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Stefan Heckel

Sascha Liebermann

 

Freiheit statt Vollbeschäftigung*

Bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger

 

Vortrag im Workshop „Mindesteinkommen“, anläßlich des „Perspektivenkongresses in Berlin am 14. Mai 2004

 

 
Wir Bürger – der Volkssouverän

Seit einigen Jahren wird über die Reformen in unserem Land gestritten, gravierende Entscheidungen sind schon getroffen worden und das Erschrecken über die Folgen ist mancher Orts groß. Resignation und vor allem: Deprimierung breiten sich aus, sie scheinen gegenwärtig die Öffentlichkeit zu beherrschen – sicher sind sie eine Reaktion auf die Reformdebatten, auf die Orientierungs- und Hilflosigkeit der Reformvorhaben. Sie sind aber vor allem eine Reaktion darauf, dass wir, die Bürger, in erster Linie als Beitragszahler oder als demographische Rechengröße in der politischen Debatte auftauchen. Experten aller Couleur degradieren uns zu einer Steuergröße.

Wir aber, die Bürger, sind das Fundament unserer Gemeinschaft, wir sind der Volkssouverän, wir sind es, die unsere politische Ordnung tragen.

Wir delegieren Verantwortung nur an unsere Abgeordneten, die in den entsprechenden Organen unserer Demokratie Entscheidungspositionen bekleiden. Wir geben ihnen den Auftrag, Entscheidungen so zu treffen, das sie unsere Gemeinschaft stärken, zu ihrer Erhaltung beitragen, indem sie Handlungsprobleme langfristig lösen.

Wir delegieren diese Verantwortung nur, wir geben sie nicht ab. Wenn wir also die Politiker oder gar die Politik kritisieren, dann kritisieren wir auch uns selbst, denn es sind unsere Politiker, die die Entscheidungen treffen. Sie sind nicht von einer fremden Macht eingesetzt und auch nicht von einem anderen Stern. Sie erlauben mir, auf diesen trivialen Umstand hinzuweisen, denn nicht selten habe ich den Eindruck gewonnen, und zwar gerade in der jüngsten Zeit, dass politische Entscheidungen in unserem Land kritisiert werden, als seien es nicht unsere Entscheidungen.

Der Sinnspruch: Jedes Volk habe die Politiker, die es verdiene, hat insofern sein Recht, als wir sie gewählt haben und sie aus der Mitte unserer Gemeinschaft hervorgegangen sind. Weil dies so ist, sind sie uns auch rechenschaftspflichtig. Werden Sie den Anforderungen und zu lösenden Aufgaben nicht gerecht, müssen wir sie abwählen oder ihnen auf anderem Wege mitteilen, dass sie nicht in unserem Sinne entscheiden. Dafür gibt es viele Wege.

Die politische Ordnung, die wir uns gegeben haben, soll dazu dienen, unsere Integrität, unsere Autonomie zu schützen und uns Möglichkeiten zu ihrer Entfaltung geben. Dort, wo wir Verantwortung in die eigenen Hände nehmen können, ohne uns zu schaden, sollten wir die Möglichkeit dazu erhalten. Dieser Gedanke, dass in der Regel jeder Bürger in der Lage ist, sein Leben in die Hand zu nehmen, bildet das Fundament unseres Vorschlages für ein bedingungsloses Grundeinkommen, den ich kurz darlegen möchte.

 

[Wir befinden uns heute stattdessen in einer Lage, in der die Intellektuellen weitestgehend schweigen. Sie, deren Aufgabe es ist, den politischen Streit in die Öffentlichkeit zu tragen, ihn anzufachen und Lösungsvorschläge darzulegen – sie schweigen. Statt radikaler Kritik und dem Entwerfen von Alternativen, haben sie sich schon früh der Macht angedient. Bücher wurden für die Wahl der jetzigen Regierung geschrieben und offenbar haben die Intellektuellen damit ihre Unabhängigkeit verloren. Statt aus dieser Andienung herauszutreten und sich auf die eigentliche Aufgabe zu besinnen, wird ein vermeintlich übermächtiger Gegner beschworen, der so übermächtig sei, daß gegen ihn das Wort zu erheben, unnötig ist: der Neoliberalismus. Was kann man ihm nicht allem anlasten und was alles läßt sich unter diesem Kampfbegriff versammeln. Welchen Anteil aber haben diejenigen, die sich vom Neoliberalismus überrannt fühlen selbst an dieser Lage? Welche Gegenentwürfe werden vorgetragen? Statt Vorschläge zu entfalten und dafür um Gefolgschaft zu streiten, werden sie so vorgetragen, als sei ihre Angemessenheit schon im vorhinein ausgemacht. Damit verhalten sich die Kritiker wie die Experten, die sich mehr und mehr zu Wort melden, verächtlich den Politikern Unfähigkeit attestieren und natürlich auf der richtigen Seite stehen.

Wo Vorschläge unterbreitet werden, besteht immer die Möglichkeit, daß ihnen nicht gefolgt wird. Diesem Umstand in Gänze seine Vernünftigkeit abzusprechen, hieße, von einer höheren Warte aus zu sprechen. Finden Vorschläge kein Gehör ist die Zeit dafür möglicherweise noch nicht reif. Oder die Vorschläge versprechen auch keine wirkliche Lösung. Der plurale Interessenkampf ist das, was eine Demokratie trägt, denn nur er eröffnet die Chance, Gemeinsamkeiten und Differenzen scharf herauszuarbeiten und damit politische Positionen zu erkennen.

Gegen diese vermeintliche Ohnmacht kann die Aufmerksamkeit, die wir in kurzer Zeit erhalten haben, als Gegenbeweis gelten. Wie auch die heutige Einladung haben wir noch andere erhalten. Wir verstehen dieses Interesse als Ermunterung, weiter für unseren Vorschlag zu streiten.]

 
 
Bedingungsloses Grundeinkommen – Freiheit und Verantwortung

Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger von der Wiege bis zur Bahre wird ohne Bedürftigkeitsprüfung jedem Bürger gewährt, Erwachsenen wie Kindern gleichermaßen.

Jeder Bürger erhält dieses Grundeinkommen unabhängig davon, ob er darüber hinaus noch ein Erwerbseinkommen oder sonstige Einkommen z.B. aus Kapitalvermögen, Immobilienbesitz, Erbvermögen usw. bezieht.

Das Grundeinkommen ist steuerfrei. Erst die zusätzlichen Einkommen werden besteuert und damit die Unterhaltung staatlicher Infrastrukturleistungen jeder Art ermöglicht.

Je höher das bedingungslose Grundeinkommen ist, desto mehr fördert es die Freiheit, Verantwortung im Gemeinwesen zu übernehmen, ohne sich um das eigene Auskommen sorgen zu müssen – deswegen sollte es so hoch als möglich sein.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Staatsbürger schlägt einen ganz anderen Weg ein, als die bislang bestehenden Sicherungssysteme und auch als die bislang diskutierten Modelle einer bedarfsorientierten bzw. garantierten Grundsicherung oder einer Negativen Einkommensteuer.

Das bedingungsloses Grundeinkommen ist kein Ersatzeinkommen, wie die Arbeitslosen- und Sozialhilfe, aber auch das Arbeitslosengeld. Es würde alle bisherigen Transferleistungen ersetzen und steht auf einer anderen Legitimationsgrundlage: es ist ein Bürger-Einkommen – es steht jedem Bürger, ohne Beiträge gezahlt zu haben oder bedürftig zu sein.

Ersatzeinkommen, deren Gewährung an die Erfüllung des Erwerbsmodells gebunden sind, erzeugen eine normative Kraft, die dem Bürger sagt: nur wer arbeitet, leistet einen Beitrag zum Gemeinwohl. Deswegen stehen diese Einkommen gegenwärtig auch nur dem zu, der in eine Lage geraten ist, in der er sich finanziell nicht mehr selbst versorgen kann. Ein solches Einkommen ist also grundsätzlich ein Einkommen für Ausnahmen – dies gilt auch für die Sozialhilfe. Solange Sozialleistungen diesen Status behalten, gilt Erwerbsarbeit weiterhin als normative Verpflichtung, der zufolge jeder, soweit er dazu in der Lage ist, ein Einkommen zu erwerben hat. Wer ein Ersatzeinkommen bezieht, erfährt eine Stigmatisierung.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen demgegenüber stärkt die Autonomie und Integrität der Bürger, denn jeder wird als Bürger grundsätzlich anerkannt. Es gibt keine Bürger zweiter Klasse.

Wir haben unsere Politiker in ihr Amt gehoben, also müssen wir sie auch zur Verantwortung ziehen: Wenn wir sie kritisieren, dann müssen wir dies hart in der Sache tun und sie darauf verpflichten, langfristige Lösungen für unsere Probleme zu erarbeiten: ein bedingungsloses Grundeinkommen ist eine solche Lösung.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird vielfältige Auswirkungen haben und uns Chancen eröffnen, die wir heute noch kaum erahnen. Auf jeden Fall drückt sich in ihm eine grundlegende Anerkennung der Bürger aus, womit Freiheit und Bereitschaft aller gestärkt wird, Verantwortung in unserem Gemeinwesen zu übernehmen.

 

Stärkung der Familie

Ein bedingungsloses Grundeinkommen stärkt die Familie, die sich heute nicht selten aufgrund von Einkommensengpässen vor die Frage gestellt sieht: entweder erhebliche Einkommenseinbußen in Kauf zu nehmen, um für die Kinder sorgen zu können, oder die Kinder verhältnismäßig früh in die Obhut von Betreuungseinrichtungen zu geben. Wir wissen aber nicht, und darüber können Expertenaussagen nicht hinwegtäuschen, welche Folgen dies für unsere Kinder hat. Je früher sie in Einrichtungen gegeben werden, desto größer sind wahrscheinlich die Folgen. Denn keine affektive Bindung ist stärker als die der Eltern an ihre Kinder. Sie ist es, die die Eltern sich um ihre Kinder sorgen läßt; sie ist es, die Unwägbarkeiten und Offenheiten durchstehen läßt. Sie ist es, die Eltern permanent darauf aufmerksam sein läßt, was für ihre Kinder das beste sein könnte. Je mehr Eltern diese Erfahrung in ihrer eigenen Kindheit gemacht haben, desto mehr werden sie sie ihren Kinder eröffnen. Die Popularität von Kinderkrippen und Ganztagsbetreuungseinrichtungen kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Bindung an die Kinder dort nicht in derselben Intensität besteht. Und gerade in den frühen Jahren ist sie besonders wichtig. Die Familie ist, von daher gesehen selbstverständlich der beste Ort für die Kinder. Unsere gegenwärtige Orientierung am beruflichen Erfolg als Beitrag zum Gemeinwohl trägt daran ihren Anteil, dass wir bereit sind, Kinder schon früh dieser familialen Bindung zu entwöhnen.

Statt einer weiteren Verstärkung der Erwerbsorientierung, sollten wir es den Eltern überlassen, wie sie sich zu dieser Frage stellen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ermöglicht es, sich der Erziehung und Fürsorge ihrer Kinder zu widmen, ohne sich um die Existenzsicherung der Familie zu sorgen. Beide Eltern könnten gleichermaßen sich Zeit nehmen, hätten die Chance für ihre Kinder da zu sein. Für die Mütter würde dies eine große Entlastung bedeuten. Wenn Kinder, wie es so häufig heißt, unsere Zukunft sind, dann wird es höchste Zeit, daß wir Bedingungen schaffen, unter denen die Chance einer gelingenden Sozialisation größer ist als heute.

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß es die Familien sind, in denen der Charakter eines Individuums sich bildet, und zwar durch Zuwendung die geschenkt wird und durch Erfahrungen, die einem Kind ermöglicht werden.

Ein weiterer für das Erwachsenwerden der Kinder interessanter Aspekt des bedingungsloses Grundeinkommens ist die Unabhängigkeit, die es den Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen ermöglicht. Gerade manche in der Adoleszenz drastische Konflikte im Zuge der Ablösung vom Elternhaus würden wahrscheinlich ein wenig anders verlaufen, wenn der Jugendliche über eine eigene Einkommensquelle verfügte. Er müsste früher schon Verantwortung dafür übernehmen, wie er mit diesem Einkommen verfährt, wozu er es nutzt.

 

Innovation und Muße

Ein bedingungsloses Grundeinkommen fördert den Geist der Neuerung in allen Feldern der Gemeinschaft. Es verschafft eine finanzielle Absicherung, die Müßiggang ermöglicht. Er ist die Voraussetzung für die Entstehung von Neuem, dem Entwickeln von Ideen und der Beschäftigung mit Dingen um ihrer selbst willen.

Es verwundert nicht, wenn heute Untersuchungen zeigen, daß ein deutlicher Zusammenhang besteht zwischen der sozialen Sicherheit, die eine Gemeinschaft gewährt, und der Innovativität und wirtschaftlichen Leistung, die sie vollbringt.

Innovative Ideen können also frei entwickelt werden, Existenzsorgen müßte niemand haben. Das Entwickeln von Ideen wäre nicht von der Marktgängigkeit abhängig. Das bedingungsloses Grundeinkommen würde es erlauben, die Zeit zu überbrücken, bis eine Idee aufgenommen wird oder auch in Form eines Produktes am Markt Absatz findet.

Gerade heute gerät uns die Abhängigkeit von Absatzchancen in der Entwicklung von Ideen zu einem großen Nachteil, und zwar nicht nur in der Wirtschaft. Der Ruf nach Verwertbarkeit oder praktischer Nutzbarkeit lähmt die Bereitschaft, das Unbekannte zu erkunden. Sie lähmt die Bereitschaft, sich auf Ungewisses einzulassen – und das Neue ist immer unbekannt und natürlich ungewiß.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die Freiheit zur Muße gewährleisten und vor allem: das müßige Ideenentwickeln würde in seiner Bedeutung für die politische Gemeinschaft anerkannt und nicht mehr mit dem Makel der „Spinnerei“ verbunden. Sie würde zur Selbstverständlichkeit. Innovativität bzw. Kreativität wäre der Maßstab, an dem jede Tätigkeit, sofern sie nicht automatisierbar ist, sich messen lassen müßte.

Um so erstaunlicher ist es angesichts dieser einfachen Zusammenhänge, daß uns diese Räume zunehmend beschnitten werden.

Muße, um hier ein mögliches Mißverständnis auszuräumen, hat zu seiner Voraussetzung kein Bildungszertifikat. Sie ist nicht etwas, zu dem man einen Zugang zu erwerben hat. Erfahrung aus Muße beginnt schon dort, wo Kinder geduldig die Natur beobachten, wie sich Insekten fortbewegen. Sie beobachten sie um ihrer selbst willen.

Neugierde und Naivität müssen gefördert werden, sie sind es, die Erfahrung ermöglichen. Von den Chancen, Neugierde entfalten zu können, hängt es ab, wie sehr man später bereit ist, sich dem Unbekannten zu überlassen, um es zu erkunden. Schon im Kindergarten und der Schule sollte dies also zum Prinzip werden. Auch hier muß also Freiheit zu Erfahrung durch Vertrauen in die Kinder ermöglicht werden. Vertrauen in Neugierde und in die Verantwortung der Eltern erlauben eine solche Freiheit. Sie werden leicht einwerfen können, daß Eltern heute ihrer Verantwortung nicht mehr entsprechen, Kinder sich für alles, nur nicht für die Schule interessieren. Welchen Anteil daran tragen Ordnungen, die wir uns geschaffen haben? Fördern die Bildungseinrichtungen Neugierde, sind sie darauf gegründet? Und werden die Eltern nicht allzuoft bevormundet? Können wir die Verweigerung von Schülern, mitzuarbeiten, nicht ebenso gut als Protest dagegen verstehen, dass sie nicht ernstgenommen werden?

Dies müssen wir bedenken, wollen wir nicht vorschnell Schlüsse auf das Versagen ziehen.

Damit Neugierde gefördert wird, müssen wir die Bedingungen schaffen und das bedingungsloses Grundeinkommen ist ein einfacher Weg, um dies zu erreichen. Neuerungen entstehen dort, wo Verwertung nicht der erste Zweck ist, sondern das freie Erkunden des Unbekannten.

 

Leistung und Anerkennung

Ein bedingungsloses Grundeinkommen eröffnet die Option, statt einer Erwerbsarbeit einer Tätigkeit außerhalb des Erwerbsfeldes nachzugehen. Ein permanentes Bemühen um die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit ist auf der Basis eines ausreichenden Grundeinkommens weder finanziell notwendig noch normativ geboten.

Damit unterscheidet es sich auch radikal von dem Vorhaben einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung unter Beibehaltung der Erwerbsverpflichtung: Sie bleibt dem gegenwärtigen Modell verhaftet und vergibt damit die Chance auf einen Freiheitsgewinn. Gemäß der Arbeitsumverteilung muß jeder Bürger bemüht sein, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Dies kann nur derjenige für notwendig halten, der der Auffassung ist, es könne kein erfülltes Leben ohne Erwerbsarbeit geben.

Während die allgemeine Arbeitsumverteilung am normativen Gebot der Erwerbsarbeit für alle festhält, befreit das bedingungsloses Grundeinkommen von ihr. Nur es eröffnet eine radikale Entscheidungsoption. Dieser Freiheit entspricht eine Verantwortungszumutung: ganz gleich, wofür man sich entscheidet, es muß eine vernünftige Antwort auf die Chance der Freiheit darstellen. Denn mit der Entscheidung der Gemeinschaft, die Freiheit der Bürger zu stärken, geht auch eine Verpflichtung einher: die Freiheitschancen müssen sinnvoll genutzt werden. Aber es wird nicht vorgeschrieben, worin das Sinnvolle besteht. In der vernünftigen Nutzung der Freiheit besteht dann ein Beitrag zum Gemeinwohl.

Wem das bedingungsloses Grundeinkommen, das natürlich nur ein „Grund“-Einkommen ist, nicht ausreicht, der muß sich für den auch dann noch bestehenden Arbeitsmarkt qualifizieren. Er muß bereit sein, sich in den Dienst einer Sache zu stellen und an Problemlösungen mitzuarbeiten. Dadurch werden die Anforderungen an Arbeitskräfte, wie heute schon der Fall, weiter zunehmen. Routinetätigkeiten werden fortschreitend durch Maschinen ersetzt werden, repetitive Arbeiten werden abnehmen, sofern sie automatisierbar sind.

Daran ist zu erkennen, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen für den Arbeitsmarkt durchweg positive Auswirkungen hat. Qualifizierung – und damit: Leistungsbereitschaft – wird aufgewertet. In einem solchen Arbeitsmarkt wird nicht die Senkung von Lohnkosten, Minderqualifizierung und Arbeit um jeden Preis belohnt. Stattdessen werden Qualifizierung, freiwilliges Engagement für eine Sache und Leistung prämiert. Ein Wettbewerb um sachhaltige Qualifikation wird befördert und dadurch auch die Entstehung von Neuem.

Unternehmen müssen viel mehr als heute um leistungsbereite Mitarbeiter werben, sie müssen ihnen gute Arbeitsbedingungen bieten, damit ihre Leistungsbereitschaft sich entfaltet, ja, sie überhaupt einen Arbeitsplatz annehmen. Arbeitnehmer, die sich unter Wert verkaufen, müssten jedem Unternehmen verdächtig sein. Ein Unternehmen, das Mitarbeiter gegeneinander ausspielt, wird sie angesichts eines bedingungsloses Grundeinkommen bald verlieren.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen fördert also sowohl die Entwicklung als auch die Nutzung technologischer Problemlösungen. Es fördert aber auch das Engagement für die politische Gemeinschaft und die Familie. Alle drei Bewährungsfelder werden einander gleichgestellt und treten nicht mehr wie heute hinter der Erwerbsarbeit zurück. Weitere Automatisierung wird dadurch ermöglicht und der unnötige Einsatz menschlicher Arbeitskraft in bestimmten Bereichen der Wertschöpfung wird verhindert. Die Bürger in ihrer Bereitschaft, sich für die Gemeinschaft einzusetzen, werden grundsätzlich anerkannt – ihrer Gemeinwohlbindung wird vertraut. Die Wahrung ihrer Integrität ist das höchste Gut.

 

Stärkung der Wirtschaft

Ein bedingungsloses Grundeinkommen stärkt die Wirtschaft, weil unproduktive Industrien und Wirtschaftszweige nicht aus politischen Überlegungen der Sozialverträglichkeit aufrechterhalten werden müssen. Subventionen, die heute in Wirtschaftsbereiche investiert werden, um sie künstlich marktfähig zu halten, stünden für andere Bereiche zur Verfügung.

Wertschöpfung durch Leistung würde wieder zum Maßstab erhoben.

Wir würden uns damit endlich von der Illusion befreien, subventionierte Erwerbsarbeit könnte überhaupt eine Anerkennung gewähren, denn jeder, der in einer solchen Branche arbeitet, erfährt durch die objektiven Arbeitsbedingungen, daß sie dem Wettbewerb am Markt nicht standhält.

Wie kann nun ernsthaft angenommen werden, dass eine solche Arbeit sinnerfüllend ist? Dies anzunehmen setzt eine Aufwertung der Arbeit zum Selbstzweck voraus. Worin drückt sich dann ihre Leistung aus, wenn sie nicht mehr an Erzeugnissen gemessen wird? Offenbar darin, dass überhaupt gearbeitet wird. Wird dies zum Maßstab, ist Arbeit nicht mehr als eine Beschäftigungsmaßnahme, die wiederum nur notwendig ist, wenn davon ausgegangen wird, dass der Einzelne nicht selbst in der Lage ist, seine Zeit sinnvoll zu nutzen. Will man eine solche Politik der Fetischisierung von Arbeit, muß man Arbeit umverteilen. Will man stattdessen die Freiheit ergreifen, die sich uns bietet, bedarf es eines bedingungsloses Grundeinkommens.

Es erlaubte Unternehmen zu automatisieren, wenn es unternehmerisch sinnvoll ist. Mitarbeiter, die entlassen werden, wären mindestens durch das bedingungslose Grundeinkommen versorgt. Darüber hinaus könnte es eine Abfindungsregelung geben, die der Arbeitnehmer mit dem Unternehmen aushandelt. Auch für Unternehmen – und dies wird unseres Erachtens aus ideologischen Gründen häufig in Abrede gestellt – ist das Entlassen von Mitarbeitern ein schwierige Entscheidung, da die Entscheider um die Folgen wissen. Unternehmen geraten, wenn sie Mitarbeiter entlassen wollen, gegenwärtig in einen Konflikt: Auf der einen Seite sollen sie innovativ sein und Ressourcen schonen. Dies geschieht auch durch die Nutzung von Technologie. Auf der anderen sollen sie, dem politischen Konsens folgend, Arbeitsplätze schaffen, auch wenn sie diese nicht benötigen. Entscheiden sie sich für ersteres werden sie kritisiert, entscheiden sie sich für die zweite Option, müssen wir sie auch kritisieren. Denn zu ihren Aufgaben gehört die Nutzung technologischer Problemlösungen in vollem Umfang. Wo sie darauf verzichten, verzichten wir auf eine Rückgewinnung von Lebenszeit. Technologienutzung ermöglicht eine Befreiung von repetitiver Arbeit. Jede der genannten Entscheidungen zeitigt heute ungewünschte Folgen. Aus diesem Dilemma können wir nur heraustreten, wenn Automatisierung nicht mehr unerwünscht ist und Einkommen nicht mehr normativ an Erwerbsarbeit gebunden wird.

Da das bedingungslose Grundeinkommen eine Entscheidungsoption schafft, würde Erwerbsarbeit immer aus freiem Entschluß geleistet. Freiwilligkeit ist immer die Grundlage besonderer Leistungsbereitschaft. Wer sich also trotz Grundeinkommen entscheidet, zu arbeiten, wird dazu besonders motiviert sein. Die Wirtschaft könnte auf diese Leistungsbereitschaft bauen und damit die Entstehung von Neuerungen befördern. Allerdings wären diese Mitarbeiter auch besonders autonom. Unternehmen müssen gute Arbeitsbedingungen bieten, um diese Mitarbeiter an sich binden zu können. Schon heute müssen sie dies tun, aber nur bei den sogenannten „High Potentials“.

Freiwilligkeit ist die Voraussetzung für Innovativität und die Bereitschaft, sich in den Dienst eines überindividuellen Zwecks zu stellen. Damit werden Potentiale der Wertschöpfung nutzbar, die heute schlummern.

 

Abbau von Bürokratie und hemmender Kontrolle

Ein bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht einen umfassenden Abbau von Bürokratie in allen Bereichen, auch in den Sozialsystemen. Denn heute noch durchgeführte Kontrollen und Bevormundungen sind nicht mehr notwendig, denn: ein bedingungsloses Grundeinkommen wird nicht kontrolliert. Weder das Sozial- noch das Arbeitsamt würde in seiner gegenwärtigen Form bestehen müssen.

Wir müssen darauf vertrauen, daß die Bürger schon wissen oder herausfinden werden, wie sie die Chancen eines bedingungslosen Grundeinkommens am Vernünftigsten nutzen. Wir benötigen keine Volkspädagogen, die uns an der Hand nehmen, sondern Politiker, die Entscheidungen für einen Zugewinn an Freiheit treffen. Anerkennung der Bürger statt Bevormundung. Freiheitsgewinn und Verantwortungszumutung sind mit dem bedingungslosen Grundeinkommen verbunden. Denn die Freiheit zur Entscheidung wird durch die Gemeinschaft geschaffen. Deswegen muß sie auch sinnvoll genutzt werden.

 

Finanzierung

Einer der häufigsten, beinahe reflexartig vorgebrachten Einwände zielt auf die Finanzierung. Wer soll das bedingungslose Grundeinkommen bezahlen angesichts der leeren Kassen und der vermeintlich notwendigen Sparmaßnahmen?

Die erste Entgegnung, die an dieser Stelle notwendig ist, bezieht sich auf einen simplen Umstand. Wollen wir überhaupt ein bedingungsloses Grundeinkommen? Sie ist politisch zu entscheiden, ebenso wie die Höhe, in der es liegen sollte.

Bevor wir nicht wissen, was wir wollen, wie das bedingungslose Grundeinkommen konkret aussehen sollte, können wir über Kosten gar nicht reden. Wir können dies aber auch aus weiteren Gründen nur in Gestalt von Vermutungen, ohne in der Lage zu sein, verläßliche Aussagen über die Zukunft zu treffen.

Wenn die Finanzierungsfrage beantwortet werden soll, müssten wir über ausreichende Infomationen über die tatsächliche Wertschöpfungsleistung in Deutschland in der Zukunft verfügen. Dies ist unmöglich, weil wir nicht wissen, wie sie sich entwickeln wird.

Behelfszahlen zur Berechnung gegenwärtiger Wertschöpfung stellt das Statistische Bundesamt zur Verfügung. Mit diesen Zahlen rechnen wir gemeinsam mit Helmut Pelzer gegenwärtig an der Finanzierung. Diese Zahlen allerdings geben zum einen immer nur vergangene Werte wieder und stellen zudem ein Artefakt dar. In diesen Zahlen kommt nur zum Ausdruck, was auch gemessen worden ist. Dies ist ein allgemeines Problem, das auch in folgendem Zusammenhang zum Tragen kommt: Das unseren Berechnungen zugrunde gelegte Modell ist ein einkommenssteuerfinanziertes (in einem weiten Sinne des Begriffs, da alle Einkommensarten herangezogen werden). Es rechnet also mit einer Basis, die sich ja gerade bei Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens z.T. drastisch verändern wird und insofern eigentlich nicht tauglich ist, es zu berechnen. Über die Zukunft sagen uns diese Zahlen nichts. Dass sie dies tun könnten, wird aber geflissentlich vorausgesetzt, wenn der Finanzierungseinwand erhoben wird.

Darüber hinaus entsprechen die Zahlwerte gegenwärtigen Preisrelationen. Die Veränderungen im Preisgefüge nicht nur auf den Gütermärkten, sondern auch in der Wertschätzung bestimmter Berufe, die heute eher als schlecht bezahlt, aber anstrengend und fordernd gelten, wäre ein weiterer zu erwartender Effekt eines Grundeinkommens, der nicht vorausgesehen werden kann.

Zu guter Letzt wird in den Erhebungen nicht erfasst, welche Finanzmittel dadurch frei werden, dass demotivierende Effekte gegenwärtiger Regelungen mit einem Grundeinkommen beseitigt würden. Auch wissen wir wenig bis gar nichts über das nicht genutzte Automatisierungspotential.

All diese Unwägbarkeiten sind zu beachten, wenn die Frage nach der Finanzierung erhoben wird. Entscheiden wir uns für ein bedingungsloses Grundeinkommen, dann wären auf der Grundlage dieser Überlegungen von Experten die Frage zu beantworten, in welcher Höhe ein bedingungsloses Grundeinkommen schließlich finanziert werden kann. Dabei besteht die Schwierigkeit nicht zuletzt darin, eine seriöse Finanzierungsrechnung vorzulegen, die immer nur den status quo zugrunde legen kann. Nicht berechnet, nur vermutet werden kann, welche langfristigen Veränderungen in allen Bereichen unseres Lebens durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu erwarten sind.

Entscheidend bleibt aber die Frage für die Gegenwart und sie ist nicht finanztechnisch zu beantworten: Was wollen wir, welchen Weg wollen wir in Zukunft gehen? Ein bedingungsloses Grundeinkommen bietet eine langfristige Lösung mit Chancen für unsere politische Gemeinschaft; wir könnten damit in der gegenwärtigen Krise einen neuen Weg beschreiten.

 

Ein BGE als politisch-kulturelles Erbe

Ein bedingungsloses Grundeinkommen läßt sich auch als eine Art Wertschöpfungsdividende betrachten. Die wirtschaftliche Wertschöpfung erfolgt ja auf der Grundlage der Leistung vorangehender Generationen, insbesondere auf Basis der von der Allgemeinheit erzeugten Kulturleistungen und der Verfügung über technologisches Wissen. Weil diese Grundlage durch das Leben und die Arbeit vieler Generationen hervorgebracht wurde, ist sie zweifellos Eigentum aller. Jeder Bürger unseres Gemeinwesens kann sich gleichermaßen als Erbe dieser Leistung begreifen. Dieses Erbe wird unter anderem in gemeinschaftlichen Bildungseinrichtungen, Universitäten und Bibliotheken bereit gestellt. Die private Nutzung dieses Erbes durch Unternehmen und Erwerbstätige rechtfertigt eine Beteiligung der Allgemeinheit an den auf dieser Grundlage erwirtschafteten Unternehmensgewinnen und Erwerbsarbeitseinkommen.

Wollen wir eine langfristige Lösung gegenwärtiger Probleme erreichen und die Chance auf einen Zugewinn an Freiheit nutzen, dann, so sind wir überzeugt, müssen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen.