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Text aus:

 

Bürgersteuer -

Entwurf einer Neuordnung von direkten Steuern und Sozialleistungen

 

 

Wolfram Engels, Armin Gutowski, Walter Hamm, Wernhard Möschel, Wolfgang Stützel, Carl Christian von Weizsäcker, Hans Willgerodt (KRONBERGER KREIS)

 

April 1986

Frankfurter Institut für wirtschaftspolitische Forschung e.V.

Kaiser-Friedrich-Promenade 157

6380 Bad Homburg v.d.H.

 

ISBN 3-89015-011-X


 

 

 

II. Staatsaufgaben und ihre Finanzierung

 

2. Die Staatsausgaben sind in der Bundesrepublik Deutschland zu hoch. Das hat im wesentlichen drei Gründe:

 

- Zum ersten hat der Staat eine Reihe von Aufgaben an sich gezogen, die nicht eigentlich Staatsaufgaben sind, sondern über Märkte besser gelöst werden könnten. Das ist der Problemkreis einer Staatsaufgabenreform.

 

- Zum zweiten werden viele Staatsaufgaben weniger wirtschaftlich erfüllt, als es möglich wäre. Das ist der Problemkreis einer Rationalisierung der Staatstätigkeit.

 

- Zum dritten hat der Staat in der Vergangenheit ein erhebliches Vermögen aufgebaut, das er zur Erledigung seiner Aufgaben nicht braucht.

 

Diese Problemkreise werden in der vorliegenden Untersuchung nicht behandelt. Sie bilden aber den Hintergrund, vor dem man eine Steuerreform sehen sollte.

 

 

3. Der Staat kann seine Ausgaben über Preise (einschließlich Gebühren und Beiträge), über Steuern oder durch Aufnahme von Krediten finanzieren. Für die Art der Finanzierung gibt es einfache Regeln: Überall, wo der Staat eine unmittelbar zurechenbare Leistung erbringt, sollte sie nicht über Steuern, sondern über Preise, Gebühren oder Beiträge finanziert werden. Steuern lösen Widerstand aus, also Steuerumgehung, Steuervermeidung oder Steuerhinterziehung. Sie führen immer zu einem gewissen Maß an Fehlallokation, also zu gesamtwirtschaftlicher Verschwendung. Dagegen gibt es keinen Preiswiderstand in demselben Sinne wie es einen Steuerwiderstand gibt. Für die Finanzierung über Steuern statt über Preise werden üblicherweise soziale Argumente vorgebracht. Man sagt, daß Bezieher niedriger Einkommen bestimmte Güter wie Wohnungen, Gesundheits- und Bildungsleistungen nicht bezahlen können, wenn kostendeckende Preise verlangt würden. Es ist aber sowohl gerechter als auch effizienter, den Bedürftigen Geld zu geben, über das sie frei verfügen können, als ihnen verbilligte Eisenbahnfahrkarten, Wohnungen oder Studienplätze zur Verfügung zu stellen (vgl. Tz. 33). Es gibt nur zwei Staatsaufgaben, die eine Finanzierung durch Steuern erfordern, nämlich die Erstellung öffentlicher Güter (Verteidigung, Rechtspflege u.a.) und die Umverteilung.

 

Der Staat hat in der Vergangenheit in erheblichem Maße Vermögen gebildet. Dabei handelt es sich sowohl um Hoheitsvermögen (Amtsgebäude, Straßen, Verteidigungsgeräte, Deiche, Kanäle u.a.) als auch um werbendes Vermögen (Haus- und Grundbesitz, Wälder, Banken, Versicherungen, Industriebetriebe u.a.). Aus werbendem Vermögen fließen dem Staat nur so geringe Einnahmen zu, daß diese Vermögensart nicht erforderlich ist, um seine Ausgaben zu decken. Das Hoheitsvermögen sollte in der Regel aus Abgaben finanziert werden, weil sein wirtschaftlicher Wert oft zweifelhaft ist und vieles dafür spricht, daß derjenigen Generation, die über staatliche Projekte zu entscheiden hat, auch die Kosten in Gestalt höherer Abgaben auferlegt werden. Allenfalls könnten staatliche Nettoinvestitionen von hoher gesamtwirtschaftlicher Produktivität durch Kreditaufnahme finanziert werden. Besonders bedenklich sind staatliche Defizite dagegen, wenn sie der Finanzierung des öffentlichen Konsums dienen.

 

 

4. Sozialversicherungsbeiträge haben gegenwärtig zumindest teilweise den Charakter von Steuern. Zwar steht diesen Beiträgen eine Gegenleistung gegenüber. Die Gegenleistung ist den Beiträgen aber nicht äquivalent. Es wird innerhalb des Kreises der Sozialversicherten umverteilt. Diese Umverteilungselemente verhindern eine wirksame Reform des Sozialversicherungssystems. Man sollte die Sozialversicherung von der Aufgabe der Umverteilung entlasten und diese Aufgabe dem Steuersystem zuweisen. Die Sozialversicherungen würden dadurch teilweise zu echten Versicherungen, die vom Arbeitsvertrag und vom Einkommen abgekoppelt werden könnten. Der Sozialversicherungsbeitrag wäre ein Preis, keine Steuer.

 

 

5. Zusätzliches Einkommen wird heute regelmäßig zu mehr als 60 Prozent mit Abgaben belastet, wenn man die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung mitberücksichtigt. Das bedeutet einen außerordentlich starken Anreiz zum Ausweichen in die Schwarzarbeit, in die Schattenwirtschaft, überhaupt in die Vermeidung von Marktleistungen (Do it yourself etc.). Wären die Beiträge zur Sozialversicherung echte Versicherungsprämien (vgl. Tz. 35f.), so bestünde die Grenzbelastung des Einkommens lediglich in der Einkommensteuer. Der Anreiz zur Vermeidung von Abgaben würde also stark reduziert. Das Ideal eines neutralen Steuersystems ist insofern nie zu erreichen, als jegliche Steuer zum Ausweichen in die Schattenwirtschaft reizt. Das ist ein wichtiger Grund dafür, daß die Steuerlast insgesamt niedrig bleiben sollte. Ist die Belastung mit Steuern und Abgaben hoch, dann wächst die Schattenwirtschaft. Es entstehen Steuerausfälle. Diese Steuerausfälle werden mit Erhöhungen der Steuersätze beantwortet, wodurch der Anreiz zum Ausweichen in die Schattenwirtschaft noch weiter verstärkt wird. Unser derzeitiges Steuersystem ist in viel höherem Maße nicht neutral, als es möglich und notwendig wäre. Neutral ist eine Steuer dann, wenn Entscheidungen unter Berücksichtigung von Steuern nicht anders ausfallen, als wenn es keine Steuern gäbe. Derzeit fallen allerdings die meisten Entscheidungen unter steuerlichen Gesichtspunkten ganz anders als ohne sie. So werden wirtschaftliche Aktivitäten aus hochbesteuerten in niedrigbesteuerte oder in subventionierte Bereiche abgedrängt. Auch deshalb braucht man immer höhere Steuersätze, um ein notwendiges Steueraufkommen zu erzielen. Ein neutraleres Steuersystem ist bei gegebenen Steuersätzen wesentlich ergiebiger als ein weniger neutrales, und es richtet gleichzeitig weniger wirtschaftliche Schäden an. In den letzten 20 Jahren wurden fast alle Steuersätze entweder explizit oder heimlich (Inflation!) erhöht, ohne daß die Steuerlastquote sich merklich verändert hätte. Diese Kombination – höhere Steuersätze bei konstanter Steuerlastquote - ist Ausdruck schwerer wirtschaftlicher Schäden, die das Steuersystem anrichtet.

 

 

6. Das Glanzstück unseres heutigen Steuersystems ist die Mehrwertsteuer. Sie ist weitgehend neutral. Dasselbe gilt mit Einschränkung für die Kraftfahrzeug- und die Mineralölsteuer. Diese Steuern sollen der Finanzierung der Straßenausgaben dienen. Es ist richtig, daß soweit als möglich diejenigen Steuern zahlen sollten, die von den betreffenden staatlichen Ausgaben begünstigt werden. Insoweit ist die Zuordnung von Mineralöl- und Kraftfahrzeugsteuer zu den Verkehrswegeausgaben des Staates vernünftig. Die speziellen Verbrauchsteuern sind zwar in hohem Maße diskriminierend; dies ist jedoch vom Gesetzgeber auch aus politischen Gründen gewollt.

 

Aber selbst mit politischen Erwägungen sind einige Verbrauchsteuern nur noch schwer begründbar (Leuchtmittelsteuer, Salzsteuer u.a.). Keine überzeugende Rechtfertigung gibt es für die Steuern auf den Kapitalverkehr (Gesellschaftsteuer, Wechselsteuer, Börsenumsatzsteuer, Grunderwerbsteuer). Gemessen an ihrem Aufkommen richten diese Steuern besonders große wirtschaftliche Schäden an. Sie sollten ersatzlos abgeschafft werden (vgl. KRONBERGER KREIS: „Vorschläge zu einer ,Kleinen Steuerreform"', Juli 1983). Die Gewerbesteuer ist in ihrer heutigen Form wirtschaftlich besonders schädlich. Sie ist eine Strafsteuer auf solide Unternehmensfinanzierung. Sie ist ein wichtiger Grund für die niedrigen Eigenkapitalquoten deutscher Unternehmen. Sie lenkt die Wirtschaftsaktivität aus dem hochproduktiven gewerblichen Bereich in wenig produktive Bereiche ab. Sie steht der Schaffung von Arbeitsplätzen im Wege. Eine Gewerbesteuerreform unter Erhaltung der Gemeindefinanzautonomie ist dringlich.

 

 

7. Die Reform des Systems der direkten Steuern und der persönlichen Umverteilungsmaßnahmen sollte in dem hier dargestellten Rahmen gesehen werden. Fassen wir zusammen:

 

- Die Staatsausgaben sind zu hoch, weil der Staat eine Fülle von Aufgaben an sich gezogen hat, die der Selbstverantwortung des einzelnen überlassen und über der Markt besser gelöst werden könnten, weil ferner viele Aufgaben ineffizient erledigt werden und weil der Staat ein erhebliches Vermögen aufgebaut hat.

 

- Der Anteil der Steuerfinanzierungen an den Staatsausgaben ist zu hoch, weil zahlreiche Staatsaufgaben mit Hilfe von Steuern finanziert werden, die besser durch Preise finanziert werden sollten.

 

- Die Steuersätze sind höher, als es notwendig wäre, weil die Steuern mehr als unvermeidbar nichtneutral sind, so daß man für ein gegebenes Steueraufkommen höhere Sätze braucht, als sie bei einem neutraleren Steuersystem notwendig wären.