In der grünen Partei hat die Forderung nach einem garantierten Grundeinkommen weitgehend den Stellenwert einer sozialpolitischen Kernforderung; mit knapper Not und viel zu spät kam es 1984 überhaupt zu einer klaren Positionsnahme der Grünen im Konflikt um die 35-Stunden-Woche: unter anderem weil nämlich Arbeitszeitverkürzung und Grundeinkommen alternativ (!) diskutiert wurden.

Ich greife als erstes den Diskussionsband von Thomas Schmid (1984) und seinem Autorenkreis auf, weil er am meisten zugespitzt den angeblichen systemsprengenden Charakter jener Forderung formuliert und so am deutlichsten erkennen läßt, worum es eigentlich geht (Seitenzahlen im Text beziehen sich auf Beiträge in jenem Band). Der Band enthält sieben Aufsätze, von denen zwei (Gerhardt/Weber und Opielka) halbwegs konkrete Angaben über ein Mindesteinkommen enthalten - leider verbleiben beide im rein sozialpolitischen Bereich und blenden die ökonomischen, beschäftigungspolitischen Dimensionen fast gänzlich aus. Ein Beitrag (Hanesch) plädiert umständlich, aber triftig gegen die Idee. Der Hauptakzent der Beiträge aber liegt auf politisch-ideologischem Feld; und da wird mit solch rhetorischem Aufwand zum letzten Gefecht geblasen, daß dem erschütterten Leser wahrhaft die Zeitenwende vor Augen steht. Nicht nur, daß angesichts des Instruments Mindesteinkommen Rettung oder Abschaffung des Sozialstaats locker als Optionen diskutiert werden (Opielka), nicht nur, daß die Lohnarbeit abgeschafft und die Vergesellschaftung an die Leute zurückgegeben wird (12): Der Herausgeber Thomas Schmid fordert in einem funkelnden Einleitungsessay gleich den doppelten Goliath der "Großorganisationen" Kapital und big labour in die Schranken.

Und schon sinken sie beide hin: Die "Machthaber" würden, sagt er, unter Druck die Unterschrift unter das Mindesteinkommen nicht verweigern können und "sogar wissen, daß sie damit ihre eigene Abdankung (als work in progress) gegengezeichnet haben". Wie erringt man nur so gewaltige Siege? "Die linke Kritik am garantierten Mindesteinkommen", die auch ich vorgebracht hatte: Es sei nur die pompöse Umbenennung einer schon bestehenden Maßnahme, der Sozialhilfe, sei "zutreffend". Aber: "Das Mindesteinkommen will ganz wenig und doch ungeheuer viel. Wenig: Es will die technologisch produzierte Arbeitslosigkeit etwas besser bezahlt sehen als bisher. Ungeheuer viel: Es will das politische Eingeständnis der großen gesellschaftlichen Organisationen, daß sie mit ihrem Vollbeschäftigungs- und Sinngebungslatein am Ende sind" (11 bis 13). Das, Freunde, nenne ich die Ebene der psycho-intellektuellen Scheinsiege.

Man hat mir einige Male vorgehalten, ich machte es mir mit meiner Kritik an der Grundidee auf diese Weise zu einfach, denn die Autoren dieses Bändchens gäben, anders als die fundierterer Beiträge, allzu offene Flanken für Kritik. Indessen, auch scheinbar zurückhaltendere Autoren machen das, was man in Amerika "big claims" nennt und bleiben beneidenswert harthörig gegenüber Einwänden (2) in der aktuellen Diskussion. Auch Vobruba behauptet allen Ernstes, es gehe um die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen, ja sogar von Arbeiten und Essen, um die "existentielle Abhängigkeit der Lohnabhängigen" zu überwinden (1984b, 80). Auch Opielka will für das Grundeinkommen "kämpfen" lassen, "damit in die Phase des Kommunismus eingestiegen wird" (1985a, 9). Ein anderer Autor befindet sogleich: "Im individuellen Einkommen wird der gesellschaftliche Reichtum ungleich und auch ungerecht angeeignet und erscheint als individuelles Verdienst"; dieses Verhältnis werde jedoch durch das Grundeinkommen aufgebrochen (Michael Th. Greven in diesem Band). Man weiß gar nicht, warum dieser Autor zugleich den Grünen Naivität und mangelnde revolutionäre Stellung vorwirft. Denn auch bei Michaele Schreyer von den Bundestags-Grünen heißt es bündig, das "revolutionäre Moment" und die Attraktivität des Themas Mindesteinkommen für grüne Politik liege darin, daß die Abkopplung des Einkommens von Arbeit für alle gelten solle (in diesem Band).

Mit einem Wort: Nahezu alle Befürworter des Grundeinkommens freuen sich etwas zu sehr daran, traditionelle Denkfiguren und Tabus zu schleifen und welthistorische Veränderungen anzukündigen; und fragen sich etwas zu selten, was sie warum und in wessen Interesse verändern können und wollen. Sie genießen etwas zu sehr die antizipierte Reaktion derer, die sie mit ihren Thesen richtig ärgern wollen. Die Konservativen nämlich (nicht eigentlich das Kapital) mit der Forderung nach besserer und staatlich garantierter Bezahlung von Nichtarbeit, also von >Faulheit<. Und die Gewerkschaften mit ihrer Polemik gegen die "Ideologie der Vollbeschäftigung" und ihrer Mitteilung, daß "der Ruf nach Arbeit für alle schlicht unsinnig ist" (8-9).

Nun gibt es gewiß genug Leute, auch in der SPD, die bei diesen Thesen rot anlaufen (wenn sie sie lesen), und so wird Thomas Schmid nicht enttäuscht sein, wenn ich's nicht tue. Ich vermute, daß eine Gesellschaft der Zukunft in der Tat zum Teil vom Erwerbs- zum Transfereinkommen übergegangen sein wird; und ich habe vor allem den Eindruck, daß wir schon in naher Zukunft aus bestimmten Gründen Transfers zum Teil quasi legalisieren müssen - und können. Aber eben deswegen reicht es nicht, so einfach mal mit Hilfe eines Wagenbach- oder Fischer-Büchleins Kapital und Arbeit auf den Misthaufen der Geschichte zu schicken und die Befreiung der Menschheit auszurufen. Im Verhältnis von Kapital und Arbeit stehen wir offenbar an der Schwelle großer Veränderungen; insofern ist Schmids Neigung zu großen Perspektiven berechtigt. Aber wir müssen genauer hinschauen. Da kann nämlich auch einiges sehr schieflaufen.

 

 

 

1.

 

Das garantierte Mindesteinkommen (auch unter den Titeln "Staatsbürgergehalt", "Teilhabersteuer", "Sozialdividende" im Gespräch) beruht auf folgender Grundidee: Jedermann soll, einfach aufgrund seiner Staatsbürgerschaft, gesetzlich garantierten Anspruch auf eine Basis-Einkommenszahlung von seiten des Staates haben. Dabei gibt es zwei Grundvarianten: Bei dem Modell "Kopfgeld" wird dieser Anspruch grundsätzlich für alle realisiert (und bildet bei Erwerbseinkommensbeziehern also eine Art erwerbsunabhängigen Sockelbetrag)); beim Modell "negative Einkommensteuer", das Milton Friedman entwickelt hat, wird der Anspruch ins Steuersystem integriert (mit der Folge, daß Erwerbslose ihn voll realisieren, Bezieher geringer Erwerbseinkommen teilweise und Bezieher besserer Einkommen ab einer bestimmten Grenze gar nicht: diese haben statt dessen "positive" Einkommensteuer zu zahlen). Man sieht leicht, daß die zweite Variante sozial gerechter und leichter finanzierbar ist (weil sie denjenigen, die ein Mindesteinkommen nicht nötig haben, nur den Anspruch gewährt).

Das ist nun ein Modell zur Vereinheitlichung des Sozialstaats - nicht etwa seine Erfindung, und auch nicht - oder höchstens metaphorisch - seine "Abschaffung" (Opielka): all die verschiedenen Leistungen des Sozialstaats an und zugunsten Nicht-Erwerbstätiger werden in einen Grundanspruch zusammengeschmolzen. Es ist keine Rede davon, erst mit diesem Modell werde das Prinzip "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" überwunden (und wenn Thomas Schmid diesen Spruch der Arbeiterbewegung als Beleg für ihre Antipathie gegen freiwillig oder unfreiwillig Arbeitslose in die Schuhe schiebt, dann zeugt das, höflich gesagt, von geringer historischer Kenntnis: Im Mund der frühen Arbeiterbewegung war dieser Spruch ein Argument gegen die Ausbeuter - gegen Couponschneider und Landrentiers -; in anderem Sinn haben ihn nur Reaktionäre und Faschisten benützt). Nein, die Entdeckung des Sozialstaats ist älter. - In den USA wurde der Vorschlag eines Garantieeinkommens bisher am breitesten diskutiert, freilich, überspitzt gesagt, zu dem Zeitpunkt, als Amerika daranging, überhaupt erst den Sozialstaat einzuführen. Es blieb bei Vorarbeiten und einigen Modellversuchen; die USA gingen schließlich den "europäischen Weg" (wenn auch erheblich weniger weit).

Das Konzept Mindesteinkommen könnte - für sich genommen - zu einer qualitativen Verbesserung des Sozialstaats beitragen (Vereinheitlichung der Rentenansprüche; Grundeinkommen auch für nicht-erwerbstätige Frauen - dieser Aspekt ist allerdings in der Frauenbewegung umstritten, weil er den Effekt haben könnte, Frauen von der Erwerbstätigkeit fernzuhalten). Ob der Weg gangbar und sinnvoll ist, hängt schlicht und einfach von der Höhe (und Finanzierbarkeit) des Garantieeinkommens ab. Sinnvoll ist die Diskussion darüber sicher; schon weil sie zur Politisierung der Armutsgrenze und der neuen Armut in unserem Lande beiträgt: Der Sozialhilfesatz ist erschütternd gering (wahrscheinlich mindestens 30 Prozent unter den realen Minimalbedürfnissen); die neue Regierung hat sich nun auch prinzipiell vom Bedürfnisprinzip bei seiner Festlegung abgewendet.

Weiterhin halte ich die drei Vorschläge, die Georg Vobruba in unserem Zusammenhang für die strukturelle Aufwertung von Transfereinkommen gemacht hat, für grundsätzlich sinnvoll (Vobruba 1984b, 86ff.). Die Forderung nach Übergang vom subsidiären Notfallprinzip zum Recht auf Einkommenstransfer für Dauerarbeitslose, also nach der Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld, ist sicher sinnvoll; wir brauchen für die mittlerweile entstandene Gruppe der Dauerarbeitslosen, denen wir nichts anbieten können, eine sozial und auch materiell neu definierte Existenzform. Ebenso erwägenswert ist Vobrubas Forderung nach einem Übergang vom Kausalitäts- zum Finalitätsprinzip in der Altersversorgung: In einem bestimmten Rahmen sollte die Rente in der Tat bedarfsbezogen gezahlt und somit von der "Leistung" einer durchgehenden Lohnarbeitsbiographie unabhängig gemacht werden. Das Thema Grundrente ist in der Tat weniger töricht als die Art und Weise, in der Bundeswirtschaftsminister Bangemann es vor kurzem ins Gerede brachte; und auch weniger töricht, als die einhellige und gemeinsame Ablehnung von SPD und CDU/CSU vermuten lassen konnten. Dies vor allem im Blick auf Vobrubas dritten Hinweis: Der Abbau des Kausalitätsprinzips in der Rentenversicherung ist gerade arbeitszeit- und arbeitsmarktpolitisch dringend wünschenswert. Denn im Blick auf die gegenwärtige Rentenstruktur ist es individuell rational, wenn Ganztagsbeschäftigte ihre Teilzeit-Arbeitswünsche nicht realisieren, um sozialpolitisch keinen Schaden für sich zu riskieren. Gesamtwirtschaftlich ist diese Unterdrückung von Arbeitszeitumverteilungspotentialen hingegen irrational. - Man mag in diesen Vorschlägen mit Vobruba selbst "Einstiege in ein allgemeines arbeitsunabhängiges Einkommen" sehen oder nicht; sie sind diskutierenswert, solange die Finanzierung und die arbeits- und sozialpolitische Justierung, auf die ich unten noch eingehen werde, stimmen.

Zunächst geht es jedoch um den grundsätzlichen Zweck einer Orientierung auf ein Grundeinkommen. Ich mache darauf aufmerksam, daß in Europa mit seinen ausgebauten Sozialsystemen die Idee einer Reform des Sozialstaats durch ein Mindesteinkommen bisher stets von denen vorgebracht worden ist, die unter Vereinheitlichung primär eine "Verschlankung" meinen. Gerade das Beispiel Grundrente hat dies doch soeben einmal mehr gezeigt - oder meint man, daß Bangemann die gleichen Absichten im Hinterkopf hat wie Vobruba oder die grüne Bundestagsfraktion? Unsere Autoren sind gegenüber der doch seit Jahrzehnten bestehenden "Anti-Sozialstaats-Diskussion" der Konservativen von verblüffender Naivität. Es ist einigermaßen bezeichnend, daß die Autoren zwar zu berichten wissen, eine gewisse britische "Ecology Party" habe auch ein Mindesteinkommen verlangt, aber offenbar gar nicht wissen, daß dieses in England vor allem eine Forderung aus den Reihen der Tories ist, Regierungsmitglieder eingeschlossen, um dem angeblich wuchernden Sozialstaat Grenzen zu setzen (3). In Deutschland hat sich in dieser Richtung vornehmlich der "Kronberger Kreis" hervorgetan. Die Losung lautet: Mehr Mut zum Markt; und der Grundgedanke ist, daß über einen Minimalbetrag hinaus alle staatlichen Sozialleistungen gestrichen werden sollen. Die Leute sollen ihre eigene private Existenzvorsorge treffen - am besten durch Vermögensbildung; und wer dazu unglücklicherweise nicht in der Lage sein sollte, mag sich an Versicherungen wenden. Ich gebe Walter Hanesch recht: "Eine Totalumstellung des Sozialleistungssystems in der Krise birgt die Gefahr, daß die >Reform< dazu genutzt wird, die soziale Sicherung bis auf die Knochen abzunagen." (139)

Aber gut, unterstellen wir den Autoren, daß sie derlei nicht im Sinn haben, sondern das, was bei manchen Arbeitsloseninitiativen unter dem Stichwort "Existenzgeld" diskutiert wird, also eine materielle Verbesserung für die Dauerarbeitslosen. Das mag nun diejenigen provozieren, die Sozialeinkommen nach wie vor als (im Grunde unverdiente) Gnade ansehen und diejenigen, die - jetzt an der Macht in Bonn - den Sozialstaat beschneiden wollen. Was aber soll an dieser Idee denn nun systemsprengend sein?

Hier macht man nun eine merkwürdige Entdeckung. Die Autoren legen es, das wird eher beiläufig klar, mit der Idee eines existenzsichernden Minimaleinkommens darauf an, daß auf dieser Basis immer mehr Leute aus dem Erwerbssystem ausscheiden.

Thomas Schmid sagt zwar, er wolle nur die Arbeitslosigkeit etwas besser bezahlt sehen, meint aber ein sich vergrößerndes >Gegenerwerbssystem< auf der Basis von Transfereinkommen, in das immer mehr Leute aus dem traditionellen Erwerbssystem herüberkommen, um sich von der Lohnarbeit und >falscher Arbeit< zu befreien. (Und, wie gesagt, Schreyer will die Kopplung zwischen Arbeit und Einkommen "für alle" aufheben usw.) Jetzt versteht man auch die große historische Geste besser. Schmid will die objektive Entwicklung, die zunehmende Arbeitslosigkeit, auf seine Mühle lenken und in einer Umwertung der Werte mit Hilfe des Mindesteinkommens freiwillige Arbeitslosigkeit attraktiv machen und fördern. Dieser Prozeß soll dann das ganze "System" allmählich knacken.

 

 

 

 

2.

 

Bevor ich frage, ob das wünschenswert ist, frage ich, ob es machbar ist; ich habe mir antrainiert, bei sozialen Großtaten stets zuerst zu fragen: Wer zahlt? Grundmechanismus ist, daß für zunehmend mehr Menschen anstelle des Erwerbseinkommens das Transfereinkommen tritt. (Transfereinkommen sind geldliche Leistungen, die im Erwerbssystem durch Steuern oder Beiträge abgeschöpft und an Personen, die am Erwerbsystem nicht teilhaben können, zur Existenzsicherung überwiesen werden.) Faßt man aber das Mindesteinkommen mit diesem Anspruch auf, dann hagelt es Widersprüche. Da wird der Staat zum General-Alimentator; gleichzeitig ist von Zurückdrängung des Staates zugunsten freier Subjekte, vom Sinken des (Sozial-)Staatsbedarfs die Rede (56). Womit aber wird diese tendenzielle Überführung der Gesamtbevölkerung in den öffentlichen Dienst finanziert? Dem Vorschlag der Autoren zufolge aus dem Staatssäckel und aus der Einkommensteuer! "Anderweitige Einkommen müßten beim garantierten Bürgergehalt bereits bei geringen Beträgen ziemlich hoch besteuert werden, um das ganze System, das ja recht gewaltige Kosten im Staatshaushalt ausmacht, überhaupt finanzierbar zu gestalten (Anfangsbesteuerung ca. 50 Prozent...)". Dieser Vorschlag, der alle Einkommen unterhalb der jetzigen Steuerquote von 50 Prozent - also alle mit Ausnahme der Spitzenverdiener - mit einer Steuererhöhung um das Doppelte und mehr belasten würde, ist zweifellos außerordentlich sozial gerecht und hoher Mehrheiten bei der arbeitenden Bevölkerung verdächtig.

Darüber hinaus ist dieser Vorschlag aber auch für einen Linken unverzeihlich: Warum denn Umverteilung aus den Arbeitseinkommen? Warum denn nicht Umverteilung aus den Produktivgewinnen?! Der Vorschlag blockiert sich aber, drittens, auch noch logisch selbst: Denn bei einem sich erweiternden Anteil der Nichtarbeiter würde ja eine immer kleinere Zahl von Arbeitenden eine immer größere Zahl von Nichtarbeitenden alimentieren müssen - wodurch das Garantieeinkommen seinerseits immer weiter sinken müßte ... Ein Konzept progressiver Verarmung.

Nein, diese Vorschläge enthalten keine positive Utopie. Sie enthielten sie nicht einmal, wenn sie sich nicht selbst ad absurdum führen würden. Denn hier werden Ursache und Wirkung verwechselt: Positive Utopien sind etwas anderes als fromme Wünsche, sie sind objektive Entwicklungen, die vielleicht einmal Wünsche realisierbar machen.

 

 

 

 

3.

 

Gibt es " solche objektiven Entwicklungen? Es gibt tatsächlich eine einschlägige im ökonomischen Bereich, in der Logik von Arbeit und Kapital; und es ist mir unerfindlich, warum den Autoren verborgen bleibt, was ihr stärkstes Argument sein müßte. Wir stehen vor einer neuen massiven Verschiebung der Gewichte in der Produktionsfunktion: der Faktor menschliche Arbeit tritt mehr und mehr in den Hintergrund und das Produktionsergebnis verdankt sich in den hochproduktiven Bereichen fast ausschließlich dem Faktor Kapital, das in der Maschinerie verkörpert ist. Der technologische Prozeß, der in gewaltigen Produktivitäts- und Rationalisierungsschüben menschliche Arbeit überflüssig macht, verlagert immer mehr Arbeitsfunktionen vom Menschen auf die Maschine. Das nun in der Tat ist zwar kein jäher, aber ein epochaler Wandel: Nicht länger ist die Arbeit die Hauptquelle gesellschaftlichen Reichtums, sondern die Technik.

Wer diesen Satz aber ernst nimmt, der weiß: Wir müssen neue Schlüssel zur Verteilung des produzierten Reichtums finden. Ernst Albrecht hat (in seinen bekannten Thesen) ausnahmsweise recht:

"Die gewaltige Wertschöpfung in den Fabriken muß gerecht auf die Menschen verteilt werden. Es ist fraglich, ob der Maßstab des betrieblichen Arbeitslohnes hierfür noch zureichend ist. Auf jeden Fall wird die Beteiligung zunächst der Arbeitnehmerschaft, dann aber des ganzen Volkes am Produktivvermögen zu einer vorrangigen gesellschaftspolitischen Aufgabe."

Und wie der Transer dieser gewaltigen Wertschöpfung auszugestalten ist, das wird eine der ganz wichtigen Fragen in naher Zukunft sein. Warum ihn nicht für ein Mindesteinkommen einsetzen?

 

 

 

 

4.

 

Man muß zugeben, daß es für diesen Vorschlag eine einleuchtende logische Ableitung gäbe. Wenn die Verteilungsfunktion von Arbeit und Arbeitseinkommen nicht mehr funktioniert, wenn wir ohnehin Transfers vorsehen müssen - warum dann nicht gleich zum Transfereinkommen übergehen? Idealerweise soll doch das Einkommen, das der einzelne aus seiner Arbeit bezieht, seinen arbeitsteiligen Beitrag zur Produktion entgelten. Wenn er allerdings mit seiner Arbeit kaum noch einen Beitrag zur Produktion leistet, so könnten wir uns fragen, ob die menschliche Arbeit überhaupt in Zukunft noch eine vernünftige Bemessungsgrundlage für das Einkommen darstellen kann. In der Tat hat ja die relative Verlagerung der Wertschöpfung zum Faktor Kapital auch eine logische Entkopplung der Arbeit vom Einkommen zur Folge. Freilich ebenfalls nur eine relative, da stets Arbeit im nichtkapitalintensiven Bereich und in den Dienstleistungen übrigbleiben wird, die ebenfalls zum Sozialprodukt gehört, und die ja nun auch getan werden muß.

Man könnte sich nun durchaus vorstellen, daß eine zukünftige Gesellschaft wesentlich durch Transfereinkommen neuen Typs aus dem gesellschaftlichen Produktivvermögen gekennzeichnet ist. Also gerade nicht aus dem Arbeitsvermögen, sondern aus den Gewinnen.

Vielleicht auch wird der arbeitende Mensch der Zukunft zwei oder drei Berufe oder Arbeitsschwerpunkte haben, von denen nur noch einer dem Typ klassischer Erwerbsarbeit entspricht und mit einem Erwerbsarbeitseinkommen entlohnt wird; ein sozialer und ein kultureller Arbeitsschwerpunkt könnten mit Transfereinkommen abgegolten werden. Aber: Dies sind hochspekulative Zukunftsvorstellungen, die auf einer erreichten gleichmäßigen Reduktion des Anteils aller am gesellschaftlichen Arbeitsaufkommen, die zu mehr Zeit für neue Tätigkeitsformen führt, beruhen.

Und nun kommen die schweren Bedenken: Genau diese Entwicklung gleichmäßiger Reduktion der Arbeit haben wir ja im Augenblick nicht; wir müssen sie erst organisieren. Im Augenblick verschärfen sich die Ungleichheiten: zwischen 90 Prozent Vollerwerbstätigen und 10 Prozent Arbeitslosen - eine Ungleichheit, die nur durch Umverteilung der Arbeit, also durch Arbeitszeitverkürzung, ausgeglichen werden kann. Zwischen dem Sektor hoher Produktivität (in dem Arbeitszeitverkürzung mühelos möglich ist) und dem nicht-hochproduktiven Sektor (in dem Arbeitszeitverkürzung nur schwer zu erreichen ist, da die zu ihrer Finanzierung erforderlichen Produktivitätsgewinne fehlen). Das Mindesteinkommen nun - in der vorgeschlagenen Form, als Verdrängung aus dem Arbeitsmarkt - würde die Ungleichheit verschärfen, ja geradezu verabsolutieren. Es ist ein Vorschlag genau in die falsche Richtung.

Erstens: Der Vorschlag läuft auf eine Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen hinaus. Wer der einen angehört, hat das Privileg eines einigermaßen angemessenen Einkommens für sich und seine Familie und daher (begrenzte) Teilnahme am gesellschaftlichen Reichtum. In der anderen Klasse hat man ein Minimaleinkommen - natürlich würde dieses Minimaleinkommen auf absehbare Zeit nicht oder kaum über dem Sozialhilfesatz liegen, auch bei Einsetzung der oben genannten Ressourcen -, und eine völlig ungenügende soziale Absicherung gegen Risiken.

Sicher weiß ich, daß sich diese Spaltung auch ganz anders darstellen und bewerten läßt. Da sind dann die aus dem Erwerbssystem Ausgeschiedenen dem "Joch der Lohnarbeit" entronnen, sie haben die "Befreiung von falscher Arbeit" (so der Obertitel des Büchleins) geschafft; sie können ihre "Bedürfnislogik" gegen die "Produktionslogik" (13) zur Geltung bringen, haben viel Zeit, können sich selbst verwirklichen usf. Und ich weiß auch, daß 100.000 Menschen oder mehr so leben und die Dinge auch so bewerten - die alternative Szene eben, deren Angehörige als winzige Selbständige oder auf der Basis in der Tat zu geringer Transfereinkommen (Sozialhilfe, Arbeitslosenunterstützung, BAFöG usw.) in Alternativbetrieben arbeiten oder eine Intellektuellen- und Künstlerexistenz führen. "Bei unserem Reformvorschlag, der auf die Einführung eines garantierten Mindesteinkommens zielt", heißt es bei einem Autorenpaar, "geht es darum, Wege auf der Suche nach Sinn ökonomisch abzusichern." (56) Aus dieser Sicht hat der Vorschlag eines Mindesteinkommens natürlich Plausibilität. Im Grunde sagt uns die Szene mit ihm: 390 Mark sind uns zu wenig; aber für 800 sind wir bereit, euch und eurem ganzen gräßlichen Arbeits- und Wirtschaftssystem den Rücken zu kehren und euch in Frieden zu lassen. Es geht um Staatsknete sozusagen, aber diesmal personen- und nicht projektbezogen. Das hätte man natürlich auch mit weniger theoretischem Aufwand sagen können.

Ich habe durchaus ein gewisses Verständnis für diesen Wunsch. Aber wenn man daraus eine gesellschaftspolitische Gesamtstrategie macht, dann muß ich eben daran erinnern, daß die Menschen, denen die Freiheit von der Lohnarbeit so viel materiellen Verzicht wert ist, eine verschwindende Minderheit in unserer Bevölkerung sind. Und das nicht nur, weil uns Arbeitnehmern vielleicht Auto, Schrankwand und Italienreise über alles geht. Sondern auch weil sie Kinder haben und haben wollen, weil sie das Krankwerden fürchten, weil sie einmal alt sein werden, weil die Mutter pflegebedürftig wird, weil die Ausbildung der Kinder Geld kostet. Michaele Schreyer hat die ökonomische Seite dieses Zusammenhangs treffend so formuliert: "Das Mindesteinkommen bezweckt eine Abkopplung vom Arbeitsmarkt, während es die Abhängigkeit vom Gütermarkt beläßt." (Schreyer 1984)

Das wissen die Menschen instinktiv, und darum fürchten sie nicht das Erwerbssystem, sondern sie fürchten, ihren Platz darin zu verlieren. Sie empfinden Arbeitslosigkeit nicht als "Befreiung". Denn: schlicht arbeitslos sein - darauf liefe in ihren Augen die Sache hinaus. Simpel gefragt: Woran liegt es denn, daß die faktisch 3 Millionen Arbeitslosen - die Hälfte von ihnen bekommt Arbeitslosenunterstützung und somit mehr als ein Mindesteinkommen - darüber überhaupt nicht glücklich sind? Liegt es nur an ihrem falschen Bewußtsein? Und wenn ja, haben wir das Recht, ihnen ein richtiges vorzuschreiben?

Zweitens: die subjektive Seite. Auch Sinnerfüllung bedeutet Tätigkeit außerhalb des Erwerbssystems nur für eine kleine Minderheit. Am Häuschen kann der Erwerbslose kaum weiterbauen, weil ihm das Geld für die Materialien fehlt. Claus Offe, der ja ähnliche Vorschläge gemacht hatte, hat wenigstens diese Seite gesehen: "Selbst eine materiell erträgliche Form der >Brachlegung< von Arbeitskraft durch eine generöse Sozialpolitik wäre nicht nur ökonomisch ineffizient, sondern würde auch menschliche Bedürfnisse nach sinnvoller, nützlicher und zielgerichteter Tätigkeit elementar verletzen." So ist es. Und unzählige Studien haben nachgewiesen, daß das psychosoziale Elend der Arbeitslosen noch größer ist als das materielle. Warum gibt es wohl so viele Arbeitsloseninitiativen?

Ich habe mich bei der Lektüre gefragt, womit sich die aus dem Erwerbssystem Ausgeschiedenen nach der Vorstellung der Autoren wohl beschäftigen. Mir ist die Antwort nicht klargeworden. Einerseits gibt es bei Thomas Schmid die offenbar große Gruppe der "Nichtarbeiter", die sogar in einer Gewerkschaft organisiert sind, die das garantierte Mindesteinkommen aushandelt (ich stelle mir den Auftakt der Tarifverhandlungen mit dem Bundesinnenminister vor). Wenn das nun wirklich echte Nichtarbeiter sein sollen, dann verletzt der Vorschlag wirklich elementare Bedürfnisse und Rechte des Menschen. Ausgenommen für eine kleine Minderheit von Menschen, ist zielgerichtete und gemeinschaftliche Tätigkeit - Arbeit eben - nun einmal eine zentrale (nicht die einzige) Form der Selbstverwirklichung. Wer hier leichthin sagt, es gebe doch genug zu tun, der muß auch hinzufügen, daß jede Arbeit von einer gewissen Grenze an nicht spontan und chaotisch erfolgen kann, sondern irgendwie organisiert werden muß. Der Ausstieg aus der Lohnarbeit und dem Erwerbssystem mag eine alte sozialistische Forderung sein. Aber Ausstieg aus dem Beschäftigungssystem? Ausstieg aus der Arbeit?

Andererseits redet Schmid auch von der "Herausbildung eines neuen, alternativen Unternehmertums". Einverstanden. Es spricht auch einiges dafür, daß sich zum Beispiel infolge der neuen Kommunikationstechnologien verstärkt Raum ergibt für dezentral arbeitende kleine Selbständige als Anbieter oder Zulieferer. Aber abgesehen davon, daß alternative und zukünftige Zulieferer genauso fürchterliche Abhängigkeiten und Risiken eingehen müssen wie "normale" - warum soll ich denn unterstellen, daß in dieser "neuen" Wirtschaftsstruktur nicht wiederum relativ wenige Unternehmer und relativ viele Lohnabhängige sind? Das ist, nimmt man den Begriff Unternehmer ernst, zwangsläufig. Nun aber verschwindet der Unterschied zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht schon durch das Wörtchen "alternativ"; und erst recht nicht der objektive Gegensatz von Arbeit und Kapital. Das ist in der Alternativszene übrigens ausreichend bekannt. Wenn dieses Modell nun gesellschaftlich weiter ausgedehnt werden soll, bekämen wir einen neuen Typus von Lohnabhängigen parallel zum alten, der sich von diesem dadurch unterscheidet, daß er keine Interessenvertretung, keine ausreichende soziale Absicherung und ein minimales Einkommen hat. Ich bitte um Verständnis, daß ich mich dafür nicht erwärmen kann.

Drittens und vor allem aber: Man muß nicht nur befürchten, daß die Strategie des Mindesteinkommens die Misere der Massenarbeitslosigkeit verewigen und sanktionieren würde, sie wäre auch geradezu die klassische Verdrängungsstrategie. "Der Übergang von Beschäftigung zu Arbeitslosigkeit", heißt es entwaffnend naiv in einem der Beiträge, "wird fließender gestaltet" (37). Worauf die Idee wirklich hinausläuft, kann man deutlicher gerade bei Ernst Albrecht hören: "Arbeit ist nicht gleichzusetzen mit der Ausfüllung eines hochbezahlten Arbeitsplatzes... jeder hat ein Recht auf sinnvolle Arbeit. Nicht jeder kann einen hochbezahlten Arbeitsplatz haben. " (These 9) Das Recht auf Arbeit wird vom Recht auf einen Arbeitsplatz entkoppelt. Das wäre das Abmontieren der letzten noch vorhandenen Sicherungen vor Arbeitslosigkeit. Mit dem Mindesteinkommen werden die Arbeitslosen etwas besser alimentiert, aber gleichzeitig wird ihre Lage in einen offiziell befriedigenden sozialen Status umgewertet. Wer arbeitslos wird, der bekommt dann zu hören: Nicht jeder kann einen hochbezahlten Arbeitsplatz haben! Arbeitslosigkeit ist keine Schande. Sie haben mit Ihrem Mindesteinkommen genug, um zu leben. Beschäftigen Sie sich bitte mit sich selbst, verwirklichen Sie sich!

 Hier trifft sich die Strategie des Mindesteinkommens mit sehr handfesten Interessen. Es geht darum, sich den Druck der Arbeitslosigkeit vom Hals zu schaffen. Vollbeschäftigung wäre als Ziel offiziell aufgegeben und nicht mehr zu "befürchten". Man muß nur die Argumentation danebenhalten, die der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministers im vorigen Jahr aufgeschrieben hat: Er lehnt jegliche Arbeitszeitverkürzung mit der Begründung ab, durch Neueinstellungen würden "am Arbeitsmarkt Verknappungstendenzen entstehen", die zu Lohnsteigerungen führen könnten. Das heißt im Klartext, daß Vollbeschäftigung nicht mehr gewünscht wird, daß die Arbeitslosigkeit als Dauereinrichtung empfohlen wird, um Lohnforderungen niedrig zu halten. Wie schön erst, wenn die "Ideologie der Vollbeschäftigung" (Schmid 1984b, 9) auch offiziell aufgegeben, wenn der "hegemoniale Gewerkschaftsblock aufgeweicht" (16) werden könnte. Dann würden die Arbeitnehmer endlich wieder wie im 19. Jahrhundert um die "hochbezahlten Arbeitsplätze" konkurrieren und sich wechselseitig mit Lohnforderungen unterbieten.

Mittlerweile - nach der ersten Veröffentlichung dieses Essays im Pflasterstrand im November 1984 - ist nun auch prompt FDP-Generalsekretär Haussmann mit einem einschlägigen Vorschlag hervorgetreten: Mit dem Vorschlag, in sogenannten arbeitsmarktpolitischen Problemregionen und vor allem gegenüber Arbeitslosen untertarifliche Lohnabschlüsse möglich zu machen. - Ob Thomas Schmid das wohl gemeint hat, als er so leichthin schrieb, die "Machthaber" würden ihre Unterschrift unter das Mindesteinkommen nicht lange verweigern?

Unter diesen Umständen halte ich es für einen unverzeihlichen Denkfehler, wenn Vobruba und Offe das garantierte Grundeinkommen gar als "Instrument zur Vervollkommnung des Arbeitsmarktes" auffassen (Vobruba 1985c). Die Überlegung ist die folgende: Es ergebe sich ein dosierbarer Arbeitsmarkt-Entlastungseffekt. "Es ist zu erwarten, daß das Angebot an Arbeitskraft mit der Einführung eines arbeitsunabhängigen Einkommens zurückgeht. Ein solcher Rückgang ist arbeitsmarktpolitisch erwünscht - und zwar in dem Umfang der Arbeitslosigkeit. " (Vobruba 1984b) Anders als Thomas Schmid und die eher euphorische Denkrichtung meinen nämlich Vobruba und Offe, mit der Höhe des Grundeinkommens ein justierbares Ventil gefunden zu haben, mit dem sich der Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt dosieren und regeln läßt. Nach Offe dient es eher zur Beruhigung der Konservativen vor der Furcht, allzuviele könnten aus dem Arbeitsmarkt aussteigen (Offe 1983). Nach Vobruba soll es durch eine neue Verknappung des Arbeitskräfteangebots für eine Besserstellung der Arbeitnehmer sorgen. Nur ist es natürlich absolut weltfremd zu meinen, ein Grundeinkommen - das selbst in den kühnsten (und unfinanzierbarsten) Varianten weit unter dem normalen Arbeitnehmereinkommen liegen müßte - könnte stark genug sein, eine tatsächliche Angebotsverknappung auf dem Arbeitsmarkt zu bewirken. Unfreiwillig legt Vobruba die Paradoxie seines eigenen Gedankens offen: "Strenggenommen läßt sich erst auf der Basis eines garantierten Grundeinkommens von einem Arbeitsmarkt sprechen. " Wirklich, Hayek sei's geklagt, ist der Arbeitsmarkt noch immer nicht ein wirklicher Markt; noch immer greift Frau Noelle-Neumanns Apfelsinen-Theorem nicht ganz (ihr Kommentar zur Arbeitslosigkeit: Wenn auf einem Markt zu bestimmten Preisen ein Überangebot an Apfelsinen herrsche, würde niemand sagen, es gebe zu viele Apfelsinen, sondern: die Apfelsinen seien zu teuer. So sei auch der Preis der Arbeit zu hoch; bei markträumenden Preisen würde die Arbeitslosigkeit verschwinden). In der Tat: Sind erst einmal das Recht auf Arbeit und alle damit verbundenen tariflichen und rechtlichen Schutzwälle beseitigt - indem tendenziell jedermann auf das Grundeinkommen verwiesen ist -, dann wäre der Arbeitsmarkt endlich ein richtiger Markt wie derjenige für Apfelsinen.

Auch unter der Perspektive eines sich vergrößernden alternativen Wirtschaftssektors, die Offe vorgeschlagen hat, wird die Sache um kein Haar besser. Denn die Dualisierung der Wirtschaft bedeutet auch eine Dualisierung des Beschäftigungssystems. Dazu hat Walter Hanesch das Nötige gesagt: "(Es) könnte ein Prozeß der Dualisierung des Beschäftigungssystems in Gang gesetzt bzw. verstärkt werden. Während sich für Normalbetriebe die Kalkulationsgrundlage durch ein Mindesteinkommen zunächst nicht verändert, könnten Kollektivbetriebe den individuellen Vorteil ihrer Mitglieder dazu verwenden, mit geringeren Arbeitskosten zu kalkulieren. Normalbetriebe... wären nicht mehr konkurrenzfähig; sie liefen Gefahr, aus dem Markt ausscheiden zu müssen. Die dort Beschäftigten stünden vor der Alternative, entweder massive Einbußen bei den Erwerbseinkommen hinzunehmen oder den bisherigen Arbeitsplatz zu verlieren." (Hanesch 1984, 135)

 

 

 

 

5.

 

Alle meine Einwände lassen sich in eine Gegenthese zusammenfassen: Wir dürfen das Recht auf Arbeit nicht aufgeben. Wir dürfen es uns durch ein Recht auf Grundeinkommen nicht abkaufen lassen. Ich rede vom Recht, nicht etwa der Pflicht. Und ich weiß auch, daß wir es nicht länger im Sinne traditioneller Vollbeschäftigungspolitik interpretieren dürfen, weil sich die Begriffskomponente Arbeit verändert. Aber auch wenn in Zukunft die Arbeitszeit kürzer, die Arbeit flexibler sein wird, auch wenn die Erwerbsarbeit einen geringeren Stellenwert haben wird - ein Arbeitsplatz wird allemal nötig sein. Solange es Erwerbsarbeit gibt, muß jeder den Anspruch auf den ihm gehörenden Teil haben.

Ich ziehe folgende Schlußfolgerungen: Die Strategie der Umverteilung der Arbeit, der Arbeitszeitverkürzung, bleibt richtig. Daraus folgt weiter: Wir müssen auch neue Arbeitsplätze schaffen; und die erwähnten Transfer-Ressourcen aus dem Produktivvermögen sollten dafür eingesetzt werden. Sie entstehen ja durch die gesteigerte Wertschöpfung in den Bereichen hoher Produktivität, und sie werden durch Arbeitsplatzabbau bezahlt. Wir sollten uns darüber einig sein, daß die Mittel im Gegenzug dafür eingesetzt werden, anderswo Arbeitsplätze zu schaffen - nämlich im nicht-hochproduktiven und im Dienstleistungsbereich. Dort gibt es "genug zu tun". Aber die gegenwärtigen hohen Arbeitskosten behindern die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Wir in der SPD führen zur Zeit die Diskussion, wie eine Verlagerung der Steuern- und Abgabenbelastung vom Faktor Arbeit auf den Faktor Kapital aussehen könnte, um mehr Beschäftigung in den nicht rationalisierungsfähigen Bereichen möglich zu machen.

Um keinen Zweifel zu lassen: Mit traditioneller Vollbeschäftigungspolitik werden wir die Arbeitslosigkeit nicht besiegen. Die Erwerbsarbeit wird in Zukunft Gewicht und Umfang verlieren. Aber das sollte für jeden und einigermaßen gleichmäßig geschehen. So könnten sich auch für jeden die Spielräume für "befreite Arbeit" und Sinnerfüllung erweitern.

Die Rechte, der veränderten Situation ebenfalls wohl bewußt, steuert heute gezielt eine Gesellschaft ohne Vollbeschäftigung an - in dem Sinn, daß in ihr nicht mehr alle beschäftigt sein können, die es wollen und müssen. Die Strategie des Mindesteinkommens hilft ihnen dabei - gewollt oder ungewollt. Das mündet in die "Zwei-Drittel-Gesellschaft" - in eine Gesellschaft, in der bis zu einem Drittel der Beschäftigungssuchenden sehen müssen, wo sie bleiben. Die Linke muß ihr das Ziel einer Gesellschaft der Vollbeschäftigung entgegensetzen, in der alle beschäftigt sind, aber vielleicht zunehmend nicht mehr voll.

 

 

 

Anmerkungen

 

(1) Ich beziehe mich im folgenden vor allem auf folgende Publikationen: Offe 1983; Vobruba 1984b, 1985c; Opielka 1984a, 1985a; Schreyer 1984; Schmid 1984. Vgl. auch Bust-Bartels 1984; Büchele/Wohlgenannt 1985; Jordan 1985; sowie Heft 14 der Zeitschrift "Widersprüche" (1985).

 

(2) Ich nenne hierzu insbesondere Hanesch 1984 sowie Welzmüller 1985.

 

(3) Siehe hierzu "Wirtschaftswoche" 42, 1984, S. 32ff.