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Das garantierte Grundeinkommen (ISBN 3-596-24109)
Georg
Vobruba (1986)
Die
Entflechtung von Arbeiten und Essen
Lohnarbeitszentrierte
Sozialpolitik und garantiertes Grundeinkommen
Die
Arbeitslosigkeit geht an die Substanz der gegenwärtig dominanten
gesellschaftlichen Verteilungsinstanzen: Arbeitsmarkt und Sozialpolitik. Als
Massenarbeitslosigkeit zeigt sie das zunehmende Leerlaufen des Arbeitsmarkts an
und gefährdet die finanziellen Grundlagen der Sozialpolitik. Als
Dauerarbeitslosigkeit führt sie zu sozialpolitischen Abgruppierungsprozessen
und stellt den Sinn der lohnarbeitszentrierten Sozialpolitik in Frage. Aus
diesen Funktionsmängeln und aus den sozialen Lasten, die den Menschen daraus
entstehen, hat die Diskussion um ein garantiertes Grundeinkommen neue und
starke Impulse erhalten.
"Die
Entflechtung von Arbeiten und Essen" bedeutet, daß der Zusammenhang
zwischen (Lohn-) Arbeitseinsatz und Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum
zunehmend lockerer wird - sei es als Ergebnis politischen Wollens, sei es in
der Folge - oft unbegriffener - ökonomischer Entwicklung. Ein garantiertes
Grundeinkommen stellt den Fluchtpunkt einer politisch gewollten Entflechtung
von Arbeiten und Essen dar.
Die
Forderung nach einem garantierten Grundeinkommen wird aus sehr
unterschiedlichen politischen Richtungen erhoben (vgl. Engels u. a. 1973; Die
Grünen, Graue Panther 1985; Gerhardt, Weber 1983; Opielka 1984) oder wenigstens
in Erwägung gezogen (vgl. Lafontaine 1985). Mir geht es hier nicht darum, dem
eine weitere Forderung hinzuzufügen. Ich will vielmehr eine möglichst
"nicht-normative" Sicht anbieten, indem ich für die These
argumentiere, daß die in näherer Zukunft anstehende politische Wahlmöglichkeit
nicht "Entflechtung: ja oder nein" lautet, sondern daß die Wahl nur
zwischen einer gesellschaftspolitisch kalkulierten und kontrollierten
Entflechtung besteht, die man durchaus "Emanzipation" nennen kann,
und einer solchen, die unkontrolliert ins Kraut schießt und nichts als Schaden
anrichtet.
Ich werde
zuerst zwei Phasen skizzieren, in denen sich der "Wandel des Verhältnisses
von gesellschaftlicher Arbeit und existentieller Sicherung im
Kapitalismus" (Vobruba 1985) bisher vollzogen hat. Daran schließen sich
systematische Anknüpfungspunkte politischer und theoretischer Art für die
politische Einleitung der dritten Phase, der Entflechtung von Arbeiten und
Essen. Hat man Klarheit über die begründbare Notwendigkeit einer Entflechtung
hergestellt, so muß man im nächsten Schritt zeigen, an welchen Kriterien sich
unterschiedliche Instrumente dazu prüfen lassen müssen. Dabei geht es nicht
darum, einzelne Instrumente zu begutachten, sondern um den Schritt davor: zu
begründen, warum welche Kriterien für eine Begutachtung wichtig sind.
Schließlich ist es notwendig, auf die Verknüpfung von Arbeitszeitpolitik und
garantiertem Grundeinkommen einzugehen.
Der Wandel
des Verhältnisses von Arbeiten und Essen im Kapitalismus
Die
pauperisierten Besitzlosen in der Frühphase des Industriekapitalismus fügten
sich neuartigen Anforderungen der industriellen Lohnarbeit keineswegs
automatisch. Es war alles andere als selbstverständlich, Lohnarbeit als
einziges Mittel gegen Armut und Hunger zu akzeptieren.
"Sie
müssen erst gezwungen werden, zu den vom Kapital gesetzten Bedingungen zu
arbeiten. Der Eigentumslose ist mehr geneigt, Vagabund und Räuber und Bettler
als Arbeiter zu werden." (Marx 1974, 624).
Die unbedingte Verknüpfung von Arbeiten und
Essen (vgl. ausführlich Vobruba 1985) - so wollen wir die erste Phase nennen -
ist das Ergebnis politischen Eingriffs. Durch den Staat (polizeistaatlichen
Umgang mit Bettlern und durch Arbeitshäuser) wurden die Existenzmöglichkeiten
außerhalb des Arbeitsmarktes abgeschnitten. Erst auf dieser Grundlage kann der
Arbeitsmarkt zum zentralen gesellschaftlichen Steuerungsmedium werden. Hunger
wird damit zum arbeitspolitischen Regulativ (vgl. Polanyi 1978, 113ff.). Dies
Moment von "Künstlichkeit", mit der die Arbeitskraft historisch zur
Marktgängigkeit gezwungen wurde, ist ihr als systematisches Merkmal erhalten
geblieben. Arbeitskraft ist nicht Ware, sondern "fiktive Ware" (vgl.
Polanyi 1978, 102ff.; Offe, Hinrichs 1984; Vobruba 1983a). Das heißt: Sie wird
den Marktgesetzen gleich einer Ware unterworfen, fügt sich in ihren Qualitäten
jedoch der Warenform nicht restlos. Das hat zwei Konsequenzen:
1. Gemessen
an normalen Waren weist die "Ware" Arbeitskraft einen Überschuß an
Motiven auf, um am Arbeitsmarktgeschehen teilzunehmen. Sie nimmt nicht teil, um
schlicht (Faktor-) Einkommen zu erzielen, sondern um - in letzter Konsequenz -
materielle Not von sich abzuwehren. Die Arbeitskräfte haben sich - in der
Reinform liberal-ökonomischen Gesellschaftsverständnisses - vor der Drohung in
acht zu nehmen, die in der neuzeitlichen Anwendung des berühmten Satzes des
Apostels Paulus steckt: "... daß so jemand nicht will arbeiten, der soll
auch nicht essen" (2. Tess. 3.10).
2. Da für
die Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt nicht bloß über ökonomische Interessen
entschieden wird, sondern diese zugleich ihre Lebensinteressen sein müssen, ist
es unwahrscheinlich, daß die Verlierer im Arbeitsmarktgeschehen (die
Arbeitslosen, Arbeitsgeschädigten, Arbeitsunfähigen) die Regeln des
Arbeitsmarktes dauerhaft widerstandslos akzeptieren. Solchen Widerstand
vorwegnehmend oder ihm nachgebend - das spielt systematisch eine weniger große
Rolle, als manchmal angenommen wird (vgl. Alber 1982) - kommt es zur Ausbildung
sozialstaatlicher Sicherung. Damit wird das Prinzip der unbedingten Verknüpfung
von Arbeiten und Essen durchbrochen. Sozialstaatliche Sicherung bietet
arbeitsmarktexterne Lebenschancen, die aber unter lohnarbeitszentrierten
Vorbehalten stehen. Die lohnarbeitszentrierten Vorbehalte lauten "erst (lohn-)
arbeiten, dann, oder/und Lohnarbeitsbereitschaft zeigen, damit..."
Beispiel für ersteres ist die Altersversorgung, Beispiel für letzteres die
Sozialhilfe. Der Zugang zum Arbeitslosengeld steht unter beiden Vorbehalten.
Die Errichtung dieses Systems lohnarbeitszentrierter Sozialpolitik (vgl.
Vobruba 1985a) markiert den Beginn der zweiten Phase im Verhältnis von Arbeit
und Essen im Kapitalismus: die Phase der bedingten Entflechtung von Arbeiten
und Essen.
Mit ihr
entstehen zwei Probleme: Einerseits muß der Transfer von Geld aus dem
ökonomischen System in das System sozialer Sicherung gelingen. Dies findet via
Steuern, Gebühren und Beiträgen statt. Andererseits muß die Ausbreitung von
Motiven zu dauerhafter arbeitsmarktexterner Lebensführung unterbunden werden.
Dies erfolgt durch administrative Kontrollen der lohnarbeitszentrierten
Vorbehalte sozialstaatlicher Sicherung. Die Lösung beider Aufgaben bereitet
Schwierigkeiten: Der Geldtransfer wird in ökonomischen Krisen schwierig. Sie
schlagen in Krisen des Sozialstaates durch. Die Hintanhaltung der Ausbreitung
von Motiven zu arbeitsmarktexterner Lebensführung ist - jedenfalls in der
herrschenden Optik - ein Dauerproblem. Davon zeugt die Mißbrauchsdiskussion.
Sie begleitet die Entwicklung des Sozialstaats von seinen Anfängen an. Es ist
nicht einfach, mit dem Mißbrauchsvorwurf vernünftig umzugehen. Man muß ihn
dechiffrieren, um ihn handhabbar zu machen. Zum einen richtet sich der Vorwurf
gegen (behauptete) konkrete Fälle unberechtigter Inanspruchnahme von Sozialleistungen.
Das ist ein graduelles Problem, über das sich empirisch reden läßt. Zum anderen
ist der Mißbrauchsverdacht Ausdruck des politischen Willens, die strikte
Verflechtung von Arbeiten und Essen möglichst zu verteidigen. Das ist eine
prinzipielle, im weitesten Sinne ordnungspolitische Frage. In ihr treffen
unterschiedliche Interessen und Gesellschaftsentwürfe aufeinander. Von dieser
Doppelbedeutung rühren die Schwierigkeiten eines kritischen Umgangs mit dem
Mißbrauchsverdacht her. Einerseits kann man den empirisch ungerechtfertigten
Verdacht nicht hinnehmen und macht sich zum Anwalt derer, die er trifft (vgl.
Windolf 1982; Vobruba 1984). Andererseits aber läuft man damit Gefahr, die
Sicht darauf zu verstellen, daß es prinzipiell darum gehen muß, die
Entflechtung von Arbeiten und Essen voranzutreiben, um die existentielle
Abhängigkeit - und vielfache Erpreßbarkeit - der Lohnabhängigen zu relativieren
(vgl. Vobruba 1983; Greven 1984). In der politischen Praxis hat die reaktionäre
Okkupation des Mißbrauchsthemas zu Denkblockaden geführt. Es wird in der
wohlmeinenden Absicht, reaktionäre Attacken auf den einzelnen abzuwehren,
unversehens jenes Prinzip konserviert, das diese Attacken überhaupt erst
möglich macht (vgl. kritisch Esping-Andersen 1982; Offe 1982). Einfach das
Gegenteil zu versuchen, wäre freilich ebensowenig zielführend: Es ist sinnlos,
die bestmögliche individuelle Ausnutzung des Sozialstaats zur politischen
Empfehlung zu machen - etwa nach dem Motto: "Lieber krankfeiern als
gesundschuften." Man nimmt dabei grobe Ungerechtigkeiten in Kauf (jene,
die soziale Leistungen am dringendsten brauchen, sind zu solchen
"schlauen" Individualstrategien am wenigsten fähig), und man
provoziert von breiten Mehrheiten getragene ideologische und administrative Abwehrreaktion
(die wieder jene zuerst treffen, die sich am wenigsten selbst helfen können).
Das Dilemma
im Umgang mit dem Mißbrauchsverdacht ist "prinzipienimmanent" - das
heißt: Solange der Zugang zu arbeitsmarktexternen Lebenschancen unter
lohnarbeitszentrierten Vorbehalten steht - nicht zu lösen. Ebensowenig wie das
reale Mißbrauchsproblem selbst. Man muß beides zugleich unternehmen: den
Mißbrauchsverdacht in die richtige Größenordnung bringen und auf die richtigen
Adressaten orientieren und für die Entflechtung von Arbeiten und Essen
argumentieren.
Damit kommt
die dritte Phase im Wandel des Verhältnisses von Arbeiten und Essen ins
Blickfeld: die Phase der Entflechtung von Arbeiten und Essen. Soviel läßt sich
bisher festhalten: Im Wandel des Verhältnisses von Arbeiten und Essen gibt es
immerhin eine Tendenz zunehmender Lockerung. Das gilt zum einen für die
Entwicklung von Phase zu Phase. Zum anderen gilt es für die Entwicklung
innerhalb der zweiten Phase. Denn in den letzten 100 Jahren wurden die Leistungen
erhöht, es wurde der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert, und es wurden
Anwartschaftszeiten und andere restriktive Bedingungen abgebaut (vgl. Alber
1982). Man darf daraus zwar keineswegs auf einen sozialpolitischen Automatismus
schließen, man darf die Brüche in der Entwicklung nicht übersehen, und man darf
nicht glauben, daß das derzeitige Niveau sich ohne Anstrengungen erhalten läßt.
Aber die Erfahrungen der letzten 100 Jahre sprechen doch dafür, daß die
sozialstaatliche Entwicklung weitgehend irreversibel ist (vgl. Alber 1982;
Klages 1981, 59; Luhmann 1981, 152).
Vor diesem
Hintergrund läßt sich - so meine ich - doch mit einigem Optimismus an die Frage
herantreten: Welche Anknüpfungspunkte gibt es für das politische Projekt der
Entflechtung von Arbeiten und Essen?
Systematische
Anknüpfungspunkte für die Entflechtung von Arbeiten und Essen
Ich
unterscheide zwei Arten von Anknüpfungspunkten: Solche, die sich aus der
gesellschaftlichen Entwicklung ergeben, und solche, die sich in den laufenden
Theoriediskussionen finden lassen.
Das
lohnarbeitszentrierte System sozialer Sicherung ist durch die gegenwärtige
Krise der Lohnarbeit in zweierlei Weise gefährdet. Zum einen treffen in der
Krise Rückgänge der staatlichen Einnahmen und Steigerungen der
Leistungsanforderungen an das System sozialer Sicherung zusammen (vgl. Vobruba
1983, 56). Das System sozialer Sicherung gerät in die Schere der Finanzkrise.
Zum anderen droht ein zunehmender Funktionsverlust des Systems sozialer
Sicherung. Beide Aufgaben des Systems sozialer Sicherung: eine
bedarfsorientierte Mindestsicherung (Sozialhilfe) zu gewähren und ein gewisses
Maß an (Einkommens-) Statussicherung zu gewährleisten, werden zunehmend
verfehlt. Bedarfsgesichtspunkte in der Sozialhilfe werden vor fiskalischen
Erwägungen zurückgestellt. "Die jährliche Teuerungsanpassung
("Indexierung") des Warenkorbs ist seit dem 1.1.1982 mehrfach
unterbrochen worden. Die Fortschreibung des Warenkorbs, die etwa alle sieben
Jahre stattfinden sollte, wird seit Mitte der siebziger Jahre fiskalpolitisch
verhindert." (Leibfried u. a. 1985, 131). Auch Statussicherung kann das
System sozialer Sicherung immer weniger gewährleisten. Dies liegt einerseits an
der Abgruppierungsautomatik, in die um so mehr Arbeitslose geraten, je länger
die individuelle Arbeitslosigkeit dauert. Dieser "lange Weg in die
Armut" ist im Prinzip nichts Neues; neu ist, daß ihn zunehmend viele
beschreiten müssen. Der Funktionsverlust liegt andererseits an den
lohnarbeitszentrierten Vorbehalten, die in der Krise der Lohnarbeit tendenziell
zu Zugangsbarrieren werden: Eine zunehmende Anzahl von Betroffenen schafft den
Einstieg in die statussichernden, höheren "Versorgungsklassen" (Alber
1984) erst gar nicht. Dies ist der "kurze Weg in die Armut". Er ist
neu.
Die
spezifische Selektivität, die das lohnarbeitszentrierte System sozialer
Sicherung in der Krise der Lohnarbeit entwickelt, bestimmt die Verteilung der
Krisenkosten. Der Sozialstaat in der Finanzkrise einerseits und die
Selektivität der Verteilung der Krisenkosten andererseits - der Anschein, daß
diese beiden Diagnosen der Krise des Wohlfahrtsstaats in Konkurrenz stehen
(vgl. Greven 1984, 70) trügt. Denn beide stimmen im Kern überein. Ihr
gemeinsamer Ausgangspunkt ist, daß die Krise soziale Kosten verursacht. Sie
unterscheiden sich allerdings in der Genauigkeit der Bestimmung, wer diese
Kosten letztendlich trägt. Der "Scherenansatz" unterstellt eine
staatliche Trägerschaft und schließt aus dem Zusammentreffen von mehr Ausgaben
und weniger Einnahmen auf einen "überlasteten Staat" (Klages 1981)
bzw. auf ein Problem des Staates "für sich selbst" (Vobruba 1983).
Dies scheint mir zwar nach wie vor nicht falsch, aber doch zu pauschal
angesetzt. Denn tatsächlich haben in den letzten Jahren erhebliche Abgruppierungsprozesse
stattgefunden. Sie sind zum einen die Folge von Leistungskürzungen und
verschärften Zugangsvoraussetzungen, zum anderen die Folge des
Abgruppierungsautomatismus im System lohnarbeitszentrierter Sozialpolitik:
"Zusammen
mit der dramatisch angestiegenen Dauer der Arbeitslosigkeit, dem zunehmenden
Umfang der Mehrfacharbeitslosigkeit sowie der wachsenden Zahl von Personen ohne
bisherige (beitragspflichtige) Berufstätigkeit unter den Arbeitslosen haben die
skizzierten Leistungseinschränkungen zur Folge, daß sich in den vergangenen
Jahren
- der Anteil
der Arbeitslosengeld-Bezieher unter den gemeldeten Arbeitslosen kontinuierlich
von 58 vH (1976) auf mittlerweile 35 vH (September 1984) verringert hat;
- der Anteil
der Arbeitslosen, die nur noch die niedrigere, Bedürftigkeit voraussetzende
Arbeitslosenhilfe erhalten, von 14 vH (1980) auf mehr als 27vH (September 1984)
erhöht hat;
- und der
Anteil derjenigen Arbeitslosen, die beim Arbeitsamt gemeldet sind, jedoch
keinerlei Leistungen (mehr) erhalten, auf mittlerweile 38 vH (September 1984)
angewachsen ist." (Büchtemann 1985, 43)
Die den
Staat treffenden finanziellen Krisenlasten werden also über die spezifische
Selektivität des lohnarbeitszentrierten Systems sozialer Sicherung gerade an
die Schwächsten weitergereicht. Diese offensichtliche Widersinnigkeit läßt es
angeraten erscheinen, das System sozialer Sicherung aus seiner
Lohnarbeitszentriertheit zu lösen. Das heißt: Es müssen Zutrittsmöglichkeiten
zu materiellen Leistungen geschaffen werden, die ausreichend dimensioniert sind
und die nicht unter lohnarbeitszentrierten Vorbehalten stehen.
Damit
erzielt man erst einmal keineswegs eine Verbesserung/Erweiterung sozialer
Sicherheit, sondern man verhindert bloß, daß das System sozialer Sicherung in
der Krise der Lohnarbeit seine Funktion verliert.
Es genügt
also schon eine Rückbesinnung auf die kompensatorische Programmatik des
Sozialstaats, um die Notwendigkeit der Lösung sozialstaatlicher Leistungen aus
ihrer Lohnarbeitszentriertheit einzusehen. Aber man sollte dieses Argument noch
um ein offensiveres ergänzen.
Der
Arbeitsmarkt erbringt simultan zwei Arten von Leistungen: Er weist den
Arbeitskräften Arbeitsplätze zu und er verschafft ihnen Einkommen. Es ist
Medium für die Allokation von Arbeitskraft und für die Zuteilung von
Lebenschancen. Unter allen in Sicht befindlichen Alternativen scheint nach wie
vor der Arbeitsmarkt diese beiden Aufgaben am besten - weil: ökonomisch
effizient und persönlich freiheitswahrend - zu erfüllen. Allerdings hat der
Arbeitsmarkt den Nachteil, daß er nicht überall greift, daß sein
Wirkungsbereich vielmehr offensichtlich nicht all jene erfaßt, die auf seine
Leistungen angewiesen sind. Nichts anderes bedeutet die zunehmende
Dauerarbeitslosigkeit. Damit entsteht die Notwendigkeit, jenem Volumen an
Arbeit, das dem Ausmaß der Dauerarbeitslosigkeit entspricht, politisch Anschluß
an die Verteilung gesellschaftlicher Lebenschancen zu verschaffen. Das kann
bedeuten, daß man versucht, die brachliegende Arbeitskraft an den Arbeitsmarkt
anzukoppeln - sei es durch Förderung von Wirtschaftswachstum, sei es durch
allgemeine Arbeitszeitverkürzung. Aber dies ist keinesfalls die einzige und
ausschließlich denkbare Konsequenz. Gerade "wer die materielle Not der
Arbeitslosen betont, gibt eigentlich zu, daß sie Güter, nicht Arbeit
wollen" (Spahn 1980, 258). Die zweite Konsequenz, die sich daraus ziehen
läßt, ist, daß man arbeitsmarktexterne Zugänge zu Lebenschancen schafft - also
Arbeiten und Essen entflechtet.
Nun zu den
theoretischen Anknüpfungspunkten. Hier interessieren einige
Argumentationsstränge, die gleichsam "vor" der Diskussion um die
Entflechtung von Arbeiten und Essen liegen, die auch keinen Bezug zu dieser
Entflechtung intendieren, die in ihrem einen oder anderen Aspekt aber dennoch
auf die Entflechtung weisen.
Wichtig sind
zum einen die Versuche, subjektive Rechtsansprüche auf soziale
Sicherungsleistungen nicht analog der juristischen Denkfigur des Eigentums, das
man erwirbt, sondern als gesellschaftliche Teilhaberechte sui generis, die
einem zustehen, zu interpretieren (vgl. Kaufmann 1982). Dies ist von Bedeutung,
weil hier in juristischem Gewande vom traditionellen Anwartschaftsprinzip in
der Sozialpolitik - deren Prinzip "erst arbeiten, dann..." -
abgerückt wird. In der sozialpolitischen Theoriediskussion ist das Anknüpfen an
das Finalisierungskonzept - genauer: an monetäre Finalisierung (vgl. Vobruba
1984) - sinnvoll. Finalisierung der Sozialpolitik (vgl. Alber 1976; Strasser
1979) bedeutet, daß Sozialleistungen nicht aufgrund vorhergegangener Ursachen -
also: kausal -, sondern gemäß definierter Zwecke erbracht werden. Unter
monetärer Finalisierung verstehe ich den Fall, daß diese Zweckdefinitionen in
Geld ausgedrückt werden. Damit lassen sich zum einen klar objektivierbare und
überprüfbare Leistungsstandards formulieren, die ungerechtfertigte
Leistungskumulation und krasse Unterversorgung vermeidbar machen. Zum anderen
bedeutet Finalisierung - ihrer Idee nach - die Möglichkeit der Etablierung
reiner sozialpolitischer Zwecksetzungen und damit eines Prinzips, das dem
Denkansatz eines garantierten Grundeinkommens entspricht. Teilhabe statt
Eigentum als juristisches Leitmotiv und Zwecksetzung (Finalisierung) statt
Kausalität als sozialpolitische Orientierung - dies steckt den Rahmen ab, in
dem Überlegungen zur Entflechtung von Arbeiten und Essen vorangebracht werden
müssen.
Der nächste
Arbeitsschritt dazu muß nun sein, Kriterien zu entwickeln und zu begründen, an
denen die Eignung verschiedener Instrumente zur Entflechtung von Arbeiten und
Essen zu prüfen ist.
Kriterien
für die Entflechtung von Arbeiten und Essen
Konzipiert
man die Entflechtung von Arbeiten und Essen als politische Reaktion auf die
Krise der Lohnarbeit, so bedeutet das, daß man die Zuteilungsfunktion des
Arbeitsmarktes nicht ersetzen, sondern ergänzen will. Damit setzt man sich
zugleich von Positionen ab, die etwa von Popper-Lynkeus und Adler-Karlsson
vertreten werden. Ihnen geht es um die Errichtung eines gesellschaftlichen
Mehr-Sektoren-Modells, in dessen einem Sektor der Arbeitsmarkt außer Kraft
gesetzt wird.
Seine
Allokationsfunktion wird durch "eine klar definierte Arbeitspflicht für
alle" (Adler-Karlsson 1979, 496) bzw. den Dienst in der
"Nährarmee" (Popper-Lynkeus 1982, 125) ersetzt. An die Stelle seiner
Funktion der Zuteilung von Lebenschancen tritt die Versorgung im
"Grundbedarfssektor" (Adler-Karlsson) bzw. eine
"Minimum-Institution" (Popper-Lynkeus). Der Grundeinwand gegen diese
Modelle lautet, daß sich die Sektoren dauerhaft gegeneinander nicht sauber
abgrenzen lassen, sondern die Marktsteuerung mit der Zeit ganz verdrängt wird
und sich ein allgemeines bürokratisches Bewirtschaftungssystem mit all den
bekannten Nachteilen etabliert. Wenn diese Gefahr vermieden, der Arbeitsmarkt
also nicht ersetzt, sondern ergänzt werden soll, dann läßt sich daraus
unmittelbar ein erstes Kriterium: die Dosierbarkeit des
Arbeitsmarkt-Entlastungseffekts formulieren. Es ist zu erwarten, daß das
Angebot an Arbeitskraft mit der Einführung eines garantierten Grundeinkommens
zurückgeht. Ein solcher Rückgang ist arbeitsmarktpolitisch erwünscht - und zwar
im Umfang der Arbeitslosigkeit. Das Ausmaß des Rückgangs hängt
selbstverständlich von der Höhe des garantierten Grundeinkommens ab. Aber der
Rückgang wird bei jeder Einkommenshöhe vermutlich geringer sein, als allgemein
- und vor allem von konservativen Kritikern - angenommen wird. Denn zum einen
ist mit einkommensunabhängigen Arbeitsmotiven zu rechnen, die heute entweder
verdeckt sind (das ist der Fall gut bezahlter Arbeit, die man auch bei
geringerem Entgelt leisten würde) oder die unterdrückt werden (das gilt für
Arbeitswünsche nicht Berufstätiger, die nicht - oder kaum - materiell bedingt
sind). Und zum anderen ist es die Ausgestaltung des garantierten Grundeinkommens
selbst, die drastische Einbrüche verhindert.
Dies gilt
jedenfalls dann, wenn man dem zweiten Kriterium folgt: dem Vermeiden der
Armutsfalle. Die Armutsfalle entstünde dann, wenn das garantierte
Grundeinkommen so organisiert wäre, daß bei geringfügigem bis mäßigem
Arbeitseinkommen gleich das gesamte Transfereinkommen gestrichen wird. Das ist
ein wesentlicher Konstruktionsfehler der derzeitigen Sozialhilfe (vgl. Almsick
1981, 40). Dadurch entsteht für den einzelnen ein "Sprungbereich", in
dem sich die Arbeitsaufnahme absolut oder relativ nicht lohnt. Die Arbeit lohnt
"absolut" nicht, bedeutet, daß das Arbeitseinkommen niedriger ist als
das garantierte Grundeinkommen. Die Arbeit lohnt "relativ" nicht,
bedeutet, daß das Arbeitseinkommen zwar das arbeitsunabhängige übersteigt, daß
aber die materiellen und immateriellen Kosten der Arbeitsaufnahme diesen
positiven Saldo überwiegen. Diesen "Sprungbereich" zu überwinden,
also: eine Arbeit zu finden, die ausreichend mehr abwirft als das garantierte
Grundeinkommen, wird häufig jenseits der Möglichkeiten des einzelnen liegen.
Damit entsteht die irrationale Situation, daß die Arbeitsaufnahme trotz des
Wunsches nach Arbeit und (Zu-)Verdienst unterbleibt. Dies ist die Armutsfalle.
Sie droht - das ist leicht vorauszusehen - den minder Qualifizierten, denen
also, denen das garantierte Grundeinkommen gerade Chancen bieten sollte. Wenn
man die Armutsfalle nicht vermeidet, wird ein garantiertes Grundeinkommen also
nicht nur arbeitsmarktpolitisch problematisch, sondern auch sozialpolitisch
kontraproduktiv. Es müssen daher arbeitsunabhängige und Arbeitseinkommen
kombinierbar gemacht werden. Dies muß derart geschehen, daß die Minderungen des
arbeitsunabhängigen Einkommens bei Arbeitsaufnahme geringer sind als die
Zuverdienste, daß also der Saldo ausreichend positiv ist. Mit anderen Worten:
Das garantierte Grundeinkommen muß so organisiert sein, daß sich Leistung -
gerade im unteren Einkommensbereich - lohnt.
Die
freiheitsstiftenden Effekte eines garantierten Grundeinkommens liegen auf der
Hand und sind weitestgehend unbestritten. (Die konservative Kritik spricht da
nicht dagegen, ihr geht die Freiheit vielmehr viel zu weit.) Weniger deutlich
wurde bisher gesehen, daß mit einem garantierten Grundeinkommen auch neue
Kontrollnotwendigkeiten entstehen. Das dritte Kriterium lautet daher:
Minimierung des Kontrollaufwandes im Zusammenhang eines garantierten
Grundeinkommens. Ich sehe drei Bereiche, in denen das Kontrollproblem auftritt.
Der Kreis
der Berechtigten: Diese Variante des Kontrollproblems ergibt sich aus dem
Zielkonflikt zwischen der Allgemeinheit eines garantierten Grundeinkommens und
verteilungs- und sozialpolitischer Effizienz. Zwischen diesen beiden - und
damit über das Ausmaß des Kontrollaufwandes - muß entschieden werden; und zwar
etwa anhand der folgenden Fragen: Wie werden Familien mit einem sehr guten
Alleinverdiener und mehreren Nichtverdienern behandelt? Wie werden Einkommen
aus Vermögen berücksichtigt? Welche biographischen Sonderlagen (Behinderung,
Krankheit etc.) werden als Anlaß für zusätzliche Unterstützung anerkannt? Soll
das garantierte Grundeinkommen jedermann zustehen oder will man es an
Voraussetzungen: Staatsbürgerschaft, Vorliegen einer Arbeitserlaubnis, Dauer
des Aufenthalts knüpfen? Die erste Variante zieht rigide Kontrollen des Zuzugs
von Ausländern nach sich, die letztere Variante erfordert bürokratische
Überprüfung der Anspruchsvoraussetzung.
Die
Mittelverwendung: Es muß entschieden werden, ob ein garantiertes Grundeinkommen
selbst bereits das letzte Netz sozialer Sicherung abgeben soll oder ob es durch
eine "tiefer" gespannte Sozialhilfe ergänzt wird. Im ersteren Fall
entsteht die Frage, wie man mit Anspruchsberechtigten, die nachweislich nicht
in der Lage sind, mit dem Geld vernünftig zu wirtschaften, umgehen soll. Soll
die Auszahlung bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen in Gütern (des
täglichen Bedarfs) erfolgen? Oder soll die Auszahlung in kleinen Raten
stattfinden? Welche Instanz prüft die Voraussetzungen für einen solchen - vor
"Selbstschädigung" bewahrenden - Auszahlungsmodus? Und wer leitet ihn
ein? Immerhin bedeutet dies nicht weniger als eine ökonomische (Teil-)
Entmündigung. Wird dagegen eine subsidiäre Sozialhilfe beibehalten, so
verzichtet man auf einen - möglicherweise erheblichen - sozialpolitischen
Rationalisierungseffekt und auf politische Bündnisgenossen, die daran besonders
interessiert sind und ein garantiertes Grundeinkommen dabei gleichsam in Kauf
nehmen würden.
Die
Sicherung der Finanzierung: Mit der Einrichtung eines garantierten
Grundeinkommens entsteht in jedem Fall ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf des
Staates. Dadurch verschärft sich auch in jedem Fall das Problem der Kontrolle
von Steuerhinterziehung. Wo diese Kontrolle anzusetzen ist, hängt davon ab, wie
das Steuersystem gestaltet wird: ob es bei der derzeitigen Steuerstruktur
bleibt oder ob es zu zusätzlichen Besteuerungen, etwa einer
Wertschöpfungssteuer (vgl. Adamy, Bäcker 1985), kommt. Dagegen ändert sich die
Kontrollnotwendigkeit mit der Art des garantierten Grundeinkommens kaum.
Tatsächlich besteht zwischen einer negativen Einkommensteuer und einer
Sozialdividende kein wesentlicher Unterschied.
In beiden
Fällen wird das Gesamteinkommen mit zunehmender Höhe im Effekt zunehmend
belastet. Bei der negativen Einkommensteuer ergibt sich das aus den Abschlägen
auf den arbeitsunabhängigen Höchstbetrag, die entsprechend dem Arbeitseinkommen
erfolgen. Bei der Sozialdividende ergibt sich derselbe Effekt, wenn das
Gesamteinkommen, also: Sozialdividende und Arbeitseinkommen, der
Steuerprogression unterworfen wird. Nun wäre es auch denkbar, die
Sozialdividende von der Besteuerung auszunehmen. Dies hätte allerdings zur
Folge, daß - mit Rücksicht auf die Finanzierbarkeit des Systems - schon geringe
Arbeitseinkommen recht hoch besteuert werden müßten. Damit aber wird die
Aufnahme gerade von gering dosierter Arbeit unattraktiv und unterbleibt. Es
öffnet sich also die Armutsfalle.
Eine hohe
Anfangsbesteuerung von Arbeitseinkommen ist arbeitsmarktpolitisch,
sozialpolitisch und gesellschaftspolitisch schädlich. Eine steuerfreie
Sozialdividende und eine niedrige Besteuerung der Arbeitseinkommen im unteren
Bereich ist finanziell illusorisch. - Man muß sich also den
Kontrollerfordernissen, die sich aus einer Staffelung des garantierten
Grundeinkommens - egal ob als negative Einkommensteuer oder als in die
Steuerprogression einbezogene Sozialdividende - ergeben, stellen.
Arbeitszeitpolitik
und garantiertes Grundeinkommen
Selbst wenn
man das garantierte Grundeinkommen so organisiert, daß man die Armutsfalle
vermeidet, ist noch nicht sichergestellt, daß man damit nicht die Verfestigung
einer "unguten Doppelwirtschaft" (Huber 1982, 124) fördert und
finanziell besiegelt. In einer solchen "Doppelwirtschaft" ständen
einander eine Gruppe mit staatlich subventionierten Gelegenheitsjobs und eine
Gruppe mit guten Markteinkommen, die das garantierte Grundeinkommen nicht in
Anspruch nimmt, unvermittelt und höchstwahrscheinlich einigermaßen feindselig
gegenüber; feindselig wohl deshalb, weil die gut entlohnte Gruppe den - noch
dazu durchaus richtigen - Eindruck gewinnen muß, die andere Gruppe dauerhaft zu
alimentieren. Will man eine solche soziale Polarisierung vermeiden, so muß man
versuchen, den Arbeitsmarktentlastungseffekt möglichst breit - und das heißt
auch: möglichst auf allen Stufen beruflicher Qualifikation - zu streuen. Dies
wiederum ist nur möglich, wenn es auf allen Qualifikationsstufen fein
portionierte Arbeitszeiten gibt. Daraus ergibt sich ein viertes Kriterium: Die
Einrichtung eines garantierten Grundeinkommens muß mit arbeitszeitpolitischen
Maßnahmen verknüpft werden (vgl. Vobruba 1985b). Erst aus der Verbindung von
Abstufungen des garantierten Grundeinkommens mit Wahlmöglichkeiten der
individuell gewünschten Lohnarbeits- und Einkommensmenge läßt sich der
Arbeitsmarktentlastungseffekt durch ein arbeitsunabhängiges Einkommen
verallgemeinern und der strukturiert starre Arbeitsmarkt wieder
"verflüssigen".
Deshalb
sollte man die Perspektive auf die Entflechtung von Arbeiten und Essen
keinesfalls als Alternative zu Arbeitszeitpolitik ansehen. Denn beide bedingen
einander. Gefahren der Entflechtung lassen sich nur arbeitszeitpolitisch
abfangen. Arbeitszeitpolitik wird durch Maßnahmen in Richtung auf ein
garantiertes Grundeinkommen erleichtert. Die Realisierung freiwilliger
Arbeitszeitumverteilung scheitert heute oft weniger an den unmittelbar damit
verbundenen Einkommensminderungen. Sie wird vielmehr durch die - berechtigte -
Sorge blockiert, daß Verzichte auf Teile von Arbeit und Einkommen später
Nachteile sozialpolitischer Art bringen (vgl. Landenberger 1984). So wird das
Arbeitslosengeld nach dem letzten Einkommen, also auch: dem letzten
Teilzeit-Einkommen, berechnet, unabhängig davon, ob man davor ganztags
gearbeitet und mehr verdient hat. In Zeiten unsicherer Beschäftigung ist es
daher individuell rational, wenn Ganztagsbeschäftigte ihre
Teilzeit-Arbeitswünsche nicht realisieren, um sozialpolitisch keinen Schaden zu
riskieren. Gesamtwirtschaftlich ist dieses Unterdrücken von Arbeitszeit-Umverteilungspotentialen
freilich irrational. Diese arbeitszeitpolitische Blockierung ist nur durch die
Lockerung des Zusammenhangs von Lohnarbeit/Einkommen und Arbeitslosengeld
aufhebbar. Im weiteren Zeithorizont wird freiwillige Arbeitszeitumverteilung
durch die strikten Anwartschaftsregelungen zur Alterssicherung blockiert. Man
ist nicht bereit, trotz der unmittelbaren materiellen Möglichkeiten auf
Einkommenszeiten zu verzichten, weil man fürchten muß, daß einem später einmal
die Zeiten "abgehen". Auch hier hilft nur ein Schritt in Richtung der
Entflechtung von Arbeiten und Essen. Der Abbau des Kausalitätsprinzips in der
Alterssicherung ist also auch arbeitszeitpolitisch - und damit
arbeitsmarktpolitisch - von Bedeutung. Man kann dies aus arbeitszeitpolitischer
Perspektive so formulieren: Neue Arbeitszeitregelungen mit Möglichkeiten
individueller Arbeitszeitreduktion haben nur dann Aussicht auf
Breitenwirksamkeit, wenn sie gemeinsam mit ihnen angepaßten Veränderungen des
Systems sozialer Sicherheit und insbesondere mit neuen Konzepten der
Alterssicherung angeboten werden.
Das
garantierte Grundeinkommen ist kein gesellschaftspolitisches Allheilmittel. Es
ist sowohl von seiner gesellschaftspolitischen Herkunft wie auch von seinen
erwartbaren Effekten her in hohem Maße ambivalent. Soll es als Instrument zur
Realisierung einer Gesellschaft vermehrter individueller Wahlmöglichkeiten
(vgl. Rehn 1973) tauglich sein, so muß man es mit Arbeitszeitpolitik:
Arbeitszeitverkürzung und Arbeitszeitflexibilisierung kombinieren. Bei dieser
Empfehlung kann man sich auf das allgemeine Marktmodell berufen.
Mißt man den
Arbeitsmarkt, so wie er heute funktioniert, am allgemeinen Marktmodell, so
fallen zwei entscheidende Abweichungen auf: Zum einen fehlt die Voraussetzung,
daß Anbieter und Nachfrager über gleiche Handlungsspielräume verfügen. Kapital
hat auf dem Arbeitsmarkt mehr Optionen als Lohnarbeit. Daher ist Lohnarbeit auf
Kapital dringender angewiesen als Kapital auf Lohnarbeit. "Sobald es dem
Kapital einfällt - notwendiger oder willkürlicher Einfall - nicht mehr für den
Arbeiter da zu sein, ist er selbst nicht mehr für sich, er hat keine Arbeit,
darum keinen Lohn, und da er nicht als Mensch, sondern als Arbeiter Dasein hat,
so kann er sich begraben lassen, verhungern etc." (Marx 1968, 523). Das
garantierte Grundeinkommen beseitigt diese Asymmetrie tendenziell, da es die
Angewiesenheit der Lohnarbeit auf die Kooperationsbereitschaft des Kapitals
mildert. Erst damit wird die, in Marktmodellen stets unterstellte, "Waffengleichheit"
von Angebot und Nachfrage hergestellt. Man kann dies in der Tat als ein
wesentliches Moment für die "Einführung der Marktwirtschaft"
(Hausmann 1984, 86ff.) ansehen.
Zum anderen
ist die im Marktmodell enthaltene Bedingung der unendlichen Teilbarkeit des
Angebots auf dem Arbeitsmarkt nicht erfüllt. Diese Nicht-Teilbarkeit liegt
nicht in der "Natur" des Angebots an Arbeitskraft, sondern an
institutionellen Rigiditäten: Reduzierte Arbeitszeiten werden von
Unternehmensseite nicht in ausreichendem Maße eingeräumt; mit dem Einkommen bei
stark reduzierter Arbeitszeit läßt sich nicht leben; abweichende Arbeitszeiten
sind sozialpolitisch benachteiligt. Mit der Kombination von Arbeitszeitpolitik
und Grundeinkommen lassen sich solche Rigiditäten abbauen und schlechte
"Alles-oder-Nichts-Wahlmöglichkeiten" für die Arbeitskräfte
vermeiden: Erst auf der Basis eines garantierten Grundeinkommens wird es
möglich, Arbeitskraft "marktmäßig" - im Sinne von: in feinen,
wohlabgewogenen Mengen - anzubieten. Und wenn sich das Angebot an Arbeitskraft
(durch Arbeitszeitverkürzung und Grundeinkommen) ausreichend verknappt, wird
sich auch die Nachfrage nach Arbeitskraft auf dieses Angebot einlassen müssen.
Die
Perspektive auf ein garantiertes Grundeinkommen läßt sich nicht bloß einem
Politikfeld zurechnen. Man kann für ein garantiertes Grundeinkommen
sozialpolitisch argumentieren, aber man darf es nicht nur als ein Instrument
der Sozialpolitik begreifen. Das garantierte Grundeinkommen hat arbeitsmarkt-
und arbeitszeitpolitische Effekte, und es bedarf - insbesondere -
arbeitszeitpolitischer Flankierung, um sinnvoll zu funktionieren. Es geht also
nicht an, Grundeinkommen gegen Arbeitszeitpolitik auszuspielen; ebenso wie die
Entgegensetzung von "Recht auf Arbeit" und "Recht auf
Einkommen" sinnlos ist. In letzter Konsequenz hat das garantierte
Grundeinkommen ebenso wie Arbeitszeitverkürzung den Sinn, der zunehmend
rationellen Produktion ausreichend rationale Verteilungsergebnisse
abzuverlangen. Ich denke, daß die Bedeutung eines garantierten Grundeinkommens
hierfür im Zunehmen begriffen ist.