Startseite: www.archiv-grundeinkommen.de

 


 

 

 

Freiheit statt Kapitalismus

 

Widerspruch zu den 9 Thesen der Initiative  “Freiheit statt Vollbeschäftigung”

(Stand: 07.03.06)   ( die 9 Thesen finden sich vollständig unter: http://www.freiheitstattvollbeschaeftigung.de/ )

 

 

Vorweg:    Die VerfechterInnen eines “bedingungslosen Grundeinkommens für alle ohne Arbeitszwang” (im folgenden: bGE, das in anderen Varianten auch unter Etiketten wie “Sozialdividende”, “Bürgergeld”, “Existenzgeld”,  “Negative Einkommenssteuer” firmiert) propagieren  ihr Konzept derzeit massiv auf allen Kanälen. Kaum eine Konferenz oder ein Forum sozialer Bewegungen ohne den Versuch, die Forderung in den gemeinsamen Forderungskatalog zu boxen.

Das politische Spektrum der VerfechterInnen reicht von Alt- und Neo-Liberalen bis hinein in sozialistisch firmierende Organisationen. Allen gemeinsam ist die Ausblendung der Produktionsverhältnisse, dagegen der Versuch, auf der Ebene der Verteilungsverhältnisse (Verteilung der in kapitalistischer Produnktionsweise hergestellten Werte) die immer drastischer hervortretenden Widersprüche und sozialen Übel der real  existierenden kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung immanent abzufedern oder gar zu beseitigen. Die linkeren Varianten fassen das bGE darüber hinaus als grundlegenden Schritt zu einer alternativen Gesellschaft mit einer neuen Qualität individueller Freiheit, sozialer Teilhabe und solidarischen Umgangs miteinander, als konkrete, machbare Reform, die systemsprengend wirkt und die kapitalistische in eine neue solidarische Gesellschaft transformieren hilft.

Die Initiative “Freiheit statt Vollbeschäftigung” kommt aus dem akademischen Spektrum der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und scheint mir derzeit eine gewisse Angelfunktion zwischen den liberalen und linken Flügeln der bGE-Bewegung einzunehmen. Die vorliegende Stellungnahme zu deren 9-Thesen-Plattform ist entstanden angesichts einer Podiumsdiskussion an der Uni Dortmund am 10.02.06, die maßgeblich von dieser Initiative bestritten wurde (die im folgenden kursiv gedruckten Textpassagen bezeichnen Zitate aus deren Plattform. Sie ist vollständig zu finden unter: http://www.freiheitstattvollbeschaeftigung.de/ ).

 

 

Zu These 1 :    

 

Sie behauptet, dass in unserer Gesellschaft ausschließlich Verteilung der Einkommen über Arbeitsleistung... “zur Grundlage der Teilhabe am Wohlstand gemacht werde ...

·         Das ist falsch. Der Verteilung des gesellschaftlichen Produkts über Arbeitsleistung geht die Verteilung über Kapitalbesitz, über das private Eigentum an Produktionsmitteln und Produktionsergebnissen, voraus. Die in gesellschaftlicher Produktion erzeugten Werte werden von den Kapitalbesitzern privat angeeignet. Diejenigen, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft, werden im Durchschnitt lediglich zu ihren Reproduktionskosten entgolten. Der Mehrwert verbleibt den Kapitalbesitzern. Von daher ist der gesellschaftliche Reichtum im nationalen wie internationalen Maßstab höchst ungleich verteilt.
Diese Verteilungsverhältnisse und ihr Ursprung in den Produktionsverhältnissen werden  von “Freiheit statt Vollbeschäftigung” schlicht ignoriert.

 

Sie geht davon aus, dass heute menschliche Arbeitskraft mehr und mehr ... durch ‚Maschinen‘ ... ersetzt werde ....

·         Ja, aber:   Machinerie als solche ist nicht wertschöpferisch, sie ist nichts weiter als Ergebnis vergangener, “toter” Arbeit, die im Produktionsprozess lediglich vernutzt wird, deren Wert dabei nach und nach durch lebendige Arbeit auf neue Produkte übertragen wird. Doch wurde und wird menschliche Arbeitskraft durch den Einsatz von Maschinen (Hardware und Software) enorm produktiver. Bei gleichem Arbeitsquantum können größere Mengen an Gebrauchsgütern hergestellt bzw. größere Mengen an Dienstleistungen bereitgestellt werden. Entsprechend könnte Produktivitätsfortschritt im theoretischen Modell bei gleichem gesellschaftlichen Arbeitsquantum zu einer Vergrößerung der gesellschaftlich verteilbaren Menge an Gebrauchsgütern und Dienstleistungen führen, also zur höheren Vergütung  von Arbeitsleistung aller Lohnabhängigen, oder aber bei reduziertem gesellschaftlichen Arbeitsquantum zu enorm abnehmender individueller Arbeitszeit aller Lohnabhängigen bei gleicher Vergütung.
Dass in unserer Gesellschaft das Gegenteil der Fall ist (Massenarbeitslosigkeit, sinkende Realeinkommen der Lohnabhängigen, Arbeitszeitverlängerung)  ist nicht der “Verteilung der Einkommen über Arbeitsleistung” geschuldet, sondern der Tatsache, dass in einer kapitalistisch organisierten Wirtschaft Ziel, Zweck und Wesen der Produktion der maximale Profit auf das eingesetzte Kapital und dessen Akkumulation auf immer höherer Stufenleiter ist und nicht die Befriedigung konkreter materieller und kultureller Bedürfnisse der Menschen. Von dieser kapitalistischen Produktionsweise jedoch kein Wort bei “Freiheit statt Vollbeschäftigung”. Stattdessen nimmt die Initiative die Verteilungsweise und dort wiederum nur die “Verteilung der Einkommen über Arbeitsleistung” aufs Korn.


Zu Thesen 2 und 3 :

 

... dass der “Wohlstand unseres Landes ... der Wohlstand aller Bürger” sei ...

·         ... sein sollte, wohl wahr... dem steht aber nicht die “Verteilung von Einkommen über Arbeitsleistung” entgegen, sondern die Verteilung über das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital (siehe oben).
Dieses wird aber nicht mal im Ansatz in Frage gestellt.

 

... dass der “Wohlstand unseres Landes ... auf die Leistungen aller Bürger ..., auch auf die Leistungen vorangehender Generationen” zurückgeht und es “deshalb die Gerechtigkeit [gebietet], alle Bürger an diesem Wohlstand zu beteiligen” ....

·         ... ob die BürgerInnen, deren Leistung lediglich im “Coupon-Abschneiden” (Karl Marx) besteht, die also lediglich die Dividenden aus Kapitalbesitz abkassieren, eine Quelle von Wohlstand sind, darf getrost bezweifelt werden. ... Die Leistungen vorangehender Generationen, richtig, aber eben Arbeitsleistungen. Die Ergebnisse vorausgegangener Arbeit sind allerdings sehr schnell hinüber, wenn sie nicht ständig durch lebendige Arbeit genutzt und erneuert werden. Auch Reichtum aus natürlichen Quellen kann ganz überwiegend nur über Arbeit gesellschaftlich nutzbar werden. Im Übrigen beruht der “Wohlstand unseres Landes” auch auf  der Aneignung der Resourcen und des Mehrprodukts der Arbeitskräfte anderer Länder.
“Freiheit statt Vollbeschäftigung”  versucht demgegenüber,  Arbeit als wesentliche Quelle gesellschaftlichen Reichtums durch Taschenspielereien ins Abseits zu stellen. Sie kennt zudem nur den “Wohlstand unseres Landes”, nicht die Armut der  Länder der sog. “Dritten Welt”, geschweige denn deren Ursachen. Das Gebot der “Gerechtigkeit, alle Bürger an diesem Wohlstand zu beteiligen” legt doch vielmehr die Entkopplung der Verteilung des Wohlstands vom Kapitalbesitz nahe (also die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse) als die Entkopplung der Einkommen von der Arbeitsleistung. Dieser sich eigentlich aufdrängende Gedanke wird wiederum völlig ausgeblendet.

 

... dass der “Wohlstand unseres Landes das Ergebnis erfolgreicher Innovationen” sei ...

·         Mal abgesehen von oben Gesagtem stimmt das nur für die stoffliche Seite des Wohlstands (s.o., “bei gleicher Arbeitszeit größere Mengen an Gebrauchsgütern”), und auch für diese nur bedingt. Denn den immens vergrößerten Möglichkeiten der Produktion steht die Tatsache entgegen, dass diese nur dann realisiert werden, wenn sie einen sich konkurrenzvermittelt ständig nach oben verschiebenden Mindestsatz an Profit bringen und auf kaufkräftige Nachfrage auf den Warenmärkten treffen.

·         Es stimmt aber nicht für die geldwerte Seite (und das angestrebte bGE ist ja eine Geldleistung):  Sobald sich die Innovationen weitgehend zu internationalen Standards verallgemeinert haben, müssten sie zu einer Verbilligung der Waren führen, der Gesamtwert der gesellschaftlichen Produktion in Geld wäre also bei gleichem Arbeitsquantum nicht gestiegen. Dass dieser Mechanismus u.U. im Zeichen von Monopolen und multinationalen Konzernen ausgehebelt werden kann, führt lediglich zu Extraprofiten eben dieser Konzerne, nicht aber zum “Wohlstand unseres Landes”.

·         Darüber hinaus fließt diese Quelle von Wohlstand unter kapitalistischen Voraussetzungen nur dann auf Dauer, wenn trotz aller Internationalisierungsprozesse eine nationale Wirtschaft angenommen wird, die im internationalen Konkurrenzkampf die Nase ständig vorn behält (“Ausdruck der Produktivität und des Vermögens unseres Landes”). Dieser Konkurrenzkampf wird aber ebenso über den Druck auf Löhne, Arbeitszeiten und soziale Standards geführt -  mit allen Konsequenzen für die sozialen Verhältnisse, die wir hier und heute an der Agenda 2010 und Hartz IV besichtigen können (die ihren Ursprung in dem im Jahr 2000 initiierten “Lissabonprozess” haben, der die Europäische Union bis zum Jahre 2010 zur stärksten Wirtschaftsmacht der Welt hinaufkonkurrieren soll).

·         Kurzum:  einmal mehr werden die kaptitalistische Produktionsweise und die ihr innewohnenden Gesetzmäßigkeiten völlig ausgeblendet.

 

 

Zu These 4:

 

Verzicht auf Innovationen ist Verzicht auf Wohlstand ...”

·         Ob unter kapitalistischen Voraussetzungen Innovationen realisiert werden, hat immer auch damit zu tun, ob sie angepeilte Profitraten erwarten lassen oder nicht. Von daher ist die kapitalistische Wirtschaft nicht nur Motor für profitorientierte produktivitässteigernde, sondern auch Bremsklotz für ökonomische, soziale, ökologische und politische Innovation. Selbst produktivitätssteigernde Innovation wird verhindert, wenn sie sich betriebswirtschaftlich nicht rechnet. In hohem Maß geht die kapitalistische Wirtschaft auch zur Destruktion von gesellschaftlichen Reichtum über, wenn z.B. produktive Industrieanlagen verschrottet werden nur weil der Einsatz von frischem Kapital in anderen Produktbereichen, in Finanzspekulationen oder anderen Ländern profitabler ist. Oder wenn Produktionskapazitäten deshalb stillliegen, weil es an kaufkräftiger Nachfrage für die Produkte fehlt, für die es aber durchaus gesellschaftlichen Bedarf gäbe. Ganz abgesehen von dem Reichtum, der unproduktiv für Aufrüstung verschleudert und weltweit in Kriegen auf dem Hintergrund kapitalistischer Konkurrenz um Einflusssphären, Rohstoffe und Märkte vernichtet wird.
Unter diesen Voraussetzungen müssen einerseits profitorientierte Innovationen auf ihre sozialen, ökologischen und politischen Auswirkungen hin überprüft werden und sind nicht per se heilig (Beispiel: Atomenergie), andererseits setzen Innovationen vielfach auch die Beseitigung des Profitprinzips voraus, also die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise. Die Aussage der These 4 ist von daher höchst undifferenziert.  Und wieder wird nicht gefragt, wer denn bei uns in den Genuss des  ‚Wohlstands durch Innovation‘ kommt, bzw. wird im Textzusammenhang der Eindruck vermittelt, dass es die Bezieher von Arbeitsentgelten seien, dass dehalb Einkommen von Arbeitsleistung abzukoppeln sei.

 

 

Zu These 5:

 

“Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger zur Arbeit zu zwingen, misstraut ihrer “Gemeinwohlbindung” und schränkt die bürgerlichen Freiheiten ein ...”

·         ... es ist allerdings davon auszugehen, dass die “Gemeinwohlbindung” bei Erwerbslosen und Noch-Beschäftigten bei weitem höher ist, als diejenige der Kapitaleigner. Die Sozialbindung des Eigentums entpuppt sich tagtäglich als hohle Phrase. Kaum ein Tag ohne Unternehmerkampagnen zur Entlastung von Steuern und Sozialabgaben, kein Tag ohne Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne, Arbeitsbedingungen und soziale Standards.

·         An den Kapitalbesitzern lässt sich ablesen, dass das so einfach nicht ist mit der “Gemeinwohlbindung” wie von “Freiheit statt Vollbeschäftigung” suggeriert. Die Ideologen der herrschenden Produktionsverhältnisse behaupten doch gar, dass über das möglichst ungehinderte Ausleben des Egoismus das größtmögliche Glück einer größtmöglichen Menge von Menschen zu erreichen sei.

·         Die von Befürwortern des bedingungslosen Grundeinkommens immer wieder vorgebrachte anthropologische These, dass Menschen auf Tätigsein (hier “Gemeinwohlbindung”) und nicht aufs Faulenzen angelegt sind, ist in dieser Grundsätzlichkeit zwar nicht falsch, sagt aber noch nichts darüber aus, wer welche gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten arbeitsteilig übernimmt. Wer macht die manuelle Drecksarbeit und wer fühlt sich zu kreativer(?) Kopfarbeit berufen? Wenn das im sozialen Zusammenleben nach Jahrtausende dauernder Dominanz von Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen so einfach wäre, bräuchte es keinen Kampf um Arbeits- und Rollenverteilung in der Gesellschaft und sozialen Gruppen bis hin zur Familie.

·         Auf dieser anthropologischen Ebene - unter konkreten historischen Bedingungen muss das unbedingt modifiziert werden und den gegenwärtigen insbesondere -  steht einer aus Existenzrecht und menschlicher Würde abzuleitender Erwartung an die Gesellschaft von Teilhabe am gesellschaftlichen Arbeitsprodukt auch eine aus sozialer Bindung und sozialer Gerechtigkeit abzuleitende Erwartung an das Individuum zur Seite, seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten entsprechend zur gesellschaftlich notwendigen Arbeit beizutragen (vorausgesetzt, dass die Bedingungen dazu gesellschaftlich bereitgestellt werden. Wobei es zudem noch Aufgabe breiter gesellschaftlicher Debatte wäre festzustellen, was denn eigentlich gesellschaftlich notwendig und wünschenswert ist).
Eine solche “Gemeinwohlbindung” muss letztlich eine Grundlage in der gesellschaftlichen Wirklichkeit haben. Es ist nicht zu erwarten, dass diese in der kapitalistischen Ellenbogenrealität in der notwendigem Breite gedeihen kann. Dem ist nicht mit Arbeitszwang zu begegnen, sondern mit der Beseitigung eben dieser kapitalistischen Verhältnisse. Dabei geht es nicht nur um die Befreiung der Arbeit vom Lohnverhältnis und einen neuen Zugang zu gesellschaftlich notwendiger Tätigkeit, sondern auch um die Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit und andere Rollenverteilungen. Dann kann es heißen “Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen” (Karl Marx, der so die Quintessenz des sozialen Lebens für die zweite  - die kommunistische -  Phase einer postkapitalistischen Gesellschaft beschrieb). 

 

 

Zu Thesen 6 - 8:     

 

“Das Festhalten am Ziel der Vollbeschäftigung hat zur Folge, dass Arbeitslose und Arbeitnehmer für die wirtschaftliche Produktivität unseres Landes bestraft werden ...”

·         Hier werden die Tatsachen geradezu auf den Kopf gestellt. Verantwortlich für die “Bestrafung” ist in der rauhen kapitalistischen Wirklichkeit das Profit- und Konkurrenzprinzip, das statt auf die mögliche radikale Verkürzung der Arbeitszeit aller gerichtet ist auf die maximale Ausdehnung der individuellen Arbeitszeit bei maximaler Minimierung der Lohnkosten und der Zahl der Beschäftigten. Angesichts der allenthalben betriebenen Vorstöße von “Arbeitgebern” und ihrer Verbände zu Arbeitszeitverlängerung und Arbeitsplatzabbau, Lohndumping und Forcierung des Niedriglohnsektors (der Kern von Hartz IV)  grenzt diese These schon an böswillige Realitätsvernebelung.

 

“... obwohl ihre Arbeitskraft nicht mehr benötigt wird.”

·         Auch das muss relativiert werden: ... sie wird nicht mehr benötigt für die Bedürfnisse der Kapitalverwertung und Kapitalakkumulation. Auf vielen Gebieten werden dagegen wachsende gesellschaftliche Bedarfe immer weiter beschnitten, weil sie keinen oder zu geringen Profit versprechen und weltweit werden ganze Länder und Kontinente von wirtschaftlicher Entwicklung und Befriedigung grundlegendster Bedürfnisse abgehängt.
Die angeblich “nicht mehr benötigte” Arbeitskraft würde sehr wohl benötigt bei Orientierung auf die Bedürfnisse der Menschen weltweit und auf eine maximal mögliche Verkürzung der individuellen Arbeitszeiten. Auch dieser Aspekt fehlt bei “Freiheit statt Vollbeschäftigung”.

 

“... zur Folge, dass Bürger ohne Not dauerhaft zu Tätigkeiten gezwungen werden, die automatisierbar sind ...”

·         Das Unternehmen, das auf Automatisierung verzichtet, nur um die Zahl der Beschäftigten hochzuhalten, müsste erst noch erfunden werden. Es käme auch schnell unter die Räder der kapitalistischen Konkurrenz. Wenn nicht automatisiert wird, wo das möglich wäre, hat das mit der zu erwartenden Rendite auf das für die Automatisierung aufzubringende Kapital, evt. noch mit Kapitalmangel eines Unternehmens zu tun, aber sicher nicht mit dem “Festhalten am Ziel der Vollbeschäftigung”.
Im Übrigen gibt es viele Tätigkeiten, etwa im sozialen Bereich, die nicht automatisierbar sind, oder deren Automatisierung zu einem Verlust sozialer Beziehung und menschlicher Würde führen würde.  Gerade hier klaffen aber große Lücken (oder werden aufgerissen), weil das Stopfen Kosten verursachen würde, die sich unter Profitgesichtspunkten nicht rechnen. Sie werden jetzt mit 1-Euro-JobberInnen aufgefüllt.
Auch gibt es Prozesse, deren Automatisierung unter ökologischen Gesichtspunkten (z.B. Verschwendung  endlicher Energie- und Rohstoffe) durchaus anfechtbar ist.

 

“... geht ... mit dem Verlust beruflicher Sinnstiftung einher ...”

·         Ist der Sinn einer beruflichen Tätigkeit nicht weit mehr von der Sinnhaftigkeit ihres Produkts, seines gesellschaftlichen Nutzens, von der Einsicht in und den Einfluss auf den Prozess, die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsergebnis, vom sozialen Umfeld und beruflicher Kompetenz etc. abhängig als von ihrer (Nicht-)Automatisierbarkeit? Alles sinnstiftende Faktoren, die in vielfacher Hinsicht durch die kapitalistische Produktionsweise in Frage gestellt werden, nicht aber durch das “Festhalten am Ziel der Vollbeschäftigung”. Es scheint den ProtagonistInnen der “Freiheit statt Vollbeschäftigung” eben darum zu gehen, diese Produktionsweise dem Blick und der Kritik zu entziehen.

 

“... Verschwendung von Lebenszeit der Bürger ... , weil sie an geisttötende, unwürdige Arbeiten gebunden werden ...”

·         Geisttötend und unwürdig sind in der Tat viele Lohnarbeiten. Aber wiederum nicht durch das “Festhalten am Ziel der Vollbeschäftigung”, sondern weil die Lohnarbeiter als Produzenten kaum Kontrolle über das Produkt und den Prozess ihrer Herstellung haben, durch die Zerstückelung der Arbeitsprozesses, durch die Abhängigkeit und individuelle Ohnmacht in einem hierarchischen System etc. Dazu wieder kein Wort.

 

 

Zu These 9 :  

 

Wenn Würde und Integrität von Menschen nicht mehr die oberste Richtschnur politischer Entscheidungen sind ...”

·         Wann waren sie das denn in der Praxis (Papier ist geduldig)? Soll nun etwa auch das dem “Festhalten am Ziel der Vollbeschäftigung” in die Schuhe geschoben werden? Nicht der kapitalistischen Profitwirtschaft?  Nicht der politischen Machtlosigkeit der Produzenten und der politischen Macht der ökonomisch Mächtigen?

 

 

Fazit:  

 

“Freiheit statt Vollbeschäftigung” blendet die kapitalistische Produktionsweise und die ihr immanenten Gesetzmäßigkeiten vollständig aus. Sie zäumt das Pferd von hinten auf:  statt einer wissenschaftlichen Analyse der Ursachen von Massenarbeitslosigkeit, Prekarisierung, Sozialabbau und Lohndumping, Ausgrenzung und Entwürdigung, und einer daraus abzuleitenden politischen Programmatik werden die realen gesellschaftlichen Verhältnisse vom politischen Programm her (“bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger” auf Grundlage eines Gemeinwesens als Gemeinschaft der Bürger(1)  unter Beibehaltung  kapitalistischer Produktionsverhältnisse) “analysiert” und “passend” gemacht..

 

Die Wurzeln der genannten sozialen Übel liegen nicht in der Verteilungssphäre. Sie sind in der dieser praktisch und logisch vorgelagerten Produktionssphäre zu finden. Wer die von den PropagandistInnen eines bedingungslosen Grundeinkommens vielfach vorgebrachten Ziele (Menschenwürde, Freiheit von materieller und kultureller Armut und ökonomischen Zwängen, Freiheit als Ausweitung der Sphäre individueller Autonomie, Freiheit zur Muße, Solidariät als Prinzip des sozialen Lebens) durchsetzen will, muss realisieren, dass diese die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise zur Voraussetzung haben.

 

Bemerkenswert, wie die Initiative “Freiheit statt Vollbeschäftigung” ständig den Begriff der “Freiheit” bemüht, sich aber hartnäckig um eine Analyse der realen Herrschaftsverhältnisse herummogelt. Danach wären die unfreien Verhältnisse im Festhalten am Ziel der Vollbeschäftigung begründet. Die substantielle Unfreiheit des Lohnarbeitsverhältnisses als solches kommt gar nicht erst in den Blick, ebensowenig wie die Unterwerfung der Gesellschaft unter die Zwänge der Kapitalakkumulation, der Konkurrenz und des Marktes, die als Sachzwänge aufscheinen, tatsächlich aber Ergebnis veränderbarer gesellschaftlicher Verhältnisse sind. “Freiheit statt Vollbeschäftigung” setzt das, was sie vorgeblich erreichen will, ein Gemeinwesen als Gemeinschaft der Bürger”(1) im Grunde als real gegeben voraus ohne sich mit den realen Herrschafts- und Klassenverhältnissen auch nur auseinanderzusetzen. Da nimmt es nicht Wunder, wenn die Initiative auch den Konzernen und Kapitaleignern per bGE nur Gutes verspricht (“Sie können automatisieren, ohne sich Sorgen um entlassene Mitarbeiter zu machen. Sie können auf leistungsbereite Mitarbeiter setzen, denn Erwerbsarbeit wird freiwillig geleistet.”)

 

Die kapitalistische Produktionsweise setzt den doppelt freien Lohnarbeiter (Karl Marx) voraus:  den formal vertragsfreien Bürger (frei von Hörigkeiten und Zunftbeschränkungen) und den von allen Existenzsmitteln freien Arbeiter, der seine Arbeitskraft an Produktionsmittelbesitzer verkaufen muss, um existieren zu können.

Wer nun ernsthaft und konsequent den Kampf für ein bedingungslosen Grundeinkommen in Höhe der soziokulturellen Reproduktionskosten menschlicher Existenz führen will (und nur diese Höhe wäre eine Befreiung vom ökonomischen Zwang zur Lohnarbeit), muss wissen, dass mit Befreiung vom Zwang zur Lohnarbeit der kapitalistischen Wirtschaft eine Grundvoraussetzung abhanden käme, dass ihre Basis grundlegend in Frage gestellt, dass die System- und damit die Machtfrage gestellt würde. Das wäre ja voll in Ordnung, wenn nicht mit der Illusion verbunden, dass eine maulwurfsartige Transformation dieser Gesellschaft möglich wäre über die “machbare” Reform der Verteilungsverhältnisse, über die Verteilung von Geld, mithin einem Konsumanspruch auf Waren - statt einer grundlegenden Änderung der Produktionsverhältnisse (unter denen diese als Waren hergestellt werden).

 

Wer ein “bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger” neben und auf der Basis kapitalistischer Lohnarbeit (denn irgendwoher müssen die Werte/Waren ja kommen, die da per bGE transferiert werden sollen), fortbestehenden Privateigentums an den Produktionsmitteln, fortbestehender privater Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, fortbestehenden ökonomischen Zwangs zur Kapitalakkumulation auf immer höherer Stufenleiter, fortbestehender Warenproduktion für einen anarchischen Markt und entsprechender Konkurrenz auf den Märkten (einschließlich des Arbeitsmarkts) einrichten will, desorientiert auf Illusionen, weil die damit fortbestehenden kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten total ignoriert werden ...

... und/oder das Ganze läuft  - bei einem realistischerweise anzunehmenden deutlich unter den Reproduktionskosten liegenden Grundeinkommen einer unter kapitalistischen Bedingungen “machbaren” Reform -  auf einen Kombilohn hinaus, mit dem die Lohnkosten des Kapitals weiter gedrückt werden durch Übernahme eines Anteils aus Steuergeldern, also letztlich aus der wertschöpferischen Arbeit selbst. Was nichts anderes ist als verschärfte Umverteilung von unten nach oben ...

... und/oder ist der Versuch, sich im Kapitalismus eine Nische einzurichten und sich  - wenn auch nicht komfortabel, so doch auskömmlich -  an der Ausbeutung der Lohnarbeit zu beteiligen.

 

Man/frau muss nicht AnbeterIn eines Konzepts der “Menschenwürde durch Lohnarbeit”  oder keynesianischer Vollbeschäftigungskonzepte (Lohnarbeitsvollbeschäftigung durch staatliche Ankurbelung ökonomischen Wachstums) sein, um das bGE als politischen Irrweg zu erkennen. Es desorientiert den Widerstand gegen die real existierenden Verhältnisse. Er treibt insbesondere einen Keil zwischen Erwerbslose und Beschäftigte, statt deren Kräfte - wie unbedingt notwendig - im Kampf für die gemeinsamen Interessen zu bündeln. Denn es verspricht die Befreiung von der Lohnarbeit über einen Geldbetrag, der durch LohnarbeiterInnen erarbeitet werden muss.

 

Gegen Massenerwerbslosigkeit, Prekarisierung, Ausgrenzung und Lohndumping ist hier und jetzt unter kapitalistischen Bedingungen neben dem Kampf für eine nicht-ausgrenzende Existenzsicherung bei Erwerbslosigkeit (Anhebung des Regelsatzes von Alg II / Sozialhife auf mind. 500 €/Monat)  und einem Mindestlohn für Menschen, die vom Kapital als LohnarbeiterInnen noch gebraucht werden (mind. 10 €/Stunde) , v.a. der (internationale) Kampf für eine radikale Arbeitszeitverkürzung möglich und notwendig. Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle steht dazu in ihrer Logik konträr, selbst dann, wenn die Arbeitszeitverkürzung von Teilen der BefürworterInnen schließlich auch in ihren Forderungskatalog übernommen wurde:  Je mehr Menschen sich für das Grundeinkommen ohne zusätzliche Lohnarbeit entscheiden, desto schmaler die Basis für eine radikale Arbeitszeitverkürzung. Die einen müssen länger lohnarbeiten, damit andere sich von der Lohnarbeit verabschieden können.

 

Grundlegend lassen sich die Verhältnisse nur durch Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise ändern. Dass es derzeit auch auf der antikapitalistischen Linken kein entwickeltes Konzept für diese Aufgabenstellung gibt, ist eine Tatsache, aber noch lange kein Grund, auf Konzepte zu setzen, die in der Praxis geradezu gegenläufig sind.

Immerhin könnte die Debatte um das bGE dazu führen, dass in der besagten Linken die Anstrengungen forciert werden, zu einer entwickelten antikapitalistischen Programmatik und Politik zu kommen. Diese Debatte muss eine kritische Analyse des Scheiterns der historisch ersten Welle antikapitalistischer Umwälzung, des sog. “real existierenden Sozialismus” – egal welcher Prägung, einschließen.

 

 

 

Initiative  “Freiheit statt Kapitalismus”

V.i.S.d.P:     Sturmi Siebers, Am Heedbrink 42, 44263 Dortmund                               e-mail:  sturmisiebers@web.de



(1)   Mitinitiator von “Freiheit statt Vollbeschäftigung” Sascha Liebermann in: Utopie Kreativ, "Freiheit ist eine Herausforderung, kein Schlaraffenland", Heft 184, Februar 2006, S. 117