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Text aus:

Bürgersteuer – Entwurf einer Neuordnung von direkten Steuern und Sozialleistungen

 

Wolfram Engels, Armin Gutowski, Walter Hamm, Wernhard Möschel, Wolfgang Stützel, Carl Christian von Weizsäcker, Hans Willgerodt (KRONBERGER KREIS)

 

April 1986

Frankfurter Institut für wirtschaftspolitische Forschung e.V.

Kaiser-Friedrich-Promenade 157

6380 Bad Homburg v.d.H.

 

ISBN 3-89015-011-X

 


 

 

 

V. Wirtschaftliche Steuerwirkungen

 

38. Die heutige Einkommensteuer begünstigt den Konsum und bestraft das Sparen. Eine neutrale Einkommensteuer müßte das Austauschverhältnis von gegenwärtigem und zukünftigem Konsum unverändert lassen. Wer also 1.000,- DM verdient, kann bei 10 Prozent Zins entscheiden, ob er die 1.000,- DM heute konsumiert oder ob er den Betrag anlegt und dann 1.100,- DM in einem Jahr verbrauchen kann. Das Austauschverhältnis von gegenwärtigem und zukünftigem Konsum ist 1 zu 1,1. Eine neutrale Steuer würde dieses Austauschverhältnis unverändert lassen. Bei einem Steuersatz von 50 Prozent wären das 500,- DM heute, gegenüber 550,- DM in einem Jahr. Unsere Einkommensteuer verändert aber wegen der sofortigen Besteuerung der Ersparnis, damit verminderter Möglichkeit, Zinserträge zu erzielen, und trotzdem voller Heranziehung der Zinserträge zur Einkommensteuer das Verhältnis bei einem Steuersatz von 50 Prozent schon nach einem Jahr auf 500,- DM heute zu 525,‑ DM in einem Jahr, also von 1 zu 1,1 auf 1 zu 1,05. Bei einer Anlage von 500,- DM über zwanzig Jahre und einer Verzinsung von 10 Prozent bleibt dem Sparer mit dem Steuersatz von 50 Prozent ein Betrag von 1.327,- DM. Bei neutraler Besteuerung bleiben ihm 3.364,- DM. Erspartes Einkommen wird also so besteuert, daß das Austauschverhältnis zwischen Gegenwarts- und Zukunftskonsum zu Lasten des Zukunftskonsums, also der Ersparnis, verschoben wird. Berücksichtigt man Vermögensteuer und Gewerbesteuer, so ergibt sich darüber hinaus eine durch die Steuerarten bedingte Mehrfachbesteuerung der Ersparnis. Diese Diskriminierung der Ersparnis wird noch wesentlich verschärft, wenn die Preise steigen und der Zins einen Inflationsausgleich enthält. Dann kommt es zu einer Besteuerung von Scheineinkommen, und zwar sowohl bei den Erträgen von Geldvermögen als auch bei den Gewinnen.

 

 

39. Der Gesetzgeber hat mit einer Fülle von Maßnahmen versucht, der intertemporalen Mehrfachbesteuerung entgegenzuwirken. Das ist allerdings höchst unsystematisch geschehen. Wer durch Vermögensbildung für die Zukunft vorsorgt, der muß grundsätzlich nicht nur den gesparten Betrag, sondern auch die daraus fließenden Zinsen versteuern. Er muß den Vermögensbestand der Vermögensteuer unterwerfen und den ererbten Betrag auch der Erbschaftsteuer. Wer Vermögensbildung in Form einer Lebensversicherung betreibt, der kann die Beiträge im Rahmen der Sonderausgaben von seinem Einkommen absetzen, und er muß die Zinsen nicht versteuern. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber versucht, der Vermögensbildungsfeindlichkeit unseres Steuersystems durch die Förderung der Vermögensbildung entgegenzuwirken. Schon wegen der Möglichkeit, vorhandenes Vermögen in privilegierte Formen zu bringen, ist es zweifelhaft, ob solche Maßnahmen - Sparprämien und Arbeitnehmerzulagen - die Vermögenbildung wirklich fördern oder ob sie sie nicht vielmehr hemmen.

 

 

40. Die Ersparnis wird gegenüber dem Konsum diskriminiert und in verschiedenen Formen ungleich behandelt. Diese ungleiche Behandlung setzt sich verstärkt fort, wenn andere Formen der Altersvorsorge in die Betrachtung einbezogen werden. In der gesetzlichen Rentenversicherung taucht der Arbeitgeberbeitrag gar nicht als Einkommen auf. Der Arbeitnehmerbeitrag ist im Rahmen der Sonderausgaben abzugsfähig. Die Verzinsung der Einzahlungen erscheint nicht explizit. Sie wird im Rahmen des sogenannten Ertragsanteils pauschaliert. Da dieser Ertragsanteil außerordentlich niedrig angesetzt ist, bleiben Renten in fast allen Fällen steuerfrei. Darüber hinaus leisten die öffentlichen Haushalte erhebliche Zuschüsse an die Rentenversicherungsträger. Das gesamte System der Altersvorsorge im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung wird nicht besteuert, sondern netto subventioniert. Bei Beamten wird der Erwerb der Anwartschaft auf Beamtenruhegehalt deshalb nicht steuerpflichtig, weil Beiträge explizit nicht auftauchen. Dafür ist dann allerdings das Beamtenruhegehalt selbst voll steuerpflichtig. Die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst, die die Ruhebezüge der öffentlichen Angestellten auf dasselbe Niveau wie die Beamtenbezüge heben soll, ist wiederum praktisch nicht steuerpflichtig, so daß die Nettobezüge der Angestellten im öffentlichen Dienst unübertroffen hoch sind. Im Falle von betrieblichen Pensionszusagen wird der Rückstellungsbetrag mit einer sehr niedrigen Lohnsteuerpauschale belegt. Die Betriebsrenten sind wiederum de facto steuerfrei. Der sogenannte Generationenvertrag auf kollektiver Basis, also die gesetzliche Rentenversicherung, bleibt unbesteuert. Ganz anders ist es beim Generationenvertrag innerhalb der Familie. Wer seine eigenen alten Eltern unterstützt, der muß den Betrag grundsätzlich versteuern. Die Besteuerung wird lediglich durch Absetzungsmöglichkeiten im Rahmen außergewöhnlicher Belastungen gemildert.

 

Die steuerliche Ungleichbehandlung verschiedener Formen der Zukunftsvorsorge läßt zwei Tendenzen erkennen: Einmal werden alle Umlageverfahren günstiger behandelt als Verfahren, die auf Kapitalbildung basieren, und zum zweiten werden alle kollektiven Formen der Altersvorsorge günstiger behandelt als die individuellen. Bei der gegenwärtigen Besteuerung wird also die Kapitalbildung behindert und die kollektive Vorsorge der individuellen übergeordnet. Volkswirtschaftlich wäre genau das Gegenteil vernünftig. Kapitalbildung ist volkswirtschaftlich produktiv. Sie erhöht nicht allein die Kapitaleinkünfte, sondern auch die Arbeitseinkommen. Die individuelle Vermögensbildung ist der kollektiven schon deshalb vorzuziehen, weil unmittelbares Vermögen - wie das Eigenheim - oft einen größeren Nutzen stiftet als bloße Ansprüche gegen Kollektivvermögen. In der Bürgersteuer werden sämtliche Formen der Zukunftsvorsorge gleich behandelt. Alle Beiträge für die Zukunftsvorsorge - sei es in Form der Kapitalbildung, sei es in der Form des Erwerbs von Rentenanwartschaften - gelten in dem entsprechenden Jahr als Ersparnis und unterliegen nicht der laufenden Besteuerung. Dagegen stellen Entnahmen aus Vermögen steuerpflichtigen Konsum dar, ebenso wie alle Rentenzahlungen grundsätzlich zum steuerpflichtigen Einkommen zählen.

 

 

41. Unser derzeitiges Steuersystem diskriminiert in hohem Maße unterschiedliche Formen der Investitionen. Daraus entstehen starke Kapitalumlenkungseffekte. Das gilt im besonderen Maße für die sogenannten Abschreibungsobjekte. Hier wurden gewaltige Kapitalmengen volkswirtschaftlich verschwendet. Bei der Bürgersteuer würden alle Kapitalanlagen völlig gleich besteuert. Da diese Steuer auch intertemporal neutral ist, verliert die Frage, ob ein Gut als Konsumgut oder als Investitionsgut zu zählen sei, einen großen Teil seiner Bedeutung. Deshalb wäre es auch für selbstgenutzte Wohnungen gleichgültig, ob diese als Konsumgut oder als Investitionsgut deklariert würden. Unser an anderer Stelle gemachter Vorschlag („Mehr Markt in der Wohnungswirtschaft", KRONBERGER KREIS, Schriftenreihe Bd. 7, Juni 1984), für die selbstgenutzte Wohnung eine Option zwischen der Konsumgutlösung und der Investitionsgutlösung zuzulassen, fügt sich also in das vorgeschlagene System der Bürgersteuer ein.

 

 

42. Unser gegenwärtiges Steuerrecht diskriminiert in hohem Maße die Finanzierungsformen. Zinsen, also die Erträge von Fremdkapital, sind grundsätzlich nur beim Empfänger steuerpflichtig. Beim Unternehmen können sie als Kosten vom steuerpflichtigen Einkommen abgesetzt werden. Dagegen unterliegen Gewinne der Körperschaftsteuer, unabhängig davon, ob sie an den Anteilseigner ausgeschüttet werden oder nicht. Befinden sich die Unternehmensanteile in einem Betriebsvermögen oder handelt es sich um eine Beteiligung bestimmter Größe oder werden Beteiligungspapiere innerhalb einer bestimmten Frist wiederveräußert, so unterliegen außerdem die Veräußerungsgewinne der Einkommensteuerpflicht, obwohl doch diese Veräußerungsgewinne zu erheblichen Teilen nichts anderes als das Spiegelbild einbehaltener Gewinne sind.

 

Die Vermögensteuer trifft ein und dasselbe Vermögen doppelt, wenn es sich um Kapitalanteile an einer Körperschaft handelt. Hier ist sowohl die Körperschaft als auch der Anteilseigner steuerpflichtig.

 

Hinzu kommt die Gewerbesteuer, die heute überwiegend den Gewinn trifft. Die Gewerbesteuer in ihrer heutigen Form ist nichts anderes als eine Strafsteuer auf solide Unternehmensfinanzierung. Ein Unternehmen, das sich mit viel Eigenkapital und wenig Fremdkapital finanziert, zahlt - einschließlich seiner Anteilseigner - erheblich mehr Steuern als ein Unternehmen, das seinen Eigenkapitalanteil minimiert und Investitionen hauptsächlich mit Kredit finanziert. Die Eigenkapitalschwäche deutscher Unternehmen hat ganz überwiegend steuerliche Gründe. Es wird häufig behauptet, die Eigenkapitalschwäche beruhe darauf, daß die Gewinne zu niedrig seien. Das läßt sich leicht widerlegen: In den 50er und 60er Jahren, als die Gewinne höher waren als heute, fielen die Eigenkapitalquoten noch schneller als in den 70er und 80er Jahren. Die nachteiligen wirtschaftlichen Auswirkungen der hohen Besteuerung von Eigenkapitalerträgen und ihre Folge, die niedrige Eigenkapitalquote, kann man gar nicht überschätzen: Ein Unternehmen, das einen niedrigen Eigenkapitalanteil hat, ist weniger in der Lage, Risiken auf sich zu nehmen. Das bedeutet, daß Unternehmen mit wenig Eigenkapital auch nur wenig investieren können. Seit etwa einem Jahrzehnt investieren die Unternehmen fast nur noch im Rahmen der einbehaltenen Gewinne und der Abschreibungsgegenwerte. Sie nehmen nur noch wenig zusätzlichen, Kredit auf, sei es, daß sie wegen der niedrigen Eigenkapitalquote nicht mehr kreditwürdig sind, sei es, daß keine Bereitschaft zu weiterer Verschuldung besteht. Die niedrige Eigenkapitalquote hemmt also die Investitionen in Unternehmen. Darüber hinaus drängt sie auch die Investitionsmittel in andere Verwendungsformen. Anstelle von riskanten Investitionen in Sachvermögen oder in Forschungs- und Entwicklungsprojekte bevorzugen die Unternehmen in viel höherem Maße als früher sichere Anlagen in Geldvermögen. Darüber hinaus ist es auch viel weniger riskant, einen bestehenden Produktionsapparat zu rationalisieren als neue Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Langfristig setzt eine günstige Entwicklung der Wirtschaft Neutralität bei der Besteuerung gegenüber den Finanzierungsformen voraus. Sie ist bei der Bürgersteuer gegeben.

 

 

43. Die privaten Haushalte besitzen in der Bundesrepublik ein Geldvermögen von rund zwei Billionen DM, dem notwendigerweise Verbindlichkeiten in gleicher Höhe gegenüberstehen. Das Eigenkapital der Unternehmen (ohne Finanzinstitute) liegt bei etwa 400 Mrd. DM, also nur bei einem Fünftel des privaten Geldvermögens. Wir sind historisch erstmals in der Situation, daß breite Kreise der Bevölkerung Vermögen bilden können und Vermögen bilden. Das bedeutet umgekehrt, daß die Unternehmen mehr als jemals zuvor in der Geschichte darauf angewiesen sind, sich über die Vermögen breiter Schichten zu finanzieren. Dieses Vermögen ist vorhanden, es findet seinen Weg aber nicht in das Eigenkapital. In derselben Zeit, in der sich das private Geldvermögen verdoppelt hat, haben sich die Bestände der privaten Haushalte an Beteiligungstiteln vermindert. Die Eigenkapitalschwäche der Unternehmen und der Mangel an Beteiligungstiteln in Arbeitnehmerhand sind nur zwei Seiten derselben Medaille. Vermögenspolitik muß heute in erster Linie Steuerordnungspolitik sein. Die Ersparnisse der privaten Haushalte müssen den Unternehmen stärker in Form von Eigenkapital nutzbar gemacht werden.

 

Ein weiterer Grund für die dargestellte Entwicklung ist die Nichtneutralität unseres Steuersystems gegenüber den Rechtsformen der Unternehmen. Die Rechtsform, die sich für die Sammlung vieler kleiner Kapitalien am besten eignet, ist die Aktiengesellschaft. Sie ist gleichzeitig die höchst besteuerte Gesellschaftsform. Bei wenigen Anteilseignern lassen sich - beispielsweise in der GmbH - steuersparende Konstruktionen verwirklichen. Bei der Publikumsaktiengesellschaft ist das nicht mehr möglich. Fragwürdig ist aber nicht nur die Höhe der Besteuerung, sondern auch ihre Struktur. Die Besteuerung des einbehaltenen Gewinnes von Kapitalgesellschaften mit dem höchsten Satz der Einkommensteuer (im Durchschnitt heute etwa die Hälfte der Gewinne) bedeutet eine Höherbelastung eines Anteileigners, der einen persönlich niedrigeren Steuersatz hat. Zahlt dagegen der Anteilseigner ohnehin den höchsten Steuersatz, dann wird er durch die Besteuerung des einbehaltenen Gewinnes nicht zusätzlich belastet. Also wird es für den Bezieher hoher Einkommen relativ günstiger, sich an Unternehmen zu beteiligen, als für den Bezieher geringerer Einkommen. Der wirtschaftlichen Logik folgend muß man erwarten; daß sich Beteiligungsvermögen bei den Beziehern hoher Einkommen konzentriert, während die Bezieher geringerer Einkommen ihr Vermögen in anderen Formen halten. Genau das ist auch der Befund. Die starke Konzentration des Beteiligungsvermögens hat überwiegend steuerliche Gründe. Bei der Bürgersteuer fallen diese Gründe weg. Eigenkapitaltitel werden nicht nur gleich besteuert wie andere Vermögensformen. Ihre Erträge unterliegen auch letztlich dem persönlichen Steuersatz des Anteilseigners.

 

 

44. Die Periodisierung von Einkommen führt in Verbindung mit unserem gegenwärtigen Progressionstarif dazu, daß gleichmäßig fließende Einkommen steuerlich günstiger behandelt werden als schwankende. Im gegenwärtigen System werden somit schwankende Einkommen, die aus riskanten Investitionen und Tätigkeiten resultieren, gegenüber gleichmäßigeren Einkommen, die aus risikoloseren Aktivitäten fließen, benachteiligt. Da die Periodisierung des Einkommens für die Steuerlast bei der Bürgersteuer keine Rolle spielt, würde dieser Effekt ebenfalls vermieden.

 

Die steuerliche Diskriminierung der Übernahme von Risiko ist heute dann besonders ausgeprägt, wenn Unternehmen andere Unternehmen gründen. Dieses Gründungsgeschäft ist hoch riskant. Es wird nur durchgeführt, wenn es entsprechend hohe Gewinne erwarten läßt. Im 19. Jahrhundert blühte dieses Geschäft. Ein Unternehmen A gründete ein Unternehmen B. A behielt die Anteile so lange, bis das Unternehmen B eine genügend hohe Rendite erzielte, und veräußerte dann die Anteile über die Börse. In diesem Fall wird heute sowohl der einbehaltene Gewinn des Unternehmens B als auch der Veräußerungsgewinn des Unternehmens A steuerpflichtig. Es handelt sich um eine Doppelbesteuerung ein und desselben Gewinnes. Angesichts der Höhe der Steuern ist das Gründungsgeschäft zum Erliegen gekommen. Da es kein Gründungsgeschäft mehr gibt, sucht man alle möglichen Behelfe in der Form von Technologieparks und Gründungszentren. Die Gründung von Unternehmen wird also staatlich subventioniert. Das Resultat der Besteuerung ist nahezu absurd: Der Fiskus erlöst keine Steuern, weil das Geschäft wegen der hohen fiskalischen Belastung zum Erliegen gekommen ist, andererseits subventioniert der Fiskus Technologieparks, weil der Markt riskante Gründungen nicht mehr finanziert. Hier haben wir es mit einem der Fälle zu tun, in dem die Abschaffung einer Steuer - in Form der Doppelbesteuerung - die Steuererträge insgesamt verbessern würde. Da diese Form der Doppelbesteuerung bei der Bürgersteuer vermieden wird, darf damit gerechnet werden, daß der Markt selbst wieder genügend Gründungskapital zur Verfügung stellt.

 

 

45. Die Steuerlast und die Steuerlastverteilung hängen in unserem gegenwärtigen Steuersystem in hohem Maße von der Geldentwertung ab. Das hat zwei Aspekte:

 

(1) Der erste ist als „kalte Progression" viel diskutiert worden. Gleiche reale aber höhere nominale Einkommen unterliegen wegen der Progression des Einkommensteuertarifs höheren Steuersätzen. Bei der Bürgersteuer sind die Steuerlast und die Steuerlastverteilung nicht mehr von der Inflation abhängig. Das Basisgeld wird dynamisiert, ist also in seiner realen Höhe inflationsunabhängig. Der Konsum und das Vermögen am Lebensende unterliegen einer Proportionalsteuer. Bei einer Proportionalsteuer wachsen Steuern und Steuerbemessungsgrundlage im gleichen Verhältnis, so daß die reale Steuerlast gleich bleibt.

 

(2) Der zweite Aspekt ist weniger diskutiert worden. Wenn ein Vermögen bei 4 Prozent Inflation eine Rendite von 8 Prozent abwirft, so ist das das gleiche, als wenn es bei Preisniveaustabilität 4 Prozent Rendite abwerfen würde. Nach Steuern sieht die Rechnung aber anders aus. Der Investor hat im Falle der Preisstabilität ein Einkommen zu versteuern, das einer Rendite von 4 Prozent entspricht. Im Inflationsfall versteuert er dagegen die volle Rendite von 8 Prozent. Bei 50 Prozent Steuersatz bleibt ihm im Inflationsfall nach Steuern gar kein reales Einkommen mehr übrig. Die reale Besteuerung seines Einkommens beträgt in den Zahlen des Beispiels 100 Prozent. Im Falle der Preisstabilität dagegen bleibt ihm eine reale Rendite von 2 Prozent nach Steuern übrig. Der reale Steuersatz beträgt - wie der nominale - 50 Prozent. Dieser Effekt tritt nicht nur bei Geldvermögen, sondern bei jeglichem Vermögen auf. Auch die Gewinne der Unternehmen enthalten inflationäre Scheingewinne, die der vollen Besteuerung unterliegen. Beim System der Bürgersteuer ergibt sich dagegen eine inflationsneutrale Belastung wegen der Aufteilung zwischen Konsum- und Vermögenszuwachssteuer.

 

 

46. In der Literatur findet sich häufig die Befürchtung, daß bei einer Negativsteuer die Bereitschaft zu arbeiten zurückgeht und daß die Schwarzarbeit zunimmt. Diese Befürchtung gründet sich darauf, daß eine Negativsteuer notwendigerweise einen höheren durchschnittlichen Marginalsteuersatz haben muß als eine Einkommensteuer gleichen Steueraufkommens, aber ohne negativen Tarifast. Diese Befürchtung beruht auf einer unvollständigen Analyse. Die Negativsteuer nach unserem Vorschlag ersetzt nicht nur die bisherigen direkten Steuern, sondern auch die bisherigen Sozialtransfers einschließlich der Sozialhilfe. Man kann also nicht die heutige Einkommensteuer mit der Bürgersteuer vergleichen, sondern muß auch die Transferzahlungen mitberücksichtigen. Im Falle der Sozialhilfe werden heute Arbeitserträge voll auf die Sozialhilfesätze angerechnet. Das bedeutet, daß in diesem Bereich der marginale Steuersatz bei 100 Prozent liegt. Dagegen ist nach unserem Vorschlag der Marginalsteuersatz hierfür nur 50 Prozent; der Anreiz zu arbeiten bleibt also in viel größerem Maße erhalten als im derzeitigen System. Ein weiterer Gesichtspunkt ist noch wichtiger. Die Bürgersteuer ermöglicht es, die Sozialversicherungsbeiträge vom Einkommen zu lösen. Das gilt zumindest für die gesetzliche Krankenversicherung und die Arbeitslosenversicherung. Die Marginalbelastung mit Lohnsteuer, Krankenversicherungsbeitrag und Arbeitslosenversicherungsbeitrag (einschl. der Arbeitgeberbeiträge) liegt im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt bei rund 60 Prozent. Werden der Krankenversicherungsbeitrag und der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung vom Einkommen unabhängig, dann sinkt die Belastung einer zusätzlichen Arbeitsstunde von 60 Prozent auf den Marginalsteuersatz der Bürgersteuer von 30 Prozent. Diese Rechnung muß noch ergänzt werden: Wird von der Annahme ausgegangen, daß aus dem Einkommen einer zusätzlichen Arbeitsstunde 20 Prozent gespart werden, dann ist die vorläufige Grenzbelastung des Einkommens mit Steuern nur noch 24 Prozent. Die Grenzbelastung sinkt also deutlich, so daß man erwarten muß, daß sowohl die Bereitschaft zu arbeiten sich verstärkt, als auch die Bereitschaft zur Schwarzarbeit abnimmt.