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Text aus:

Bürgersteuer – Entwurf einer Neuordnung von direkten Steuern und Sozialleistungen

 

Wolfram Engels, Armin Gutowski, Walter Hamm, Wernhard Möschel, Wolfgang Stützel, Carl Christian von Weizsäcker, Hans Willgerodt (KRONBERGER KREIS)

 

April 1986

Frankfurter Institut für wirtschaftspolitische Forschung e.V.

Kaiser-Friedrich-Promenade 157

6380 Bad Homburg v.d.H.

 

ISBN 3-89015-011-X

 


 

 

 

IV. Im Labyrinth der Umverteilung

 

28. Es ist allgemein akzeptiert, daß eine wohlhabende Gesellschaft keines ihrer Mitglieder hungern lassen kann, selbst dann nicht, wenn die Notlage verschuldet ist. Würden Umverteilungsmaßnahmen der Sicherung der elementaren Lebensbedürfnisse dienen, dann wäre das Ausmaß der Umverteilung mit wachsenden Wohlstand zurückgegangen. Tatsächlich ist zumindest die Zahl der Umverteilungsmaßnahmen immer weiter angestiegen. Vermutlich ist auch der Umfang der Umverteilung gewachsen. Es gibt inzwischen zahlreiche Fälle, in denen es für den einzelnen oder die Gruppe attraktiver ist, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, als sich um Arbeit zu bemühen. Sozialhilfe in Verbindung mit etwas Schwarzarbeit oder Selbstversorgung ermöglicht einer zunehmenden Zahl von Menschen einen höheren Lebensstandard als reguläre Arbeit. Die Vorstellung, es gäbe in der Bundesrepublik eine weltverbreitete Armut, ist absurd. Wer heute gänzlich ohne eigenes Einkommen ist, der hat so viele Möglichkeiten, staatliche Hilfen zu bekommen, daß er insgesamt einen Lebensstandard erreicht, der beispielsweise den eines Arbeiters in der DDR weit übersteigt oder der Mitte der 50er Jahre von der Mehrheit der Bevölkerung eher als Wohlstand empfunden worden wäre. Hier geht es in erster Linie um die Methoden, nach denen Umverteilung betrieben wird, also nicht um die Frage, ob mehr oder weniger umverteilt werden sollte, sondern nur darum, wie man das Umverteilungssystem rationalisieren kann. Dennoch darf nicht vergessen werden, daß die Rationalisierung des Umverteilungssystems mit einer Senkung des Umverteilungsvolumens einhergehen sollte. Häufig haben sozial gedachte Maßnahmen unsoziale Wirkungen, oder die Umverteilung erstreckt sich auf solche Fälle, in denen sich der Begünstigte selbst helfen könnte, einer Hilfe anderer also nicht bedürfte (Subsidaritätsprinzip).

 

 

29. Das System der personellen Umverteilung, das einen Ausgleich zwischen den Leistungsfähigen und den Bedürftigen schaffen soll, besteht im wesentlichen aus fünf eigenständigen Regelungsbereichen:

 

- Aus dem Bereich der persönlichen Steuern. Er umfaßt die Einkommensteuer (einschl. Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer), die Körperschaftsteuer, die Vermögensteuer, die Erbschaftsteuer (einschl. Erbersatz- und Schenkungssteuer).

 

- Aus dem Bereich der Transferzahlungen, also z.B. Sozialhilfe, Kindergeld, Wohngeld, Ausbildungsförderung. Er umfaßt rund 90 verschiedene Transferzahlungen, die von 40 verschiedenen Behörden und Quasi-Behörden verwaltet werden.

 

- Aus dem Bereich der Objekt-Subventionen mit sozialer Absicht, also z.B. dem Sozialen Wohnungsbau, den Nahverkehrssubventionen, der Studiengeldfreiheit an den Universitäten. Die Anzahl dieser Objektsubventionen ist schwer angebbar, weil viele Subventionen mit primär wirtschaftspolitischer Absicht eigentlich sozialpolitische Ziele verfolgen.

 

- Aus der Umverteilung innerhalb des Mitgliederkreises der Sozialversicherungen.

 

- Aus der „Sozialpolitik zu Lasten Dritter“, also aus denjenigen Maßnahmen, die nicht die Staatskasse, sondern irgendwelche anderen Bürger belasten. Dazu gehören der Mutterschutz, der Mieterschutz, die Lohnfortzahlung, der Kündigungsschutz und viele andere sozialpolitische Maßnahmen.

 

Auch der Finanzausgleich zwischen Gebietskörperschaften hat Verteilungswirkungen für die Bürger. Überdies gibt es kaum Gesetze, die nicht eine sogenannte soziale Komponente enthalten. Dahinter scheint die Vorstellung zu stehen, daß viele soziale Komponenten auch viel soziale Gerechtigkeit ergeben.

 

 

30. Tatsächlich wird Gerechtigkeit auf diese Weise gerade verfehlt. Die Verteilungswirkungen dieses Konglomerates von Maßnahmen sind überhaupt nicht mehr kalkulierbar. Was immer die Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit sein mögen: Jede Gerechtigkeitsvorstellung erfordert für den einzelnen Durchschaubarkeit, also die Kenntnis dessen, wieviel er zu zahlen hat und wieviel er zu empfangen berechtigt ist. Dies ist heute im seltensten Fall gegeben. Der einzelne weiß weder, wessen Hand in seiner Tasche ist und wieviel daraus entnommen wird, noch weiß er, wer wieviel in die andere Tasche hineinsteckt. In einer großen Zahl von Fällen müssen die Begünstigten selbst über Steuern das aufbringen, was sie nachher an Subventionen erhalten - nicht ohne daß der Staat einen gehörigen Verwaltungskostenanteil abzweigt.

 

 

31. Umverteilung ist dann am wirksamsten, wenn das Geben und Nehmen in Form von Geld vorgenommen wird und wenn sie an keine andere Bedingung als die Leistungsfähigkeit einerseits und an die Bedürftigkeit andererseits geknüpft wird. Das ist die in der Wissenschaft altbekannte Forderung der Trennung von Allokation und Redistribution oder - anders ausgedrückt - der Trennung des Systems der Märkte vom System des interpersonellen Finanzausgleichs. In unserem System werden riesige Geldströme bewegt, wobei aber weder der Umfang des Verteilungseffektes noch dessen Richtung bekannt sind.

 

 

32. Die einfache Grundidee der Bürgersteuer ist es, Steuerpflicht und Unterstützungsanspruch zu saldieren und den Saldo als Steuer zu erheben oder als Unterstützung auszuzahlen. Dieser technische Vorgang der Saldierung bringt zwar einige Verwaltungsvereinfachungen, und er reduziert die Zahlungsströme. Das ist aber von untergeordneter Bedeutung. Die Einheitlichkeit des Verfahrens führt auch materiell zur Gleichbehandlung. Heute ist es nicht sicher, ob jeder Leistungsfähige Steuern zahlt und ob nur Leistungsfähige Steuern zahlen. Hier dagegen zahlt jeder Leistungsfähige, aber auch nur der Leistungsfähige, Bürgersteuer. Heute ist es ungewiß, ob jeder, der unterstützt wird, auch bedürftig ist. Hier soll sichergestellt werden, daß nur der Bedürftige unterstützt wird. Unser derzeitiges Umverteilungssystem ist ineffizient; es ist aber auch sehr ungerecht und teilweise in sich widersprüchlich

 

 

33. Der geringere Teil der Ineffizienz besteht darin, dass man Dutzende von verschiedenen Behörden braucht, um die verschiedenen Steuern, Transfers und Objektsubventionen zu verwalten. Die sogenannte allokative Ineffizienz sei am Beispiel des Sozialen Wohnungsbaus erläutert. Wenn der Staat Steuern erhebt, ist dies notwendigerweise mit Verwaltungsaufwand verbunden. Dazu kommen die Kosten der Steuervermeidung und die der Fehlallokation, die auch im besten Steuersystem nicht zu verhindern sind. Nehmen wir - nur als Beispiel - an, die Kosten der Steuererhebung in Form von Verwaltungskosten, Steuervermeidung und Fehlallokation betrügen 25 Prozent des Steueraufkommens, so muß der Staat seinen Bürgern ein Opfer von 100,- DM auferlegen, wenn er 80,- DM Steuereinnahmen haben will. Verwendet er diese 80,- DM, um den Sozialen Wohnungsbau zu fördern, so wird damit gleichzeitig die Nachfrage nach Grundstücken, nach Hypotheken, nach Bauleistungen erhöht. Ein Teil der aufgewandten Mittel kommt also nicht dem zu fördernden Mieter, sondern den Grundstückseigentümern, Bauunternehmern und Banken zugute. Wird nun die Sozialwohnung dank der staatlichen Subventionierung zu einem Mietpreis unter der Marktmiete angeboten, so findet sie mit Sicherheit auch Mieter. Nehmen wir an, eine Sozialwohnung werde um 70,- DM billiger als eine entsprechende freifinanzierte Wohnung angeboten. Ein Begünstigter wird diese Wohnung auch dann nehmen, wenn sie für ihn ungünstig geschnitten oder zu weit von seiner Arbeitsstelle entfernt ist - vorausgesetzt, seine Nutzeneinbuße gegenüber einer freifinanzierten Wohnung ist kleiner als 70,- DM. Nehmen wir nun weiter an, die Verbilligung um 70,- DM sei dem Begünstigten nur 35,- DM wert. Das bedeutet dann durchgerechnet, dass von 100,- DM an Opfern, die der Staat seinen Bürgern auferlegt, nur ein Drittel als Nutzen bei dem ankommt, der begünstigt werden soll. Dieses Beispiel erhebt keinen Anspruch auf zahlenmäßige Richtigkeit. Es gibt jedoch eine Reihe von Schätzungen, die die Vermutung nahelegen, daß von den Beträgen, die für Objektsubventionen aufgewandt werden, weniger als die Hälfte bei den Begünstigten tatsächlich ankommt. Einen wesentlich besseren Wirkungsgrad erreicht man, wenn zwar in Geld gezahlt wird, die Zahlung aber an Bedingungen hinsichtlich der Verwendung des Geldes geknüpft ist. Das Wohngeld ist ein solcher Fall. Auch hier wäre die von Bedingungen freie Verfügbarkeit wirkungsvoller, doch lässt sich in einzelnen Fällen darüber streiten, ob der Staat aus einer Fürsorgepflicht heraus gewisse Zahlungen an Bedingungen knüpfen soll.

 

 

34. Eine Sonderstellung kommt den Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung (Arbeitslosen-, Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung) zu. Die Idee der Versicherung hat mit der Umverteilung nichts zu tun. Sie sollte sich vielmehr nach dem Prinzip eines äquivalenten Leistungsaustausches zwischen dem Wert der zu erwartenden Leistungen des Versicherers und dem Wert der eingezahlten Beiträge ausrichten. Wie jede freiwillige Versicherung, so sollte auch die Zwangsversicherung allein die risikomindernde zeitliche Umverteilung von Kaufkraft bei ein und derselben Person bewirken.

 

 

35. In der gesetzlichen Krankenversicherung ist das Umverteilungselement besonders stark ausgeprägt. Die Beiträge richten sich nicht nach zu erwartenden Schäden, sondern nach dem Einkommen. Ein alteinstehender Bezieher eines höheren Einkommens zahlt weit mehr, als es den zu erwartenden Leistungen der Versicherung entspricht, während umgekehrt die kinderreiche Familie eines Hilfsarbeiters nur einen Bruchteil dessen zu zahlen hat, was sie im Regelfall aus der Kasse der Versicherungsgemeinschaft herausholt. Diese Umgestaltung eines Versicherungsbeitrages in eine Steuer blockiert jede vernünftige Reform des Gesundheitswesens. Wir werden diese Zusammenhänge in einer gesonderten Veröffentlichung ausführlicher erläutern.

 

Auch die gesetzliche Rentenversicherung enthält eine Reihe von teils ganz erheblichen Umverteilungselementen. So zahlen Alleinstehende dieselben Beiträge wie Familienvorstände, obgleich die versicherungsmathematischen Ansprüche der letzteren weit höher sind. So gibt es die Ausfall- und Ersatzzeiten, also Zeiten, in denen eine Versicherungsdauer oder ein Beitrag fingiert wird. Auch hier gilt, daß Umverteilungskomponenten nicht in die Versicherung hineingehören.

 

 

36. Versucht man die Umverteilungsabsichten dadurch zu verwirklichen, daß man in das Preissystem oder in die Vertragsfreiheit eingreift, dann wird das System zunächst unwirtschaftlich. Das bedeutet, daß ein kleinerer oder ein größerer Teil der produktiven Kräfte, als es vernünftigerweise erforderlich wäre, in bestimmten Sektoren gebunden ist. So wird etwa durch den Sozialen Wohnungsbau die Nachfrage nach Wohnungen künstlich vergrößert und deshalb Kapital in den Wohnungsbau gelenkt, das anderweitig eine günstigere Verwendung fände. Eine andere Form dieser allokativen Ineffizienz ist zu konstatieren, wenn Vertragspartner bei Eingriffen in die Vertragsfreiheit ihre Interessen nicht mehr nach ihren Wünschen ausgleichen können. Ein Beispiel dafür ist der Kündigungsschutz. Für die Unternehmen stellt er einen Kostenfaktor und für die Arbeitnehmer einen Nutzen dar. Ist der in Geld bewertete Nutzen für den Arbeitnehmer größer, als es die Kosten für den Arbeitgeber sind, so werden beide freiwillig Kündigungsschutz vereinbaren. Ist dagegen dem Arbeitnehmer der Kündigungsschutz weniger wert, als er den Unternehmer kostet, dann wäre der Unternehmer bereit, einen höheren Lohn zu zahlen, wenn der Kündigungsschutz abdingbar wäre. Dem Arbeitnehmer wäre dieser höhere Lohn mehr wert als der Kündigungsschutz. Durch die Form des gegenwärtigen Kündigungsschutzes werden die vertragsschließenden Parteien daran gehindert, eine für beide Seiten vorteilhafte Vertragsgestaltung zu wählen.

 

 

37. Greift der Gesetzgeber in wohlwollender Absicht in den Markt ein, um die einen zu belasten, die anderen zu begünstigen, dann erzeugt er damit immer auch Anpassungs- und Ausweichreaktionen. So etwa ist der Mutterschutz teilweise dafür verantwortlich, daß Frauen weniger verdienen und daß Frauen häufiger arbeitslos sind als Männer. Der Staat kommt nun in Versuchung, die von ihm selbst erzeugten Mißstände mit neuen Eingriffen zu bekämpfen. Diese neuen Eingriffe erzeugen neue Mißstände und diese ihrerseits neue Eingriffsnotwendigkeiten. Ganze Sequenzen solcher Eingriffe (Interventionsspiralen) lassen sich aufzeigen. Damit werden die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft und die Elastizität von Marktreaktionen zerstört. Der Strukturwandel wird erschwert, und die Wirtschaft verkalkt. Der Gesetzgebungsapparat wird in immer schnellere Bewegung gesetzt, und um diese Flut von Gesetzen zu verwalten, muß der Staatsapparat vergrößert werden. Dieser Staatsapparat hat sein Spiegelbild in der privaten Wirtschaft. Das ist eigentlich der wichtigste Gesichtspunkt dafür, daß das System der Märkte vom System der Umverteilung getrennt werden sollte. Die Bürgersteuer ist das Instrument, welches diese Trennung möglich macht.