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Inhaltsverzeichnis
von „Das garantierte Grundeinkommen“,
1986
Peter Glotz:
Freiwillige
Arbeitslosigkeit?
Zur neueren
Diskussion um das "garantierte Grundeinkommen" (*)
(*)
Erweiterte und veränderte Fassung einer gleichnamigen Rezension in
"Pflasterstrand" 197, November 1984
Ein Gespenst
geht um in Europa: die "systemsprengende" Idee eines garantierten
Grundeinkommens. Geistiger Vater dieses Gespenstes ist Milton Friedman, der
Papst des Monetarismus. Seine wesentlichen Verfechter in Deutschland waren
bisher Wolfram Engels (CDU, Mitglied des neoliberalen "Kronberger
Kreises", Herausgeber der "Wirtschaftswoche") und Ralf
Dahrendorf (Begründer des transzendentalen Liberalismus). Neuerdings hat die
Idee ganz andere, möglicherweise aber auch jenen nicht ganz wesensfremde
Befürworter: alternativ orientierte Sozialwissenschaftler wie Claus Offe oder
Georg Vobruba, grüne Sozialpolitiker wie Michael Opielka und speziell die
"ökolibertäre" Denkrichtung dieser Partei (Thomas Schmid u. a.) (1).
In der grünen Partei hat die Forderung nach einem garantierten Grundeinkommen
weitgehend den Stellenwert einer sozialpolitischen Kernforderung; mit knapper
Not und viel zu spät kam es 1984 überhaupt zu einer klaren Positionsnahme der
Grünen im Konflikt um die 35-Stunden-Woche: unter anderem weil nämlich
Arbeitszeitverkürzung und Grundeinkommen alternativ (!) diskutiert wurden.
Ich greife
als erstes den Diskussionsband von Thomas Schmid (1984) und seinem Autorenkreis
auf, weil er am meisten zugespitzt den angeblichen systemsprengenden Charakter
jener Forderung formuliert und so am deutlichsten erkennen läßt, worum es
eigentlich geht (Seitenzahlen im Text beziehen sich auf Beiträge in jenem
Band). Der Band enthält sieben Aufsätze, von denen zwei (Gerhardt/Weber und
Opielka) halbwegs konkrete Angaben über ein Mindesteinkommen enthalten - leider
verbleiben beide im rein sozialpolitischen Bereich und blenden die
ökonomischen, beschäftigungspolitischen Dimensionen fast gänzlich aus. Ein Beitrag
(Hanesch) plädiert umständlich, aber triftig gegen die Idee. Der Hauptakzent
der Beiträge aber liegt auf politisch-ideologischem Feld; und da wird mit solch
rhetorischem Aufwand zum letzten Gefecht geblasen, daß dem erschütterten Leser
wahrhaft die Zeitenwende vor Augen steht. Nicht nur, daß angesichts des
Instruments Mindesteinkommen Rettung oder Abschaffung des Sozialstaats locker
als Optionen diskutiert werden (Opielka), nicht nur, daß die Lohnarbeit
abgeschafft und die Vergesellschaftung an die Leute zurückgegeben wird (12):
Der Herausgeber Thomas Schmid fordert in einem funkelnden Einleitungsessay
gleich den doppelten Goliath der "Großorganisationen" Kapital und big
labour in die Schranken.
Und schon
sinken sie beide hin: Die "Machthaber" würden, sagt er, unter Druck
die Unterschrift unter das Mindesteinkommen nicht verweigern können und
"sogar wissen, daß sie damit ihre eigene Abdankung (als work in progress)
gegengezeichnet haben". Wie erringt man nur so gewaltige Siege? "Die
linke Kritik am garantierten Mindesteinkommen", die auch ich vorgebracht
hatte: Es sei nur die pompöse Umbenennung einer schon bestehenden Maßnahme, der
Sozialhilfe, sei "zutreffend". Aber: "Das Mindesteinkommen will
ganz wenig und doch ungeheuer viel. Wenig: Es will die technologisch
produzierte Arbeitslosigkeit etwas besser bezahlt sehen als bisher. Ungeheuer
viel: Es will das politische Eingeständnis der großen gesellschaftlichen
Organisationen, daß sie mit ihrem Vollbeschäftigungs- und Sinngebungslatein am
Ende sind" (11 bis 13). Das, Freunde, nenne ich die Ebene der
psycho-intellektuellen Scheinsiege.
Man hat mir
einige Male vorgehalten, ich machte es mir mit meiner Kritik an der Grundidee
auf diese Weise zu einfach, denn die Autoren dieses Bändchens gäben, anders als
die fundierterer Beiträge, allzu offene Flanken für Kritik. Indessen, auch
scheinbar zurückhaltendere Autoren machen das, was man in Amerika "big
claims" nennt und bleiben beneidenswert harthörig gegenüber Einwänden (2)
in der aktuellen Diskussion. Auch Vobruba behauptet allen Ernstes, es gehe um
die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen, ja sogar von Arbeiten und Essen, um
die "existentielle Abhängigkeit der Lohnabhängigen" zu überwinden
(1984b, 80). Auch Opielka will für das Grundeinkommen "kämpfen"
lassen, "damit in die Phase des Kommunismus eingestiegen wird"
(1985a, 9). Ein anderer Autor befindet sogleich: "Im individuellen
Einkommen wird der gesellschaftliche Reichtum ungleich und auch ungerecht
angeeignet und erscheint als individuelles Verdienst"; dieses Verhältnis
werde jedoch durch das Grundeinkommen aufgebrochen (Michael Th. Greven in
diesem Band). Man weiß gar nicht, warum dieser Autor zugleich den Grünen
Naivität und mangelnde revolutionäre Stellung vorwirft. Denn auch bei Michaele
Schreyer von den Bundestags-Grünen heißt es bündig, das "revolutionäre
Moment" und die Attraktivität des Themas Mindesteinkommen für grüne
Politik liege darin, daß die Abkopplung des Einkommens von Arbeit für alle
gelten solle (in diesem Band).
Mit einem
Wort: Nahezu alle Befürworter des Grundeinkommens freuen sich etwas zu sehr
daran, traditionelle Denkfiguren und Tabus zu schleifen und welthistorische
Veränderungen anzukündigen; und fragen sich etwas zu selten, was sie warum und
in wessen Interesse verändern können und wollen. Sie genießen etwas zu sehr die
antizipierte Reaktion derer, die sie mit ihren Thesen richtig ärgern wollen.
Die Konservativen nämlich (nicht eigentlich das Kapital) mit der Forderung nach
besserer und staatlich garantierter Bezahlung von Nichtarbeit, also von
>Faulheit<. Und die Gewerkschaften mit ihrer Polemik gegen die
"Ideologie der Vollbeschäftigung" und ihrer Mitteilung, daß "der
Ruf nach Arbeit für alle schlicht unsinnig ist" (8-9).
Nun gibt es
gewiß genug Leute, auch in der SPD, die bei diesen Thesen rot anlaufen (wenn
sie sie lesen), und so wird Thomas Schmid nicht enttäuscht sein, wenn ich's
nicht tue. Ich vermute, daß eine Gesellschaft der Zukunft in der Tat zum Teil
vom Erwerbs- zum Transfereinkommen übergegangen sein wird; und ich habe vor allem
den Eindruck, daß wir schon in naher Zukunft aus bestimmten Gründen Transfers
zum Teil quasi legalisieren müssen - und können. Aber eben deswegen reicht es
nicht, so einfach mal mit Hilfe eines Wagenbach- oder Fischer-Büchleins Kapital
und Arbeit auf den Misthaufen der Geschichte zu schicken und die Befreiung der
Menschheit auszurufen. Im Verhältnis von Kapital und Arbeit stehen wir offenbar
an der Schwelle großer Veränderungen; insofern ist Schmids Neigung zu großen
Perspektiven berechtigt. Aber wir müssen genauer hinschauen. Da kann nämlich
auch einiges sehr schieflaufen.
1.
Das
garantierte Mindesteinkommen (auch unter den Titeln
"Staatsbürgergehalt", "Teilhabersteuer",
"Sozialdividende" im Gespräch) beruht auf folgender Grundidee:
Jedermann soll, einfach aufgrund seiner Staatsbürgerschaft, gesetzlich
garantierten Anspruch auf eine Basis-Einkommenszahlung von seiten des Staates
haben. Dabei gibt es zwei Grundvarianten: Bei dem Modell "Kopfgeld"
wird dieser Anspruch grundsätzlich für alle realisiert (und bildet bei
Erwerbseinkommensbeziehern also eine Art erwerbsunabhängigen Sockelbetrag));
beim Modell "negative Einkommensteuer", das Milton Friedman
entwickelt hat, wird der Anspruch ins Steuersystem integriert (mit der Folge,
daß Erwerbslose ihn voll realisieren, Bezieher geringer Erwerbseinkommen
teilweise und Bezieher besserer Einkommen ab einer bestimmten Grenze gar nicht:
diese haben statt dessen "positive" Einkommensteuer zu zahlen). Man
sieht leicht, daß die zweite Variante sozial gerechter und leichter
finanzierbar ist (weil sie denjenigen, die ein Mindesteinkommen nicht nötig
haben, nur den Anspruch gewährt).
Das ist nun
ein Modell zur Vereinheitlichung des Sozialstaats - nicht etwa seine Erfindung,
und auch nicht - oder höchstens metaphorisch - seine "Abschaffung"
(Opielka): all die verschiedenen Leistungen des Sozialstaats an und zugunsten
Nicht-Erwerbstätiger werden in einen Grundanspruch zusammengeschmolzen. Es ist
keine Rede davon, erst mit diesem Modell werde das Prinzip "Wer nicht
arbeitet, soll auch nicht essen" überwunden (und wenn Thomas Schmid diesen
Spruch der Arbeiterbewegung als Beleg für ihre Antipathie gegen freiwillig oder
unfreiwillig Arbeitslose in die Schuhe schiebt, dann zeugt das, höflich gesagt,
von geringer historischer Kenntnis: Im Mund der frühen Arbeiterbewegung war
dieser Spruch ein Argument gegen die Ausbeuter - gegen Couponschneider und
Landrentiers -; in anderem Sinn haben ihn nur Reaktionäre und Faschisten
benützt). Nein, die Entdeckung des Sozialstaats ist älter. - In den USA wurde
der Vorschlag eines Garantieeinkommens bisher am breitesten diskutiert,
freilich, überspitzt gesagt, zu dem Zeitpunkt, als Amerika daranging, überhaupt
erst den Sozialstaat einzuführen. Es blieb bei Vorarbeiten und einigen
Modellversuchen; die USA gingen schließlich den "europäischen Weg"
(wenn auch erheblich weniger weit).
Das Konzept
Mindesteinkommen könnte - für sich genommen - zu einer qualitativen
Verbesserung des Sozialstaats beitragen (Vereinheitlichung der Rentenansprüche;
Grundeinkommen auch für nicht-erwerbstätige Frauen - dieser Aspekt ist
allerdings in der Frauenbewegung umstritten, weil er den Effekt haben könnte,
Frauen von der Erwerbstätigkeit fernzuhalten). Ob der Weg gangbar und sinnvoll
ist, hängt schlicht und einfach von der Höhe (und Finanzierbarkeit) des
Garantieeinkommens ab. Sinnvoll ist die Diskussion darüber sicher; schon weil
sie zur Politisierung der Armutsgrenze und der neuen Armut in unserem Lande
beiträgt: Der Sozialhilfesatz ist erschütternd gering (wahrscheinlich
mindestens 30 Prozent unter den realen Minimalbedürfnissen); die neue Regierung
hat sich nun auch prinzipiell vom Bedürfnisprinzip bei seiner Festlegung
abgewendet.
Weiterhin
halte ich die drei Vorschläge, die Georg Vobruba in unserem Zusammenhang für die
strukturelle Aufwertung von Transfereinkommen gemacht hat, für grundsätzlich
sinnvoll (Vobruba 1984b, 86ff.). Die Forderung nach Übergang vom subsidiären
Notfallprinzip zum Recht auf Einkommenstransfer für Dauerarbeitslose, also nach
der Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld, ist sicher sinnvoll; wir
brauchen für die mittlerweile entstandene Gruppe der Dauerarbeitslosen, denen
wir nichts anbieten können, eine sozial und auch materiell neu definierte
Existenzform. Ebenso erwägenswert ist Vobrubas Forderung nach einem Übergang
vom Kausalitäts- zum Finalitätsprinzip in der Altersversorgung: In einem
bestimmten Rahmen sollte die Rente in der Tat bedarfsbezogen gezahlt und somit
von der "Leistung" einer durchgehenden Lohnarbeitsbiographie
unabhängig gemacht werden. Das Thema Grundrente ist in der Tat weniger töricht
als die Art und Weise, in der Bundeswirtschaftsminister Bangemann es vor kurzem
ins Gerede brachte; und auch weniger töricht, als die einhellige und gemeinsame
Ablehnung von SPD und CDU/CSU vermuten lassen konnten. Dies vor allem im Blick
auf Vobrubas dritten Hinweis: Der Abbau des Kausalitätsprinzips in der
Rentenversicherung ist gerade arbeitszeit- und arbeitsmarktpolitisch dringend
wünschenswert. Denn im Blick auf die gegenwärtige Rentenstruktur ist es
individuell rational, wenn Ganztagsbeschäftigte ihre Teilzeit-Arbeitswünsche
nicht realisieren, um sozialpolitisch keinen Schaden für sich zu riskieren.
Gesamtwirtschaftlich ist diese Unterdrückung von
Arbeitszeitumverteilungspotentialen hingegen irrational. - Man mag in diesen
Vorschlägen mit Vobruba selbst "Einstiege in ein allgemeines
arbeitsunabhängiges Einkommen" sehen oder nicht; sie sind
diskutierenswert, solange die Finanzierung und die arbeits- und
sozialpolitische Justierung, auf die ich unten noch eingehen werde, stimmen.
Zunächst
geht es jedoch um den grundsätzlichen Zweck einer Orientierung auf ein
Grundeinkommen. Ich mache darauf aufmerksam, daß in Europa mit seinen
ausgebauten Sozialsystemen die Idee einer Reform des Sozialstaats durch ein
Mindesteinkommen bisher stets von denen vorgebracht worden ist, die unter
Vereinheitlichung primär eine "Verschlankung" meinen. Gerade das
Beispiel Grundrente hat dies doch soeben einmal mehr gezeigt - oder meint man,
daß Bangemann die gleichen Absichten im Hinterkopf hat wie Vobruba oder die
grüne Bundestagsfraktion? Unsere Autoren sind gegenüber der doch seit
Jahrzehnten bestehenden "Anti-Sozialstaats-Diskussion" der
Konservativen von verblüffender Naivität. Es ist einigermaßen bezeichnend, daß
die Autoren zwar zu berichten wissen, eine gewisse britische "Ecology
Party" habe auch ein Mindesteinkommen verlangt, aber offenbar gar nicht
wissen, daß dieses in England vor allem eine Forderung aus den Reihen der
Tories ist, Regierungsmitglieder eingeschlossen, um dem angeblich wuchernden
Sozialstaat Grenzen zu setzen (3). In Deutschland hat sich in dieser Richtung
vornehmlich der "Kronberger Kreis" hervorgetan. Die Losung lautet:
Mehr Mut zum Markt; und der Grundgedanke ist, daß über einen Minimalbetrag
hinaus alle staatlichen Sozialleistungen gestrichen werden sollen. Die Leute
sollen ihre eigene private Existenzvorsorge treffen - am besten durch
Vermögensbildung; und wer dazu unglücklicherweise nicht in der Lage sein
sollte, mag sich an Versicherungen wenden. Ich gebe Walter Hanesch recht:
"Eine Totalumstellung des Sozialleistungssystems in der Krise birgt die
Gefahr, daß die >Reform< dazu genutzt wird, die soziale Sicherung bis auf
die Knochen abzunagen." (139)
Aber gut,
unterstellen wir den Autoren, daß sie derlei nicht im Sinn haben, sondern das,
was bei manchen Arbeitsloseninitiativen unter dem Stichwort
"Existenzgeld" diskutiert wird, also eine materielle Verbesserung für
die Dauerarbeitslosen. Das mag nun diejenigen provozieren, die Sozialeinkommen
nach wie vor als (im Grunde unverdiente) Gnade ansehen und diejenigen, die -
jetzt an der Macht in Bonn - den Sozialstaat beschneiden wollen. Was aber soll
an dieser Idee denn nun systemsprengend sein?
Hier macht
man nun eine merkwürdige Entdeckung. Die Autoren legen es, das wird eher
beiläufig klar, mit der Idee eines existenzsichernden Minimaleinkommens darauf
an, daß auf dieser Basis immer mehr Leute aus dem Erwerbssystem ausscheiden.
Thomas
Schmid sagt zwar, er wolle nur die Arbeitslosigkeit etwas besser bezahlt sehen,
meint aber ein sich vergrößerndes >Gegenerwerbssystem< auf der Basis von
Transfereinkommen, in das immer mehr Leute aus dem traditionellen Erwerbssystem
herüberkommen, um sich von der Lohnarbeit und >falscher Arbeit< zu
befreien. (Und, wie gesagt, Schreyer will die Kopplung zwischen Arbeit und
Einkommen "für alle" aufheben usw.) Jetzt versteht man auch die große
historische Geste besser. Schmid will die objektive Entwicklung, die zunehmende
Arbeitslosigkeit, auf seine Mühle lenken und in einer Umwertung der Werte mit
Hilfe des Mindesteinkommens freiwillige Arbeitslosigkeit attraktiv machen und
fördern. Dieser Prozeß soll dann das ganze "System" allmählich
knacken.
2.
Bevor ich
frage, ob das wünschenswert ist, frage ich, ob es machbar ist; ich habe mir
antrainiert, bei sozialen Großtaten stets zuerst zu fragen: Wer zahlt?
Grundmechanismus ist, daß für zunehmend mehr Menschen anstelle des
Erwerbseinkommens das Transfereinkommen tritt. (Transfereinkommen sind
geldliche Leistungen, die im Erwerbssystem durch Steuern oder Beiträge
abgeschöpft und an Personen, die am Erwerbsystem nicht teilhaben können, zur
Existenzsicherung überwiesen werden.) Faßt man aber das Mindesteinkommen mit
diesem Anspruch auf, dann hagelt es Widersprüche. Da wird der Staat zum
General-Alimentator; gleichzeitig ist von Zurückdrängung des Staates zugunsten
freier Subjekte, vom Sinken des (Sozial-)Staatsbedarfs die Rede (56). Womit
aber wird diese tendenzielle Überführung der Gesamtbevölkerung in den
öffentlichen Dienst finanziert? Dem Vorschlag der Autoren zufolge aus dem
Staatssäckel und aus der Einkommensteuer! "Anderweitige Einkommen müßten
beim garantierten Bürgergehalt bereits bei geringen Beträgen ziemlich hoch
besteuert werden, um das ganze System, das ja recht gewaltige Kosten im
Staatshaushalt ausmacht, überhaupt finanzierbar zu gestalten
(Anfangsbesteuerung ca. 50 Prozent...)". Dieser Vorschlag, der alle
Einkommen unterhalb der jetzigen Steuerquote von 50 Prozent - also alle mit
Ausnahme der Spitzenverdiener - mit einer Steuererhöhung um das Doppelte und
mehr belasten würde, ist zweifellos außerordentlich sozial gerecht und hoher
Mehrheiten bei der arbeitenden Bevölkerung verdächtig.
Darüber
hinaus ist dieser Vorschlag aber auch für einen Linken unverzeihlich: Warum
denn Umverteilung aus den Arbeitseinkommen? Warum denn nicht Umverteilung aus
den Produktivgewinnen?! Der Vorschlag blockiert sich aber, drittens, auch noch
logisch selbst: Denn bei einem sich erweiternden Anteil der Nichtarbeiter würde
ja eine immer kleinere Zahl von Arbeitenden eine immer größere Zahl von
Nichtarbeitenden alimentieren müssen - wodurch das Garantieeinkommen
seinerseits immer weiter sinken müßte ... Ein Konzept progressiver Verarmung.
Nein, diese
Vorschläge enthalten keine positive Utopie. Sie enthielten sie nicht einmal,
wenn sie sich nicht selbst ad absurdum führen würden. Denn hier werden Ursache
und Wirkung verwechselt: Positive Utopien sind etwas anderes als fromme
Wünsche, sie sind objektive Entwicklungen, die vielleicht einmal Wünsche
realisierbar machen.
3.
Gibt es
" solche objektiven Entwicklungen? Es gibt tatsächlich eine einschlägige
im ökonomischen Bereich, in der Logik von Arbeit und Kapital; und es ist mir
unerfindlich, warum den Autoren verborgen bleibt, was ihr stärkstes Argument
sein müßte. Wir stehen vor einer neuen massiven Verschiebung der Gewichte in
der Produktionsfunktion: der Faktor menschliche Arbeit tritt mehr und mehr in
den Hintergrund und das Produktionsergebnis verdankt sich in den
hochproduktiven Bereichen fast ausschließlich dem Faktor Kapital, das in der
Maschinerie verkörpert ist. Der technologische Prozeß, der in gewaltigen
Produktivitäts- und Rationalisierungsschüben menschliche Arbeit überflüssig
macht, verlagert immer mehr Arbeitsfunktionen vom Menschen auf die Maschine.
Das nun in der Tat ist zwar kein jäher, aber ein epochaler Wandel: Nicht länger
ist die Arbeit die Hauptquelle gesellschaftlichen Reichtums, sondern die
Technik.
Wer diesen
Satz aber ernst nimmt, der weiß: Wir müssen neue Schlüssel zur Verteilung des
produzierten Reichtums finden. Ernst Albrecht hat (in seinen bekannten Thesen)
ausnahmsweise recht:
"Die
gewaltige Wertschöpfung in den Fabriken muß gerecht auf die Menschen verteilt
werden. Es ist fraglich, ob der Maßstab des betrieblichen Arbeitslohnes hierfür
noch zureichend ist. Auf jeden Fall wird die Beteiligung zunächst der
Arbeitnehmerschaft, dann aber des ganzen Volkes am Produktivvermögen zu einer
vorrangigen gesellschaftspolitischen Aufgabe."
Und wie der
Transer dieser gewaltigen Wertschöpfung auszugestalten ist, das wird eine der
ganz wichtigen Fragen in naher Zukunft sein. Warum ihn nicht für ein
Mindesteinkommen einsetzen?
4.
Man muß
zugeben, daß es für diesen Vorschlag eine einleuchtende logische Ableitung
gäbe. Wenn die Verteilungsfunktion von Arbeit und Arbeitseinkommen nicht mehr
funktioniert, wenn wir ohnehin Transfers vorsehen müssen - warum dann nicht
gleich zum Transfereinkommen übergehen? Idealerweise soll doch das Einkommen,
das der einzelne aus seiner Arbeit bezieht, seinen arbeitsteiligen Beitrag zur
Produktion entgelten. Wenn er allerdings mit seiner Arbeit kaum noch einen
Beitrag zur Produktion leistet, so könnten wir uns fragen, ob die menschliche
Arbeit überhaupt in Zukunft noch eine vernünftige Bemessungsgrundlage für das
Einkommen darstellen kann. In der Tat hat ja die relative Verlagerung der
Wertschöpfung zum Faktor Kapital auch eine logische Entkopplung der Arbeit vom
Einkommen zur Folge. Freilich ebenfalls nur eine relative, da stets Arbeit im nichtkapitalintensiven
Bereich und in den Dienstleistungen übrigbleiben wird, die ebenfalls zum
Sozialprodukt gehört, und die ja nun auch getan werden muß.
Man könnte
sich nun durchaus vorstellen, daß eine zukünftige Gesellschaft wesentlich durch
Transfereinkommen neuen Typs aus dem gesellschaftlichen Produktivvermögen
gekennzeichnet ist. Also gerade nicht aus dem Arbeitsvermögen, sondern aus den
Gewinnen.
Vielleicht
auch wird der arbeitende Mensch der Zukunft zwei oder drei Berufe oder
Arbeitsschwerpunkte haben, von denen nur noch einer dem Typ klassischer
Erwerbsarbeit entspricht und mit einem Erwerbsarbeitseinkommen entlohnt wird;
ein sozialer und ein kultureller Arbeitsschwerpunkt könnten mit
Transfereinkommen abgegolten werden. Aber: Dies sind hochspekulative
Zukunftsvorstellungen, die auf einer erreichten gleichmäßigen Reduktion des
Anteils aller am gesellschaftlichen Arbeitsaufkommen, die zu mehr Zeit für neue
Tätigkeitsformen führt, beruhen.
Und nun
kommen die schweren Bedenken: Genau diese Entwicklung gleichmäßiger Reduktion
der Arbeit haben wir ja im Augenblick nicht; wir müssen sie erst organisieren.
Im Augenblick verschärfen sich die Ungleichheiten: zwischen 90 Prozent
Vollerwerbstätigen und 10 Prozent Arbeitslosen - eine Ungleichheit, die nur
durch Umverteilung der Arbeit, also durch Arbeitszeitverkürzung, ausgeglichen
werden kann. Zwischen dem Sektor hoher Produktivität (in dem
Arbeitszeitverkürzung mühelos möglich ist) und dem nicht-hochproduktiven Sektor
(in dem Arbeitszeitverkürzung nur schwer zu erreichen ist, da die zu ihrer
Finanzierung erforderlichen Produktivitätsgewinne fehlen). Das Mindesteinkommen
nun - in der vorgeschlagenen Form, als Verdrängung aus dem Arbeitsmarkt - würde
die Ungleichheit verschärfen, ja geradezu verabsolutieren. Es ist ein Vorschlag
genau in die falsche Richtung.
Erstens: Der
Vorschlag läuft auf eine Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen hinaus. Wer
der einen angehört, hat das Privileg eines einigermaßen angemessenen Einkommens
für sich und seine Familie und daher (begrenzte) Teilnahme am
gesellschaftlichen Reichtum. In der anderen Klasse hat man ein Minimaleinkommen
- natürlich würde dieses Minimaleinkommen auf absehbare Zeit nicht oder kaum
über dem Sozialhilfesatz liegen, auch bei Einsetzung der oben genannten Ressourcen
-, und eine völlig ungenügende soziale Absicherung gegen Risiken.
Sicher weiß
ich, daß sich diese Spaltung auch ganz anders darstellen und bewerten läßt. Da
sind dann die aus dem Erwerbssystem Ausgeschiedenen dem "Joch der
Lohnarbeit" entronnen, sie haben die "Befreiung von falscher
Arbeit" (so der Obertitel des Büchleins) geschafft; sie können ihre
"Bedürfnislogik" gegen die "Produktionslogik" (13) zur
Geltung bringen, haben viel Zeit, können sich selbst verwirklichen usf. Und ich
weiß auch, daß 100.000 Menschen oder mehr so leben und die Dinge auch so
bewerten - die alternative Szene eben, deren Angehörige als winzige
Selbständige oder auf der Basis in der Tat zu geringer Transfereinkommen
(Sozialhilfe, Arbeitslosenunterstützung, BAFöG usw.) in Alternativbetrieben
arbeiten oder eine Intellektuellen- und Künstlerexistenz führen. "Bei
unserem Reformvorschlag, der auf die Einführung eines garantierten
Mindesteinkommens zielt", heißt es bei einem Autorenpaar, "geht es
darum, Wege auf der Suche nach Sinn ökonomisch abzusichern." (56) Aus
dieser Sicht hat der Vorschlag eines Mindesteinkommens natürlich Plausibilität.
Im Grunde sagt uns die Szene mit ihm: 390 Mark sind uns zu wenig; aber für 800
sind wir bereit, euch und eurem ganzen gräßlichen Arbeits- und
Wirtschaftssystem den Rücken zu kehren und euch in Frieden zu lassen. Es geht
um Staatsknete sozusagen, aber diesmal personen- und nicht projektbezogen. Das
hätte man natürlich auch mit weniger theoretischem Aufwand sagen können.
Ich habe
durchaus ein gewisses Verständnis für diesen Wunsch. Aber wenn man daraus eine
gesellschaftspolitische Gesamtstrategie macht, dann muß ich eben daran
erinnern, daß die Menschen, denen die Freiheit von der Lohnarbeit so viel
materiellen Verzicht wert ist, eine verschwindende Minderheit in unserer
Bevölkerung sind. Und das nicht nur, weil uns Arbeitnehmern vielleicht Auto,
Schrankwand und Italienreise über alles geht. Sondern auch weil sie Kinder
haben und haben wollen, weil sie das Krankwerden fürchten, weil sie einmal alt sein
werden, weil die Mutter pflegebedürftig wird, weil die Ausbildung der Kinder
Geld kostet. Michaele Schreyer hat die ökonomische Seite dieses Zusammenhangs
treffend so formuliert: "Das Mindesteinkommen bezweckt eine Abkopplung vom
Arbeitsmarkt, während es die Abhängigkeit vom Gütermarkt beläßt."
(Schreyer 1984)
Das wissen
die Menschen instinktiv, und darum fürchten sie nicht das Erwerbssystem,
sondern sie fürchten, ihren Platz darin zu verlieren. Sie empfinden
Arbeitslosigkeit nicht als "Befreiung". Denn: schlicht arbeitslos
sein - darauf liefe in ihren Augen die Sache hinaus. Simpel gefragt: Woran
liegt es denn, daß die faktisch 3 Millionen Arbeitslosen - die Hälfte von ihnen
bekommt Arbeitslosenunterstützung und somit mehr als ein Mindesteinkommen - darüber
überhaupt nicht glücklich sind? Liegt es nur an ihrem falschen Bewußtsein? Und
wenn ja, haben wir das Recht, ihnen ein richtiges vorzuschreiben?
Zweitens:
die subjektive Seite. Auch Sinnerfüllung bedeutet Tätigkeit außerhalb des
Erwerbssystems nur für eine kleine Minderheit. Am Häuschen kann der Erwerbslose
kaum weiterbauen, weil ihm das Geld für die Materialien fehlt. Claus Offe, der
ja ähnliche Vorschläge gemacht hatte, hat wenigstens diese Seite gesehen:
"Selbst eine materiell erträgliche Form der >Brachlegung< von
Arbeitskraft durch eine generöse Sozialpolitik wäre nicht nur ökonomisch
ineffizient, sondern würde auch menschliche Bedürfnisse nach sinnvoller,
nützlicher und zielgerichteter Tätigkeit elementar verletzen." So ist es.
Und unzählige Studien haben nachgewiesen, daß das psychosoziale Elend der
Arbeitslosen noch größer ist als das materielle. Warum gibt es wohl so viele
Arbeitsloseninitiativen?
Ich habe
mich bei der Lektüre gefragt, womit sich die aus dem Erwerbssystem
Ausgeschiedenen nach der Vorstellung der Autoren wohl beschäftigen. Mir ist die
Antwort nicht klargeworden. Einerseits gibt es bei Thomas Schmid die offenbar
große Gruppe der "Nichtarbeiter", die sogar in einer Gewerkschaft
organisiert sind, die das garantierte Mindesteinkommen aushandelt (ich stelle
mir den Auftakt der Tarifverhandlungen mit dem Bundesinnenminister vor). Wenn
das nun wirklich echte Nichtarbeiter sein sollen, dann verletzt der Vorschlag
wirklich elementare Bedürfnisse und Rechte des Menschen. Ausgenommen für eine
kleine Minderheit von Menschen, ist zielgerichtete und gemeinschaftliche
Tätigkeit - Arbeit eben - nun einmal eine zentrale (nicht die einzige) Form der
Selbstverwirklichung. Wer hier leichthin sagt, es gebe doch genug zu tun, der
muß auch hinzufügen, daß jede Arbeit von einer gewissen Grenze an nicht spontan
und chaotisch erfolgen kann, sondern irgendwie organisiert werden muß. Der
Ausstieg aus der Lohnarbeit und dem Erwerbssystem mag eine alte sozialistische
Forderung sein. Aber Ausstieg aus dem Beschäftigungssystem? Ausstieg aus der
Arbeit?
Andererseits
redet Schmid auch von der "Herausbildung eines neuen, alternativen
Unternehmertums". Einverstanden. Es spricht auch einiges dafür, daß sich
zum Beispiel infolge der neuen Kommunikationstechnologien verstärkt Raum ergibt
für dezentral arbeitende kleine Selbständige als Anbieter oder Zulieferer. Aber
abgesehen davon, daß alternative und zukünftige Zulieferer genauso
fürchterliche Abhängigkeiten und Risiken eingehen müssen wie
"normale" - warum soll ich denn unterstellen, daß in dieser
"neuen" Wirtschaftsstruktur nicht wiederum relativ wenige Unternehmer
und relativ viele Lohnabhängige sind? Das ist, nimmt man den Begriff
Unternehmer ernst, zwangsläufig. Nun aber verschwindet der Unterschied zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht schon durch das Wörtchen
"alternativ"; und erst recht nicht der objektive Gegensatz von Arbeit
und Kapital. Das ist in der Alternativszene übrigens ausreichend bekannt. Wenn
dieses Modell nun gesellschaftlich weiter ausgedehnt werden soll, bekämen wir
einen neuen Typus von Lohnabhängigen parallel zum alten, der sich von diesem
dadurch unterscheidet, daß er keine Interessenvertretung, keine ausreichende
soziale Absicherung und ein minimales Einkommen hat. Ich bitte um Verständnis,
daß ich mich dafür nicht erwärmen kann.
Drittens und
vor allem aber: Man muß nicht nur befürchten, daß die Strategie des
Mindesteinkommens die Misere der Massenarbeitslosigkeit verewigen und
sanktionieren würde, sie wäre auch geradezu die klassische Verdrängungsstrategie.
"Der Übergang von Beschäftigung zu Arbeitslosigkeit", heißt es
entwaffnend naiv in einem der Beiträge, "wird fließender gestaltet"
(37). Worauf die Idee wirklich hinausläuft, kann man deutlicher gerade bei
Ernst Albrecht hören: "Arbeit ist nicht gleichzusetzen mit der Ausfüllung
eines hochbezahlten Arbeitsplatzes... jeder hat ein Recht auf sinnvolle Arbeit.
Nicht jeder kann einen hochbezahlten Arbeitsplatz haben. " (These 9) Das
Recht auf Arbeit wird vom Recht auf einen Arbeitsplatz entkoppelt. Das wäre das
Abmontieren der letzten noch vorhandenen Sicherungen vor Arbeitslosigkeit. Mit
dem Mindesteinkommen werden die Arbeitslosen etwas besser alimentiert, aber
gleichzeitig wird ihre Lage in einen offiziell befriedigenden sozialen Status umgewertet.
Wer arbeitslos wird, der bekommt dann zu hören: Nicht jeder kann einen
hochbezahlten Arbeitsplatz haben! Arbeitslosigkeit ist keine Schande. Sie haben
mit Ihrem Mindesteinkommen genug, um zu leben. Beschäftigen Sie sich bitte mit
sich selbst, verwirklichen Sie sich!
Hier trifft sich die Strategie des
Mindesteinkommens mit sehr handfesten Interessen. Es geht darum, sich den Druck
der Arbeitslosigkeit vom Hals zu schaffen. Vollbeschäftigung wäre als Ziel
offiziell aufgegeben und nicht mehr zu "befürchten". Man muß nur die
Argumentation danebenhalten, die der Wissenschaftliche Beirat des
Bundeswirtschaftsministers im vorigen Jahr aufgeschrieben hat: Er lehnt
jegliche Arbeitszeitverkürzung mit der Begründung ab, durch Neueinstellungen
würden "am Arbeitsmarkt Verknappungstendenzen entstehen", die zu
Lohnsteigerungen führen könnten. Das heißt im Klartext, daß Vollbeschäftigung
nicht mehr gewünscht wird, daß die Arbeitslosigkeit als Dauereinrichtung
empfohlen wird, um Lohnforderungen niedrig zu halten. Wie schön erst, wenn die
"Ideologie der Vollbeschäftigung" (Schmid 1984b, 9) auch offiziell
aufgegeben, wenn der "hegemoniale Gewerkschaftsblock aufgeweicht"
(16) werden könnte. Dann würden die Arbeitnehmer endlich wieder wie im 19. Jahrhundert
um die "hochbezahlten Arbeitsplätze" konkurrieren und sich
wechselseitig mit Lohnforderungen unterbieten.
Mittlerweile
- nach der ersten Veröffentlichung dieses Essays im Pflasterstrand im November
1984 - ist nun auch prompt FDP-Generalsekretär Haussmann mit einem einschlägigen
Vorschlag hervorgetreten: Mit dem Vorschlag, in sogenannten
arbeitsmarktpolitischen Problemregionen und vor allem gegenüber Arbeitslosen
untertarifliche Lohnabschlüsse möglich zu machen. - Ob Thomas Schmid das wohl
gemeint hat, als er so leichthin schrieb, die "Machthaber" würden
ihre Unterschrift unter das Mindesteinkommen nicht lange verweigern?
Unter diesen
Umständen halte ich es für einen unverzeihlichen Denkfehler, wenn Vobruba und
Offe das garantierte Grundeinkommen gar als "Instrument zur Vervollkommnung
des Arbeitsmarktes" auffassen (Vobruba 1985c). Die Überlegung ist die
folgende: Es ergebe sich ein dosierbarer Arbeitsmarkt-Entlastungseffekt.
"Es ist zu erwarten, daß das Angebot an Arbeitskraft mit der Einführung
eines arbeitsunabhängigen Einkommens zurückgeht. Ein solcher Rückgang ist
arbeitsmarktpolitisch erwünscht - und zwar in dem Umfang der Arbeitslosigkeit.
" (Vobruba 1984b) Anders als Thomas Schmid und die eher euphorische
Denkrichtung meinen nämlich Vobruba und Offe, mit der Höhe des Grundeinkommens
ein justierbares Ventil gefunden zu haben, mit dem sich der Ausstieg aus dem
Arbeitsmarkt dosieren und regeln läßt. Nach Offe dient es eher zur Beruhigung
der Konservativen vor der Furcht, allzuviele könnten aus dem Arbeitsmarkt
aussteigen (Offe 1983). Nach Vobruba soll es durch eine neue Verknappung des
Arbeitskräfteangebots für eine Besserstellung der Arbeitnehmer sorgen. Nur ist
es natürlich absolut weltfremd zu meinen, ein Grundeinkommen - das selbst in
den kühnsten (und unfinanzierbarsten) Varianten weit unter dem normalen
Arbeitnehmereinkommen liegen müßte - könnte stark genug sein, eine tatsächliche
Angebotsverknappung auf dem Arbeitsmarkt zu bewirken. Unfreiwillig legt Vobruba
die Paradoxie seines eigenen Gedankens offen: "Strenggenommen läßt sich
erst auf der Basis eines garantierten Grundeinkommens von einem Arbeitsmarkt
sprechen. " Wirklich, Hayek sei's geklagt, ist der Arbeitsmarkt noch immer
nicht ein wirklicher Markt; noch immer greift Frau Noelle-Neumanns
Apfelsinen-Theorem nicht ganz (ihr Kommentar zur Arbeitslosigkeit: Wenn auf
einem Markt zu bestimmten Preisen ein Überangebot an Apfelsinen herrsche, würde
niemand sagen, es gebe zu viele Apfelsinen, sondern: die Apfelsinen seien zu
teuer. So sei auch der Preis der Arbeit zu hoch; bei markträumenden Preisen
würde die Arbeitslosigkeit verschwinden). In der Tat: Sind erst einmal das
Recht auf Arbeit und alle damit verbundenen tariflichen und rechtlichen
Schutzwälle beseitigt - indem tendenziell jedermann auf das Grundeinkommen verwiesen
ist -, dann wäre der Arbeitsmarkt endlich ein richtiger Markt wie derjenige für
Apfelsinen.
Auch unter
der Perspektive eines sich vergrößernden alternativen Wirtschaftssektors, die
Offe vorgeschlagen hat, wird die Sache um kein Haar besser. Denn die
Dualisierung der Wirtschaft bedeutet auch eine Dualisierung des
Beschäftigungssystems. Dazu hat Walter Hanesch das Nötige gesagt: "(Es)
könnte ein Prozeß der Dualisierung des Beschäftigungssystems in Gang gesetzt
bzw. verstärkt werden. Während sich für Normalbetriebe die
Kalkulationsgrundlage durch ein Mindesteinkommen zunächst nicht verändert,
könnten Kollektivbetriebe den individuellen Vorteil ihrer Mitglieder dazu
verwenden, mit geringeren Arbeitskosten zu kalkulieren. Normalbetriebe... wären
nicht mehr konkurrenzfähig; sie liefen Gefahr, aus dem Markt ausscheiden zu
müssen. Die dort Beschäftigten stünden vor der Alternative, entweder massive
Einbußen bei den Erwerbseinkommen hinzunehmen oder den bisherigen Arbeitsplatz
zu verlieren." (Hanesch 1984, 135)
5.
Alle meine
Einwände lassen sich in eine Gegenthese zusammenfassen: Wir dürfen das Recht
auf Arbeit nicht aufgeben. Wir dürfen es uns durch ein Recht auf Grundeinkommen
nicht abkaufen lassen. Ich rede vom Recht, nicht etwa der Pflicht. Und ich weiß
auch, daß wir es nicht länger im Sinne traditioneller Vollbeschäftigungspolitik
interpretieren dürfen, weil sich die Begriffskomponente Arbeit verändert. Aber
auch wenn in Zukunft die Arbeitszeit kürzer, die Arbeit flexibler sein wird,
auch wenn die Erwerbsarbeit einen geringeren Stellenwert haben wird - ein
Arbeitsplatz wird allemal nötig sein. Solange es Erwerbsarbeit gibt, muß jeder
den Anspruch auf den ihm gehörenden Teil haben.
Ich ziehe
folgende Schlußfolgerungen: Die Strategie der Umverteilung der Arbeit, der
Arbeitszeitverkürzung, bleibt richtig. Daraus folgt weiter: Wir müssen auch
neue Arbeitsplätze schaffen; und die erwähnten Transfer-Ressourcen aus dem
Produktivvermögen sollten dafür eingesetzt werden. Sie entstehen ja durch die
gesteigerte Wertschöpfung in den Bereichen hoher Produktivität, und sie werden
durch Arbeitsplatzabbau bezahlt. Wir sollten uns darüber einig sein, daß die
Mittel im Gegenzug dafür eingesetzt werden, anderswo Arbeitsplätze zu schaffen
- nämlich im nicht-hochproduktiven und im Dienstleistungsbereich. Dort gibt es
"genug zu tun". Aber die gegenwärtigen hohen Arbeitskosten behindern
die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Wir in der SPD führen zur Zeit die
Diskussion, wie eine Verlagerung der Steuern- und Abgabenbelastung vom Faktor
Arbeit auf den Faktor Kapital aussehen könnte, um mehr Beschäftigung in den
nicht rationalisierungsfähigen Bereichen möglich zu machen.
Um keinen
Zweifel zu lassen: Mit traditioneller Vollbeschäftigungspolitik werden wir die
Arbeitslosigkeit nicht besiegen. Die Erwerbsarbeit wird in Zukunft Gewicht und
Umfang verlieren. Aber das sollte für jeden und einigermaßen gleichmäßig
geschehen. So könnten sich auch für jeden die Spielräume für "befreite
Arbeit" und Sinnerfüllung erweitern.
Die Rechte,
der veränderten Situation ebenfalls wohl bewußt, steuert heute gezielt eine
Gesellschaft ohne Vollbeschäftigung an - in dem Sinn, daß in ihr nicht mehr
alle beschäftigt sein können, die es wollen und müssen. Die Strategie des
Mindesteinkommens hilft ihnen dabei - gewollt oder ungewollt. Das mündet in die
"Zwei-Drittel-Gesellschaft" - in eine Gesellschaft, in der bis zu
einem Drittel der Beschäftigungssuchenden sehen müssen, wo sie bleiben. Die
Linke muß ihr das Ziel einer Gesellschaft der Vollbeschäftigung entgegensetzen,
in der alle beschäftigt sind, aber vielleicht zunehmend nicht mehr voll.
Anmerkungen
(1) Ich
beziehe mich im folgenden vor allem auf folgende Publikationen: Offe 1983;
Vobruba 1984b, 1985c; Opielka 1984a, 1985a; Schreyer 1984; Schmid 1984. Vgl.
auch Bust-Bartels 1984; Büchele/Wohlgenannt 1985; Jordan 1985; sowie Heft 14
der Zeitschrift "Widersprüche" (1985).
(2) Ich
nenne hierzu insbesondere Hanesch 1984 sowie Welzmüller 1985.
(3) Siehe
hierzu "Wirtschaftswoche" 42, 1984, S. 32ff.