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Anträge zum ordentlichen Bundesparteitag der SPD, Teil II
CCH, Hamburg 26. bis 28. Oktober 2007

Antrag 4.6/41
Unterbezirk Rhein-Erft-Kreis (Landesverband Nordrhein-Westfalen)
Seite 573 ff

Der Vorsorgende Sozialstaat

Kap. 4.6; Abs. 1-11 ersetzen durch:

Der Sozialstaat ist eine große zivilisatorische Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gehören Demokratie und Sozialstaat zusammen. Der Sozialstaat ergänzt die bürgerlichen Freiheitsrechte durch soziale Bürgerrechte. Wohlstand und wirtschaftliche Dynamik, soziale Sicherheit und gesellschaftlicher Zusammenhalt wurden nicht trotz, sondern wegen des Sozialstaats möglich. Der Sozialstaat leistet einen eigenen produktiven Beitrag für die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen und den gesellschaftlichen Wohlstand sowie dessen gerechter Verteilung. Sozialstaatlichkeit ist organisierte Solidarität. In der Solidargemeinschaft stehen die Jungen für die Alten, die Gesunden für die Kranken, die Nichtbehinderten für die Behinderten, die Arbeitenden für die Arbeitslosen und die Reichen für die Armen ein. Im Zentrum des Sozialstaats werden weiterhin staatlich verbürgte soziale Sicherung und Teilhabe, der einklagbare Rechtsanspruch auf Sozialleistungen und die rechtlich gesicherte Stellung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen.

Auch im 21. Jahrhundert bleibt es eine zentrale Frage, wie der gesellschaftliche Wohlstand verteilt wird und welche Teilhabemöglichkeiten sich damit für jeden und jede Einzelne eröffnen. Die Behauptung der Marktradikalen, dass Ungleichheit wirtschaftlichen Fortschritt befördere, ist nicht nur inhuman, sondern auch falsch. Nur eine Gesellschaft, die das Leitbild des Wohlstands und der Teilhabe für alle verfolgt, ist eine zukunftsfähige Gesellschaft. Gerade in Anbetracht vielfältiger Lebensweisen und flexibler Erwerbsformen wird die zentrale Funktion des Sozialstaats wichtiger, Sicherheit im Wandel zu gewährleisten. Nur wenn die Menschen wissen, dass ihre elementaren sozialen Lebensrisiken verlässlich abgesichert werden, sind sie bereit Risiken einzugehen und mobil zu sein. Um dieses Sicherheitsversprechen zu erneuern, wollen wir den Sozialstaat durch die Einführung eines Grundeinkommens für alle Bürger weiterentwickeln.

Unser neues Leitbild: Ein Grundeinkommen garantiert Freiheit und Sicherheit für alle Bürger

Das Leitbild unserer Sozialpolitik für das 21. Jahrhundert ist der Bürger, der frei von Existenzsorgen sein Leben selbst bestimmt meistern kann. Damit wir dieses Ziel in unserer Zeit erreichen können, muss der Sozialstaat am Bürgerstatus und weniger stark am Erwerbsstatus anknüpfen. Wir wollen weg von der noch aus Bismarcks Zeiten stammenden Statussicherung durch unseren Sozialstaat hin zur Existenzsicherung, die allen Bürgern Schutz vor Armut bietet und von Existenzangst befreit. Ein jedem Bürger ohne Bedingungen in gleicher Höhe zustehendes Existenzsicherndes Grundeinkommen wird die Voraussetzungen dafür schaffen. Bereits heute gibt es eine Vielzahl genau durchgerechneter Modelle zur Finanzierung eines Grundeinkommens. Wir streben ein Modell für ein bedingungsloses Grundeinkommen an, an dessen Finanzierung sich auch Unternehmen und vermögende Privathaushalte entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu beteiligen haben. Ein bedingungsloses Grundeinkommen bewahrt vor den Folgen der Erwerbsarbeitslosigkeit. Mit einem Grundeinkommen im Rücken bedeutet der Verlust des Erwerbsarbeitsplatzes nicht den Sturz in Armut und die sich daraus ergebenden Folgen für Familie und Freundeskreis. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bleibt gesichert.

Gute Arbeitsbedingungen werden durch ein Grundeinkommen gefördert. Arbeitnehmer müssen nicht jede Verschlechterung am Erwerbsarbeitsplatz erdulden oder sich dem Druck der Arbeitgeber aus Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes beugen. Ein Grundeinkommen verleiht Verhandlungsmacht gegenüber dem Arbeitgeber. Innere Kündigung am Arbeitsplatz, heute unter anderem eine Reaktion auf die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, wäre von gestern. Motivierte, leistungsbereite und produktive Mitarbeiter sind auch ein Vorteil für Arbeitgeber. Allen Arbeitnehmern ist ein gesetzlich verankerter gerechter Mindestlohn zu zahlen. Ein Grundeinkommen schafft Freiräume für mehr bürgerschaftliches Engagement. Mit Hilfe eines Grundeinkommens haben die Bürger die Freiheit weniger Zeit für eine Erwerbsarbeit aufbringen zu müssen und könnten dennoch ihren Lebensunterhalt bestreiten. Andere Formen der Arbeit wie zum Beispiel ehrenamtliches Engagement werden durch ein Grundeinkommen gefördert oder für den einzelnen Bürger erst ermöglicht. Auch die Solidarität innerhalb der Familie würde gestärkt werden. Sich Zeit zu nehmen für die Pflege von Familienangehörigen oder die Kindererziehung, wäre mit Hilfe eines Grundeinkommens leichter als heute.

Ein bedingungslos gezahltes Grundeinkommen wird zahlreiche heutige Sozialleistungen ersetzen. Die Folge davon wäre ein erheblicher Bürokratieabbau. Die Arbeitsämter hätten endlich mehr Zeit, Bürgern eine Erwerbsarbeit zu vermitteln, anstatt unzählige Bedürftigkeitsprüfungen und Kontrollen durchzuführen.

Ein Grundeinkommen sichert zusammen mit einer Bürgerversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung die großen Lebensrisiken wie Armut, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit solidarisch ab und garantiert die Altersvorsorge. Angesichts der veränderten Erwerbs- und Arbeitsbiografien wollen wir unsere sozialen Sicherungssysteme durch ein Grundeinkommen so weiterentwickeln, dass sie für die unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsphasen Sicherheit gewährleisten.

Es verhindert Ausgrenzung und erleichtert berufliche Integration. Indem ein Grundeinkommen die Bürger stärkt, stärkt es unser Gemeinwesen. Es entlässt nicht aus der Verantwortung für das eigene Leben, sondern schafft im Gegenteil die Voraussetzung für ein freies und selbst bestimmtes Leben aller Bürgerinnen und Bürger. Das bedingungslose Grundeinkommen ist keine Transferleistung. Es soll so beschaffen sein, dass Menschen auch jenseits der Erwerbsarbeit einer Tätigkeit nachgehen können. Im Gegenzug ist dieses auch von ihnen zu erwarten.

Die Befreiung von Zwängen, die sich aus Herkunft und überkommenen Vorstellungen ergeben, war bereits das große Versprechen der Aufklärung und schon immer zentrales Ziel der Sozialdemokratie. Mit der Einführung eines Grundeinkommens gehen wir einen zeitgemäßen Schritt vorwärts, den Bürgern heute und in Zukunft ein Leben in Würde zu ermöglichen.