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Artikel aus Frankfurter Rundschau vom 12.12.2005

KOMMENTAR: WIRTSCHAFTSGESELLSCHAFT DER ZUKUNFT
Abschied der Eliten
VON WOLFGANG STORZ

Eine Mehrheit der deutschen Eliten liebäugelt damit, sich mental von Deutschland zu verabschieden, weil das Wahlvolk in seiner mehrheitlichen Masse an dem deutschen Modell festhalten will. Parteiführer, Unternehmer, Wissenschaftler, Publizisten bedauern das September-Wahlergebnis, weil sie nun nicht das wenden können, was sie seit Jahren beklagen: Bürokratie und Sozialstaat behindern Wissenschaft und Wirtschaft, der Markt ist letztlich nicht frei, sondern gefesselt. Staat und Gesellschaft verändern sich bestenfalls im Schneckentempo. Die Politik ist zu langsam.

Der Parteienforscher Franz Walter beobachtet, die Eliten seien wieder elitär und haben "nicht mehr viel Sinn für volksparteiliche Integration, für die Mühen der Kompromissbildung, für das soziale Bündnis auch nach unten." So macht es auch nur wenigen etwas aus, dass ihr Reichtum steigt, während in derselben Gesellschaft Unsicherheit und materielle Nöte wachsen. Vielmehr kritisieren sie, der Sozialstaat nehme den Wirtschaftsstarken Mittel und Möglichkeiten, so dass diese weniger als sie wollten Bedürftigen helfen können. Soziale Hilfe hat in diesem Denken zwar Platz, aber nicht als ein Recht. Sie erwecken den Eindruck, als hätten sie sich aus dem politisch-kulturellen Konsens der sozialen Marktwirtschaft verabschiedet, weil er ihnen als überlebt gilt, und als betrieben sie reinen Marktkapitalismus angelsächsischen Typs. Der konservative Publizist Alexander Gauland bilanziert: "Die Eliten beginnen innerlich das Land zu verlassen."

Die Bilanz von Gauland stimmt nicht ganz. Es sind nicht die Eliten, es ist ein Teil davon, zugegeben: der weitaus größere. Auch in den Eliten wird die Kluft tiefer. Zwischen denen, die Abschied nehmen wollen von den Errungenschaften einer sozialen Marktwirtschaft und denjenigen, die diese Errungenschaften und Werte erhalten und eben deshalb vieles ändern wollen.

Es gibt Unternehmer, die machen sich Gedanken über neue soziale Sicherungssysteme wie das Grundeinkommen, weil sie wissen: Bei aller Flexibilität, die gefordert wird, muss eine Gesellschaft den Menschen ausreichend Verlässlichkeit bieten, sonst gehen auf Dauer kulturelle und demokratische Errungenschaften vor die Hunde; so beschreibt der US-Soziologe Richard Sennett die Kulturfeindlichkeit des neuen Kapitalismus. Und es gibt zunehmend mehr Unternehmer und Unternehmen, die sich nicht nur ihre Kosten und ihre Einnahmen ansehen, sondern auch die Folge-Kosten, die sie mit ihrem Tun der Gesellschaft verursachen, wenn sie entlassen oder sich am ökologischen Raubbau beteiligen.

Die Frankfurter Rundschauhat sich in diesem Jahr besonders intensiv mit dem Thema beschäftigt, wie Unternehmen mit Gewinn für sich und für die Gesellschaft wirtschaften können. Wir bleiben an diesem Thema dran, so wie mit der heutigen Ausgabe, der ein Magazin beiliegt, in dem wir Ihnen Analysen, Informationen, Rat und Porträts rund um dieses Thema bieten. Bei diesem Thema geht es vordergründig um viele Beispiele des anderen konkreten täglichen Handelns. Dahinter steht jedoch die Auseinandersetzung, um das künftige Modell einer modernen, demokratischen, wirtschaftlich erfolgreichen und menschengerechten Gesellschaft in Zeiten der Globalisierung.

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Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 11.12.2005 um 17:28:14 Uhr
Erscheinungsdatum 12.12.2005