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Inhalt

 


 

Text aus:

 

Jeremy Rifkin:

Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft

 

(Amerikan. Originalausgabe „The End of Work“, 1995, New York)

5. Auflage: Juli 1999

Fischer Taschenbuch, Frankfurt, Juli1997

ISBN 3-596-13606-7

(Seite 189 – 198)

 

 

 

 

3 Geld für gemeinnützige Arbeit

 

Der marktwirtschaftliche und der staatliche Sektor werden im nächsten Jahrhundert im Alltagsleben der Menschen eine immer geringere Rolle spielen. Das daraus entstehende Machtvakuum wird entweder angefüllt von einer sich ausbreitenden Subkultur der Gesetzlosigkeit oder von einem stärkeren Engagement im Dritten Sektor. Damit soll nicht gesagt sein, daß die beiden ersten Bereiche schrumpfen oder gar verschwinden würden - aber die meisten Menschen werden mit ihnen weniger in Berührung kommen. Auch nach der Dritten Industriellen Revolution werden auf absehbare Zeit die meisten Leute einer Erwerbsarbeit nachgehen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern - die Arbeitsdauer wird sich allerdings verringern. Was die wachsende Zahl von Menschen anbelangt, die in der Wirtschaft keinen Platz mehr finden werden, so steht der Staat vor der Wahl, entweder mehr Geld für Polizisten und Gefängnisse auszugeben, um eine stetig größer werdende Schicht von Kriminellen wegzusperren, oder mehr Geld in den Dritten Sektor zu investieren, um dort für Beschäftigung zu sorgen. Soziale Organisationen werden in Zukunft als Vermittler gegenüber den Kräften des Marktes und des Staates auftreten und sich für gesellschaftliche und politische Reformen einsetzen. Sie werden darüber hinaus in steigendem Maße die Grundversorgung bedürftiger Bevölkerungsgruppen übernehmen, wenn der Staat sich dieser Aufgabe entzieht.

Die Globalisierung der Wirtschaft und der Rückzug des Staates werden die Menschen dazu bringen, sich zu Selbsthilfeorganisationen zusammenzuschließen. Um den Übergang in das postmarktwirtschaftliche Zeitalter zu bewältigen, wird es politischer Bewegungen und Zusammenschlüsse bedürfen. Sie müssen darauf drängen, daß ein möglichst großer Anteil des Produktivitätszuwachses vom marktwirtschaftlichen Sektor in den Dritten Sektor übertragen wird und auf diese Weise soziale Gemeinschaften und lokale Infrastrukturen gestärkt werden. Nur wenn dies gelingt, werden die Menschen überall auf der Welt mit der Globalisierung der Märkte und mit den Massenentlassungen fertig werden können, die ihnen die Lebensgrundlage zu rauben drohen.

 

 

Die neue Rolle des Staates

 

Der Staat wird im High-Tech-Zeitalter eine gänzlich andere Rolle spielen als heute und sich weniger in den Dienst der Marktwirtschaft als in den der Gemeinwirtschaft stellen. Wenn der Staat und der Dritte Sektor zusammenwirken, könnten sie überall auf der Welt das Leben der Menschen wieder in geordnete Bahnen lenken. Zu ihren wichtigsten Aufgaben wird es gehören, die Armen zu unterstützen, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen, für die Erziehung der Kinder zu sorgen, erschwingliche Wohnungen bereitzustellen und sich um den Umweltschutz zu kümmern. Alle diese Punkte hat der Marktsektor vernachlässigt. Heute, da sich die Wirtschaft aus dem sozialen Leben zurückzieht und der Staat sich von seiner Rolle als Retter in der Not verabschiedet, kann einzig eine gemeinsame Anstrengung aller - unter Federführung des Dritten Sektors und mit entsprechender Unterstützung durch den öffentlichen Bereich - die soziale Grundversorgung sichern und die Gemeinwirtschaft neu beleben.

In den USA hat die Regierung unter Präsident Clinton einen ersten Schritt in Richtung auf eine Partnerschaft mit dem Dritten Sektor getan: Im April 1994 wurde die Gründung eines „Non-Profit Liaison Network« bekanntgegeben, das von 25 Regierungsbeamten gebildet wird und »mit dem Nonprofit-Bereich in Verfolgung gemeinsamer Ziele zusammenarbeiten« soll. Aufgabe der Beamten wird es sein, ein Netzwerk von Verbindungen zwischen dem Regierungsapparat und den Organisationen des Dritten Sektors zu schaffen. Bei seiner Ankündigung betonte Clinton, er hätte sich seit langem »für den Nonprofit-Sektor eingesetzt“. Er erinnerte die Öffentlichkeit der USA daran, daß »im Laufe unserer Geschichte die Nonprofit-Organisationen unserem Land geholfen haben, in einer sich verändernden Welt zu bestehen, indem sie sich für unsere Grundwerte stark machten« (Pressemitteilung des Weißen Hauses 12.4.1994). Das Netzwerk solle nun das Zusammenwirken von Regierungsapparat und politisch oder sozial engagierten Organisationen verbessern und die gemeinsame Lösung solch drängender Probleme wie der Kriminalität, des Wohnungsmangels oder der schlechten medizinischen Versorgung vorantreiben. Auch wenn dieser Vorstoß Clintons eher als symbolische Geste denn als ernsthafte Neuorientierung der Politik verstanden werden muß, so zeigt er doch, daß sich die Öffentlichkeit langsam der Bedeutung des Dritten Sektors und der Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen diesem Bereich und dem Staat bewußt wird.

Wenn der Dritte Sektor zur Stütze des postmarktwirtschaftlichen Zeitalters werden soll, muß der Staat ihn während des Übergangs unterstützen. In den USA liegen Millionen Arbeitsstunden brach, die für den Wiederaufbau lokaler Infrastrukturen und für die Stärkung des Dritten Sektors genutzt werden könnten. Um dies zu erreichen, muß sich der Staat vor allem an zwei Bevölkerungsgruppen wenden: Erstens müssen diejenigen, die noch einen Arbeitsplatz haben, durch geeignete Maßnahmen dazu veranlaßt werden, einen Teil ihrer vermehrten Freizeit der ehrenamtlichen Arbeit zu widmen. Zweitens müssen durch geeignete Gesetze Millionen von Langzeitarbeitslosen mit sinnvoller Arbeit im Dritten Sektor versorgt werden.

 

 

Steuererleichterungen und Sozialeinkommen

 

Der Staat könnte ein stärkeres Engagement im Dritten Sektor fördern, indem er für jede freiwillige Arbeitsstunde, die bei einer als gemeinnützig anerkannten Organisation abgeleistet wird, eine Steuerminderung zuläßt. Als Nachweis über die tatsächliche Stundenzahl müßten die Organisationen am Ende jeden Jahres die bei ihnen abgeleisteten Zeiten an die Steuerbehörden melden und ihren freiwilligen Helfern eine entsprechende Bescheinigung ausstellen. Ein derartiges, nicht auf dem privaten Markt erzieltes »Schatteneinkommen« würde Millionen von Menschen dazu ermuntern, einen größeren Teil ihrer Freizeit der freiwilligen Arbeit im dritten Bereich zu widmen. Die Idee als solche ist ja nicht neu, gibt es doch schon die Möglichkeit, Spenden an gemeinnützige Organisationen von der Steuer abzusetzen. Wenn der Staat es für förderungswürdig hält, daß die Bürger ihr Geld von sich aus an den Dritten Sektor weitergeben, warum sollte dann nicht auch die freiwillige Arbeit in diesem Bereich durch Steuererleichterungen unterstützt werden?

Der Verlust an Steuereinnahmen würde sicherlich mehr als aufgewogen werden dadurch, daß der Staat keine teuren Sozialprogramme mehr auflegen müßte. Bestimmte Aufgaben würden ihm von den gemeinnützigen Organisationen abgenommen. Durch die Förderung von freiwilligen Arbeiten direkt vor Ort würde der Staat die Ausgaben für ganze Behörden sparen, die für die Verwaltung örtlicher Programme nötig wären. Außerdem würden verbesserte Lebensbedingungen für Millionen Menschen auch auf die Wirtschaft in Form von mehr Beschäftigungsmöglichkeiten und verstärkter Kaufkraft zurückwirken, was wiederum das Steueraufkommen erhöhen würde.

Nun könnte man einwenden, die Förderung freiwilliger Arbeiten durch Steuererleichterungen würde jene ihres karitativen Charakters berauben. Allerdings hat die Steuerabzugsfähigkeit von Spenden für gemeinnützige Organisationen die Hilfsbereitschaft der Menschen auch eher beflügelt, und ein Schatteneinkommen für freiwillige Arbeit könnte die Menschen dazu bewegen, ihre Zeit in den sozialen Bereich zu investieren, statt noch einen zusätzlichen Job anzunehmen oder ihre Abende vor dem Fernseher zu verbringen.

Damit die Gesellschaft nicht in Tausende örtlicher Gruppen ohne einheitliche Zielsetzung zerfällt, könnte der Staat dem sozialen Bereich durch geeignete Anreize eine Richtung vorgeben. Die Steuervergünstigungen könnten gestaffelt und diejenigen Initiativen könnten begünstigt werden, deren Ziele die Öffentlichkeit und die Politiker für vorrangig halten. Ebenso könnte auch die steuerliche Abzugsfähigkeit von Spenden an karitative Organisationen je nach der Dringlichkeit ihrer Aktivitäten gestaffelt werden. Die gesetzliche Regelung derartiger Steuervergünstigungen wird in Zukunft als wichtiges Steuerungsmittel für die Gemeinwirtschaft dienen, so wie bisher die Steuerpolitik zur Regulierung des marktwirtschaftlichen Sektors eingesetzt wurde.

 Steuervergünstigungen sind gewiß ein geeignetes Mittel, um diejenigen, die noch eine Anstellung und ein festes Einkommen haben, zu freiwilliger gemeinnütziger Arbeit zu ermuntern. Aber der Staat sollte auch an diejenigen Arbeitslosen denken, die willens sind, sich umschulen zu lassen und eine Arbeit im Dritten Sektor anzunehmen. Man könnte diesen Menschen statt Sozialhilfe ein Einkommen für gemeinnützige Tätigkeiten, eine Art »Sozialeinkommen«, zahlen und außerdem den Organisationen, in denen sie angestellt und ausgebildet werden, entsprechende Mittel zur Verfügung stellen.

 Den Armen und Arbeitslosen ein Sozialeinkommen zu zahlen, würde nicht nur ihnen helfen, sondern auch den Gemeinden. In den USA, wo die lokalen Strukturen wiederaufgebaut und die Grundlagen einer fürsorglicheren Gesellschaft gelegt werden müssen, müssen die Menschen wieder gegenseitiges Vertrauen entwickeln und lernen, Anteil zu nehmen am Wohlergehen der anderen und der Gemeinschaft, in der sie leben. Ein angemessenes Sozialeinkommen würde Millionen von arbeitslosen US-Amerikanern die Möglichkeit geben, in Nachbarschaftsorganisationen mitzuarbeiten und damit sich selbst zu helfen.

 Auch ein Sozialeinkommen für gelernte Arbeiter und höherqualifizierte Angestellte, die im marktwirtschaftlichen Sektor nicht mehr gebraucht werden, sollte ernsthaft in Betracht gezogen werden. Um den Dritten Sektor zum Funktionieren zu bringen, werden nicht nur anzulernende Beschäftigte gebraucht, sondern auch Leute, die Führungsaufgaben übernehmen können. Die Organisationen des Dritten Sektors sollten eine ähnliche Abstufung von Berufen, Qualifikationen und Einkommen einführen wie es sie in der Wirtschaft gibt. Sie könnten sich dann aus dem Heer der Arbeitslosen die richtige Mischung von ungelernten, gelernten und höherqualifizierten Arbeitskräften zusammenstellen, die sie für eine erfolgreiche Tätigkeit brauchen.

 In den USA wurde die Idee eines Sozialeinkommens zum ersten Mal 1963 von einem „Ad Hoc Committee an the Triple Revolution« in die Öffentlichkeit gebracht. Gedacht war es als Absicherung gegen die Folgen der technologischen Arbeitslosigkeit einerseits und der wachsenden Armut andererseits. Allerdings wollte man damals ein solches Einkommen noch nicht mit der Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit verbinden. Zu den Befürwortern eines Sozialeinkommens, das auch als »garantiertes Jahresmindesteinkommen« bezeichnet wurde, gehörten W.H.Ferry vom Center for the Study of Democratic Institutions, sozial orientierte Ökonomen wie Robert Theobald und Robert Heilbroner sowie der Direktor des Institute for Advanced Studies in Princeton, Robert Oppenheimer. Sie alle glaubten im Gegensatz zur orthodoxen Wirtschaftswissenschaft nicht daran, daß technischer Fortschritt und steigende Produktivität automatisch zu Vollbeschäftigung führen würden. Die Computerrevolution, so meinten sie, würde zwar die Produktivität steigern, aber zugleich mehr und mehr menschliche Arbeitskräfte durch Maschinen ersetzen. Millionen Menschen wären dann unterbeschäftigt oder ganz ohne Arbeit, und ihre Kaufkraft würde nicht mehr genügen, um den Absatz der durch die neuen automatisierten Anlagen vervielfachten Güterproduktion zu garantieren. Es würde auch wenig nutzen, den Konsum durch raffinierte Werbe- und Marketingstrategien, durch niedrige Zinsen, Steuersenkungen oder großzügigere Kreditbedingungen anheizen zu wollen: Die zusätzliche Nachfrage würde nicht zu erhöhter Beschäftigung führen, eher würden noch mehr Arbeitnehmer durch Maschinen ersetzt, da diese effizienter und billiger wären und den Investoren höhere Gewinne brächten.

Robert Theobald vertrat den Standpunkt, daß die traditionelle Verknüpfung von Einkommen und Arbeit aufgelöst werden müsse. Da immer mehr Arbeit von Maschinen erledigt werde, müsse den Menschen ein von der Erwerbsarbeit unabhängiges Einkommen garantiert werden. Nur so könne man ihnen ihren Lebensunterhalt und der Wirtschaft genug Kaufkraft sichern. Theobald und andere sahen mit dem garantierten Mindesteinkommen einen Wendepunkt in der Wirtschaftsgeschichte gekommen. Sie hofften, daß die Verbreitung dieser Idee das zentrale Konzept des marktwirtschaftlichen Denkens, das Konzept des Mangels, außer Kraft setzen und durch das neue Ideal des Überflusses ersetzen könnte. Theobald schrieb: »Für mich ist daher das garantierte Mindesteinkommen die Umsetzung einer immer wieder in der Geschichte auftauchenden philosophischen Grundidee, daß nämlich jedes Individuum ein Anrecht auf einen Anteil an den Gütern einer Gesellschaft hat. Bisher mangelte es der Menschheit aber immer am Notwendigsten, so daß diese Forderung bis heute nie verwirklicht wurde. Der Überfluß in den reichen Ländern gibt uns nun die Möglichkeit, allen Menschen einen minimalen Lebensstandard zu garantieren.« (Theobald 1967: 19)

 Die Forderung nach einem garantierten Mindesteinkommen erhielt politische Unterstützung von unerwarteter Seite, als der führende neokonservative Wirtschaftswissenschaftler und spätere Berater der Präsidenten Nixon und Reagan, Milton Friedman, seine eigene Version in Form einer negativen Einkommensteuer vorschlug. Er teilte keineswegs die Ansicht der Liberalen, daß die Automation zu einer stetigen Vernichtung von Arbeitsplätzen und damit zu Massenarbeitslosigkeit führen müsse und daß daher für die Millionen vom Wirtschaftskreislauf ausgeschlossenen Menschen das Einkommen von der Erwerbsarbeit getrennt werden müsse. Friedman hält vielmehr das staatliche Wohlfahrtssytem für eine Fehlentwicklung. Seiner Meinung nach wäre es viel besser gewesen, den Armen ein bestimmtes jährliches Einkommen zu garantieren, als weiterhin eine Unmenge teurer Wohlfahrtsprogramme und -bürokratien zu finanzieren, die oft genug kontraproduktiv waren und die Armut eher verlängerten als erleichterten.

 Friedman schlug vor, der Staat solle allen seinen Bürgern ein Mindesteinkommen garantieren und sie zugleich durch eine Reihe von Anreizen dazu ermuntern, die staatliche Unterstützung durch eigenes Einkommen zu ergänzen. Mit steigenden Einnahmen sollte sich der staatliche Zuschuß verringern, zunächst relativ schnell, dann langsamer, „um den Anreiz, sich weitere Arbeit zu suchen, zu erhalten« (zit. n. International Labour Review Mai/Juni 1987: 263). Friedman hielt seinen Vorschlag für nichts grundlegend Neues, da die bisher praktizierten Fürsorge- und Wohlfahrtsmaßnahmen sich »der Sache, aber nicht dem Namen nach, bereits zu einem staatlich garantierten Mindesteinkommen« addierten. Er wies darauf hin, daß bei der gängigen Praxis jegliches Einkommen den Verlust staatlicher Unterstützung bedeutete und so kein Anreiz für die Empfänger bestand, sich Arbeit zu suchen. »Wenn jemand, der von staatlicher Unterstützung lebt, einen Dollar verdient und sich dem Gesetz entsprechend verhält, dann vermindert sich die staatliche Unterstützung um eben diesen Dollar - auf diese Weise wird bestraft, wer fleißig oder ehrlich ist. Solche Maßnahmen produzieren Armut und eine Unterschicht, die einzig von der Wohlfahrt lebt.« (National Review 7.3.1967: 239; Congressional Digest Oktober 1967: 242)

 Auch wenn linksliberale und konservative Ökonomen jeweils andere Gründe hatten, die Idee eines garantierten Mindesteinkommens zu unterstützen, so war doch das öffentliche Interesse geweckt, und Präsident Johnson richtete 1967 eine Kommission zu dem Thema ein. Nach zweijährigen Anhörungen und Untersuchungen veröffentlichte die aus Unternehmern, Gewerkschaftern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bestehende Kommission ihren Bericht, in dem sie sich einhellig für ein garantiertes Mindesteinkommen aussprach: »Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung der ärmeren Schichten sind oft auf Umstände zurückzuführen, auf die die Menschen selbst keinen Einfluß haben. Viele wollen arbeiten, finden aber keinen Arbeitsplatz. [...] Selbst wenn die bereits existierenden Wohlfahrtsprogramme noch aufgestockt würden, könnten sie nicht allen Amerikanern ein angemessenes Einkommen garantieren. Wir empfehlen daher die Einrichtung einer Einkommensbeihilfe für alle Bedürftigen.« (Zit. n. America 11.12.1971: 503)

 Der Bericht fand kaum Resonanz. Bürger und Politiker konnten sich mit der Vorstellung nicht anfreunden, allen Menschen ein bestimmtes Einkommen zu garantieren. Trotz der Empfehlung der Kommission, mit gewissen Anreizen die Empfänger zu zusätzlicher Arbeit anzuregen, glaubten viele Politiker, daß allein die Idee eines garantierten Einkommens den Arbeitswillen einer ganzen Generation von US-Amerikanern unterminieren würde. Die Empfehlungen der Kommission setzten bereits Staub an, da rief die US-Regierung doch noch eine Reihe von Pilotprojekten ins Leben, um die praktischen Auswirkungen einer Einkommensgarantie zu testen. Zu ihrer eigenen Überraschung stellte sich heraus, daß der Antrieb, sich eine Arbeit zu suchen, bei den Empfängern nicht nennenswert schwächer wurde (Journal of Labor Economics Januar 1993, Teil 2: S 280, S 287).

 Heute flammt die Diskussion um das garantierte Mindesteinkommen wieder auf. Wissenschaftler, Politiker, Gewerkschafter und Bürgerrechtler sehen darin eine Möglichkeit, der technologischen Langzeitarbeitslosigkeit und der wachsenden Armut entgegenzutreten. Aber im Gegensatz zu den früheren Vorschlägen, die von den Empfängern keine oder fast keine Gegenleistung verlangten, bindet man heute das Sozialeinkommen an gemeinnützige Arbeiten im Dritten Sektor.

 In einer Reihe westeuropäischer Länder wurden in den letzten 25 Jahren - mit unterschiedlichem Erfolg - gesetzlich garantierte Mindesteinkommen eingeführt. Von besonderem Interesse ist das französische Vorhaben. Es sieht eine Regelung vor, nach der das Mindesteinkommen an eine sozial oder kulturell nützliche Arbeit oder an den Besuch von Fortbildungs- oder Wiedereingliederungskursen gekoppelt ist (International Labour Review Mai/Juni 1987: 271).

 Wenn die immer stärker automatisierte Wirtschaft immer weniger Arbeitsplätze bietet, werden wohl auch andere Länder die französischen Pläne aufgreifen und sich Gedanken darüber machen, wie sie ihren Bürgern jenseits der Erwerbsarbeit zu Einkommen und sinnvoller Arbeit verhelfen können.

 In der Auseinandersetzung darüber, wie die Produktivitätszuwächse der Computerrevolution am besten zu verteilen seien, stellt sich jedem Land die entscheidende Frage nach der wirtschaftlichen Gerechtigkeit: Hat ein jedes Mitglied der Gesellschaft, auch das ärmste, ein Anrecht auf einen Anteil an diesen Zuwächsen? Wenn man diese Frage bejaht, müssen auch die Menschen, deren Arbeitskraft in der automatisierten High-Tech-Welt des 21. Jahrhunderts nicht mehr gebraucht wird, in irgendeiner Form eine Entschädigung erhalten. Da der Wirtschaftssektor aufgrund des technischen Fortschritts immer weniger Menschen beschäftigen wird, können die freigesetzten Arbeitnehmer nur über den Weg eines wie auch immer gearteten staatlich garantierten Mindesteinkommens zu ihrem Anteil an den Produktivitätszuwächsen kommen. Dieses Einkommen an eine gemeinnützige Arbeit zu koppeln, würde zu einer Weiterentwicklung der Gemeinschaft beitragen und langfristig den Übergang zu einer gemeinschafts- und dienstleistungsorientierten Gesellschaft erleichtern.