Eine
"Sozialerbschaft" kann Bildungshunger wecken und die Selbständigkeit fördern /
Von Gerd Grözinger, Michael Maschke und Claus Offe
Jeder
Bürger soll zum Start ins Erwachsenenleben mit einem Kapital von 60.000 Euro vom
Staat ausgestattet werden. Damit können junge Leute ihre Ausbildung finanzieren,
ein Unternehmen oder eine Familie gründen. Mit dieser Idee stellen drei
Wissenschaftler die bisherige Konstruktion des Wohlfahrtsstaats auf den
Kopf.
Von dem
Startkapital, das alle Bürger ab dem 18. Lebensjahr erhalten, könnten z. B.
Ausbildungen finanziert, freiberufliche Tätigkeiten begonnen oder Wohneigentum
erworben werden; es dient aber auch als vorrangige Absicherung gegen
Einkommensarmut. Damit sind zahlreiche implizite Anknüpfungspunkte an
gegenwärtig in Deutschland geführte Diskussionen, an die aktuellen Debatten über
den Umbau des Sozialstaats, die Generationengerechtigkeit, die staatliche
Fiskalsouveränität unter den Bedingungen der Globalisierung, die unzulängliche
Kapitalversorgung mittelständischer Unternehmen, die Hochschul- und
Studienfinanzierung sowie die viel geforderte Reform der Besteuerung von
Erbschaften und Vermögen gegeben. (. . .)
Wir sehen eine Sozialerbschaft
sicher nicht als das Allheilmittel für alle Schwierigkeiten des Sozialstaats an.
So wird es weiter eine Kranken-, Pflege-, Alters- und auch
Arbeitslosenversicherung geben müssen. Aber um den Elan der jüngeren Generation
anzuspornen, um mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen zu schaffen und vor
allem auch, um Staatsbürger zu am Gemeinwesen interessierte Teilhaber zu machen
gibt es unserer Meinung nach nicht Besseres.
Natürlich ist der
Vorschlag, allen jungen Erwachsenen ein nicht unerhebliches Vermögen zur
Verfügung zu stellen, eine Zumutung für lang gehegte Überzeugungen. Darf man
verdienten Älteren wirklich erhebliche Lasten auferlegen, um deren Erträge an
Newcomer zum gesellschaftlichen Leistungssystem umzuverteilen? Wer bekommt das
überhaupt? Stellen die damit auch keinen Unsinn an, so dass es nur zu einer
gigantischen Verschwendung kommen würde?
Wir halten dagegen, dass eine
solche Chance zu zahlreichen Aktivierungen gerade bei denen führt, die sich
zurzeit als eher chancenlos empfinden. Dazu bedarf es aber einiger
Voraussetzungen. Die erste ist, dass zwar alle ein Anrecht auf die Erträge
"ihres" Vermögens haben, aber die Auszahlung des Kapitals selbst an einige
Bedingungen geknüpft sein sollte. Die erste ist, dass - zumindest über eine
längere Lebensphase zu Beginn - ein bestimmter Bildungsabschluss erreicht wurde
(Abitur oder Lehre). Das stärkt zum einen die Rolle der Schule, die auf diesen
Erbschaftsfall im Unterricht intensiv vorbereiten muss, zum anderen führt es zu
einer Nachfrage nach solchen Abschlüssen seitens der Jugendlichen und deren
Eltern. Das dürfte ganz nebenbei der Politik die stärkste Pro-Bildungs-Lobby
bescheren, die man in Deutschland je gesehen hat.
Zweitens sind mehrere
ausführliche Pflichtberatungen vorgesehen. Drittens gibt es eine Gewöhnungs- und
Verzögerungsphase, wo zunächst zwar die Zinsen ausgezahlt werden, aber das
Kapital in der Regel unantastbar bleibt, und auch danach wird nicht alles
sofort, sondern nur in mehreren Jahren auf das individuelle Konto transferiert.
Das trainiert das Umgehen mit dem eigenen Vermögen.
Gründer
schaffen Arbeitsplätze
Viertens schließlich ist nicht nur die deutsche
Staatsangehörigkeit, sondern auch eine längere Phase des Schulbesuchs in
Deutschland nachzuweisen. Der Schule muss die tatsächliche Gelegenheit gegeben
werden, früh und lange einzuwirken. Sowohl die aufgewertete Bedeutung eines
formellen Bildungs- oder Ausbildungsabschlusses wie diese Bestimmung hätten
wieder einen starken positiven Nebeneffekt. Denn vor allem die Integration der
Migrantenkinder würde gestärkt. (...)
Nehmen wir als
anderes Beispiel für die zahlreichen positiven Wirkungen einer Sozialerbschaft
die Firmengründungen heraus. Eines der stärksten ökonomischen Argumente für ein
breit gestreutes Anfangskapital für alle ist die Möglichkeit, sich damit schon
in sehr jungen Jahren wirtschaftlich unabhängig machen zu können. Natürlich ist
ein Schritt in die Selbstständigkeit immer auch mit allerhand Risiken verbunden.
Aber Selbstständige scheinen im Durchschnitt trotz aller damit oft auch
verbundenen Probleme ihre größeren Freiheiten, ihre stärkere Selbstbestimmung
doch in der Summe sehr wertzuschätzen. So ist bei Untersuchungen ein eindeutig
positiver Einfluss der wirtschaftlichen Selbstständigkeit auf das individuelle
Wohlbefinden beobachtbar. Kein Wunder also, dass fast jeder zweite Deutsche am
liebsten so arbeiten würde.
Eine höhere Selbstständigenquote hätte aber
noch manche andere Vorteile, die auch Dritte betreffen. Das gilt vor allem für
die Beschäftigungswirkung. Im Schnitt geht eine Gründung in Deutschland
rechnerisch mit der Schaffung von drei Arbeitsplätzen einher. Und gerade in der
neueren Zeit haben kleine Firmen eine bessere Arbeitsmarktbilanz als die große
Konkurrenz. Während Großbetriebe ihre Beschäftigten abbauten, nahm dagegen der
Anteil der Erwerbstätigen vor allem in der untersten Zählklasse der Unternehmen
mit weniger als zehn Beschäftigten zu. Der Mittelstand in Deutschland insgesamt
erzeugt zwar nur weniger als die Hälfte aller Umsätze. Aber er beschäftigt
ungefähr zwei Drittel aller Arbeitnehmer und bildet mehr als vier Fünftel aller
Lehrlinge aus.
Trotz mancher hilfreicher Aktivitäten der öffentlichen
Hände bei einer geplanten Gründung war der Erfolg bisher aber noch nicht
durchschlagend. Weder in der Landwirtschaft, noch in der Industrie, noch in den
Dienstleistungen erreicht Deutschland die Selbstständigenquote der Europäischen
Union bzw. ihrer langjährigen fünfzehn Mitglieder. Das sollte eine breit
angelegte Sozialerbschaft ändern können.
Denn eine
Geschäftsgründung ist weniger eine Frage des Charakters denn der Gelegenheit.
Ökonomen sind der Frage, ob Selbstständigkeit eher ein Persönlichkeitsmerkmal
darstellt oder eher günstigen Bedingungen geschuldet ist, einmal nachgegangen.
Sie haben konkret untersucht, ob eine plötzliche Erbschaft eigentlich zu einem
veränderten Gründungsverhalten führt. Das Ergebnis war sehr eindeutig: selbst
nicht allzu hohe Beträge führten gleich zu einer erheblich größeren
Wahrscheinlichkeit für den Schritt in die Selbstständigkeit. Das galt besonders
für die Jüngeren, die sonst häufig am Mangel von Kapital oder Sicherheiten
scheiterten. Es ist also sehr produktiv, für genau diese Altersgruppe die Chance
für einen eigenen Start gesellschaftlich zu organisieren.
Mit einem
Startkapital für alle lässt sich viel anzufangen. Eine eigene Geschäftsidee zu
verfolgen und damit auch beizutragen, die Gründungsschwäche in Deutschland
umzukehren, ist sicher eine davon. Sich früh auf Wohneigentum zu freuen, eine
andere. Schon in jüngeren Jahren an Kinder zu denken, auch wenn das Einkommen in
dieser Phase altersmäßig noch eher gering ist, eine dritte. Oder viertens auch,
sich eine ordentliche Hochschul-Ausbildung leisten zu können, die der an
amerikanischen Einrichtungen ebenbürtig wäre.
Dieses letzte Beispiel
zeigt zugleich, wie die Gesellschaft insgesamt davon profitierte, indem ein
häufig überfordert scheinender Staat dadurch entlastet werden könnte (ähnlich
sicher auch in der Familienpolitik). Zwar ist sein langem klar, dass unsere
Hochschulen unterfinanziert und unterdimensioniert sind. Deutschland fällt
ökonomisch auch deshalb zurück, weil wir seit Jahrzehnten zu wenig hier
investieren. Aber die Politik scheint nach wie vor nicht in der Lage, Abhilfe zu
schaffen. Wenn jedoch in Zukunft eine höhere Ausbildung aus der Sozialerbschaft
zu finanzieren ist, können die Hochschulen in eine finanzielle und
organisatorische weitgehende Autonomie entlassen werden. Der Staat müsste nur
noch Qualitätssicherung betreiben und sich um die (weiter gesamtgesellschaftlich
zu verantwortende) Forschung kümmern. Ansonsten kann er getrost darauf setzen,
dass sich die zahlungskräftige Nachfrage von Studierenden, die sich bessere
Einkommenschancen, intellektuelle Anregung und ein interessanteres
Tätigkeitsfeld später im Berufsleben erhoffen, ausreichende und finanziell
ausreichend ausgestattete Studienplätze schafft.
Und die anderen? Eine
sehr große (wenn auch mit den Jahren immer kleiner werdende) Gruppe ist von der
Teilhabe ganz ausgeschlossen. Nämlich alle, die das "Pech" hatten, vor dem
Stichtag der Einführung (z. B. dem 1. 1. 2007) schon Erwachsene gewesen zu sein.
Ein solches Programm lässt sich nur finanzieren, wenn es einen recht harten
Schnitt vorsieht und ältere Jahrgänge davon ausgeschlossen bleiben. Das
erscheint auf den ersten Blick so ungerecht, dass man das ganze Vorhaben sofort
verwerfen möchte. Aber schon ein zweiter Blick zeigt, dass sich ganz so
dramatisch der Unterschied nicht darstellt, verlieren die mit Startkapital doch
zugleich das Anrecht auf ein kostenloses Studium, auf Bafög-Leistungen und eine
Reihe weiterer jetzt gegebener staatlicher Transfers.
Das wichtigste
Argument ist aber, dass von den Empfängern verlangt wird, dass sie ihren Anteil
an die Gesellschaft wieder zurückzahlen, wenn sie selbst einmal etwas zu
vererben haben. Dann wird von ihnen die (durch Zinsen bzw. Produktivitätsgewinne
im Umfang angewachsene) Sozialerbschaft zurückgefordert, bevor sie anderen etwas
vererben dürfen. Kumulativ werden so aus den 60 000 Euro über eine statistische
Lebenserwartung von ca. weiteren sechzig Jahren schnell eine höhere
sechsstellige Summe, die z.B. das damit einmal jung erworbene Haus wieder an die
Gesellschaft zurückfallen lässt.
Ein
neuer Generationenvertrag
Nun sind jedoch Rückzahlungsverpflichtungen
beim (durchschnittlich erst im hohen Alter zu erwartenden) Ableben für junge
Menschen etwas wenig Konkretes und dürften das Gefühl der Ungleichbehandlung für
die vor dem Stichtag 18 gewordenen nur wenig mildern. Wir wollen deshalb
alternativ noch eine andere Vorschlagsvariante vorstellen, wie dieser
Ungleichbehandlung Rechnung getragen werden kann, ohne das Hauptziel - ein
ausreichend dimensioniertes Startkapital bereitzustellen - wieder zu zerstören.
Dazu könnte man für die Gruppe mit Startkapital lebenslang etwas höhere
Steuersätze auf das Einkommen vorsehen. Dieser "Nachteil" der ansonsten so
begünstigt Erscheinenden wird für die anderen sofort sichtbar, und der Ertrag
daraus trägt auch rascher zur Refinanzierung bei. Nimmt man etwa an, dass auf
die üblichen Einkommensteuersätze immer noch ein Aufschlag von z. B. zwei
Prozent für die "Stakeholder" kommt, sehen alle, dass dadurch schon heute der
Besserstellung beim Vermögen einer Schlechterstellung beim Nettoeinkommen
entspricht. (...)
Eine Sozialerbschaft, die den Namen verdient, ist nicht
billig zu haben. Wir haben einen Bedarf von 60 000 Euro berechnet, der somit in
etwa auch den langfristigen Wechselkursdifferenzen entspricht.
Der Idee
nach ist die Teilhabegesellschaft umlagefinanziert. Die neu auszuzahlenden
Anteile werden durch die Rückzahlung der verzinsten Anteile nach dem Ableben
früherer Teilhaber refinanziert. Diese Rückzahlung der Anteile an den Fonds hat
Vorrang vor Erbschaften an Familienmitglieder. So wird ein Teil des
volkswirtschaftlichen Vermögens zwischen den Generationen kollektiv und
kohortenbezogen weitergegeben, statt bisher ausschließlich individuell und
familienbezogen.
Leider hat diese langfristige Refinanzierung der
Teilhabegesellschaft durch die Rückzahlung der früheren Teilhaber an ihrem
Lebensende die Schwierigkeit, dass zwischen den ersten Auszahlungen und den
ersten Rückzahlungen eine zeitliche Lücke von rund 50 Jahren liegt. Auf Grund
dieser zeitlichen Verzögerung werden allerdings in den ersten Jahrzehnten andere
Finanzierungsquellen notwendig sein, die nahezu das gesamte Finanzierungsvolumen
der Teilhabegesellschaft abdecken müssen. Aber schon nach wenigen Jahren wird
auf Grund der Einsparungen bei anderen sozialen Maßnahmen und durch die
demografische Entwicklung die Finanzierung einfacher werden. Allein letztere
wird den Finanzierungsbedarf im Laufe der nächsten 15 Jahre um ein Viertel
senken. Die schwierigste Finanzierungssituation wird daher am Anfang des
Projektes stehen. Die beiden zu klärenden Fragen lauten folglich, wie hoch wird
der finanzielle Bedarf der Teilhabegesellschaft bei ihrer Einführung sein und
wie lässt sich der schwierige Start finanzieren? (. . .)