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Erschienen in: Frankfurter Rundschau vom 2.9.2004, Rubrik „Standpunkte“

 

 

Freiheit der Bürger statt Arbeitszwang

Auf der Basis eines garantierten Grundeinkommens kann jeder wählen, welchen Beitrag er zum Gemeinwesen leisten will

Wohin wir – die Bürger unseres Gemeinwesen – gehen wollen, ist die entscheidende Frage, die heute eine Antwort verlangt. Erst wenn sie beantwortet ist, können Reformen auf den Weg gebracht werden, die uns eine langfristige Perspektive eröffnen. Ein Vorschlag, der den Blick auf eine andere Zukunft erlaubt, als sie uns gegenwärtig gepredigt wird, ist der eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Bürger.

Ein solches Grundeinkommen steht im Dienste unseres Gemeinwesens, da es die Autonomie und Integrität der Bürger stärkt. Es wird allen Staatsbürgern bedingungslos gewährt, Erwachsenen wie Kindern, ganz gleich ob sie einer Erwerbsarbeit nachgehen oder nicht. Eine Gegenleistung wird nicht verlangt, denn es ist ein Bürger-Einkommen. Ohne unsere Loyalität gäbe es unser Gemeinwesen gar nicht – ein bedingungsloses Grundeinkommen anerkennt genau dies: wir, die Bürger, sind das Fundament unseres Gemeinwesens.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen eröffnet Freiheit, indem es Entscheidungsmöglichkeiten schafft. Wer will, geht einem Beruf nach und erzielt ein zusätzliches Einkommen, doch er muß es nicht. Schon heute ist der Umfang freiwilligen Engagements für unsere Gemeinschaft enorm. Wesentliche Einrichtungen wie Parteien, Vereine und karitative Organisationen würden gar nicht existieren, gäbe es dieses Engagement nicht. Statt eines Arbeitszwangs werden Muße und Neugierde, das freie Erkunden des Unbekannten, gefördert. Maxime unseres Bildungswesens sollte ihre Förderung sein, denn sie sind es, aus denen Neuerungen erwachsen.

Eltern erhalten die Freiheit, sich ausgiebig um ihre Kinder zu kümmern. Sie kämen erst gar nicht in die Lage, lediglich aus Gründen der Existenzsicherung zu arbeiten. Unsere Gemeinschaft ermöglicht ihnen, selbst die Fürsorge wahrzunehmen, statt die Kinder schon früh Betreuungseinrichtungen zu überlassen. Familien würden dadurch gestärkt, aus ihnen gehen die Bürger unserer Zukunft hervor.

Arbeit wird wieder mehr an Leistung, an den erzeugten Neuerungen gemessen, nicht am bloßen Innehaben eines Arbeitsplatzes. Automatisierung ist gewünscht, denn sie befreit von stupiden, sich wiederholenden Arbeitsgängen. Personal für Dienstleistungen muß umworben werden, die Nachfrage würde es tatsächlich richten können, denn diejenigen, die arbeiten, hätten durch das bedingungslose Grundeinkommen Verhandlungsmacht: über Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen, aber auch darüber, bis in welches Alter sie arbeiten wollen. Einer allgemeinen Regelung bedürfen wir nicht mehr, denn der Einzelne verhandelt über all diese Fragen selbst. Unternehmen müssen um Mitarbeiter werben, statt sie gegeneinander auszuspielen. Mitarbeiter arbeiten freiwillig, sie sind dadurch besonders motiviert. Freiwilligkeit und Neuerung, damit Wertschöpfung, sind zwei Seiten einer Medaille: die eine ist nicht ohne die andere zu haben.

Apologeten der Arbeitsumverteilung und der Einführung eines Niedriglohnsektors sind sich in einem einig: dem Arbeitszwang. Statt der Zwangsverpflichtungen der Bürger, die heute allerorten gepredigt und als Stärkung der Eigenverantwortung verbrämt werden, schützt uns das bedingungslose Grundeinkommen. Woran wir gegenwärtig leiden, ist eine Politik des Arbeitshauses, in der Arbeit um zum höchsten Zweck geworden ist, wir bewerten sie höher als unsere Freiheit und höher als den Geist der Neuerung.

Wir sind nicht bereit anzuerkennen, daß der Reichtum unseres Landes auf die gestiegene Produktivität zurückgeht, Rationalisierung und Automatisierung ein Motor dafür waren und sind. Arbeitslosigkeit stellt also vielmehr einen Erfolg dar, doch einen Erfolg, aus dem wir Konsequenzen ziehen sollten: Wir müssen die Vorstellung aufgeben, der Mensch werde erst durch Arbeit zum Menschen. Statt Arbeitszwang und Entwürdigung der Bürger, wie es durch ihre Degradierung zu Kunden der Bundesagentur geschieht, sollten wir die Freiheit ergreifen, die der Rückgewinn von Lebenszeit durch Automatisierung ermöglicht.

Wer würde denn dann arbeiten, so der geläufige Einwand?

Alle, die schon heute sich mit ihrer Tätigkeit identifizieren. Diejenigen, die es heute nicht tun, würden sich überlegen, wofür sie sich engagieren wollen. Findet sich niemand, der bestimmte Dienstleistungen anbieten will, werden wir sie in die eigenen Hände nehmen müssen. Hier erst ist die Rede vom Markt überhaupt seriös, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber dieselbe Verhandlungsmacht haben.

Freiheit, die das bedingungslose Grundeinkommen eröffnet, ist auch eine Verantwortungszumutung. Jeder wird durch diese Freiheit verpflichtet, sie sinnvoll zu nutzen. Es wird aber nicht vorgeschrieben, worin das Sinnvolle besteht. Die Autonomiechancen zu ergreifen, darin bestünde ein Beitrag zum Gemeinwohl. Vertrauen in die Bereitschaft des Einzelnen, dazu beitragen zu wollen, setzt dies voraus.

Unsere gegenwärtigen politischen Entscheidungen ersetzen Leistung, Engagement für die Gemeinschaft und Familienfürsorge durch Arbeit um jeden Preis. Ihr wohnt ein Heilsversprechen inne, das die Apologeten des Arbeitshauses predigen. Sie trauen uns, den Bürgern, nicht zu, selbst entscheiden zu können, wie wir unseren Beitrag zum Gemeinwohl leisten wollen. Marktliberale und Sozialfürsorger sind sich in dieser Frage einig, denn eine wirkliche, eine politische Freiheit ist für beide undenkbar.

Unsere Freiheit wird erst dort wirklich, wo wir die Chancen der Gegenwart ergreifen und eine Zukunft gestalten, die sich uns heute bietet. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger ist ein erster Schritt dazu.

 

Sascha Liebermann ist Mitbegründer der Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung“

 

 

 

Erschienen in: Frankfurter Rundschau vom 10.9.2004, Rubrik „Standpunkte –Dialog“

 

Freie Arbeit

Zu: Freiheit der Bürger statt Arbeitszwang (FR Standpunkte vom 2. September)

Mit Sicherheit ein bedenkenswerter Ansatz. Als ich als Kind einen solchen Gedanken mal äußerte, meinte mein Vater dazu: "Das sind dann eben die Kommunisten. Und wie man sah, es funktioniert nicht!" Dass es à priori nicht funktionieren soll, will ich immer noch nicht glauben. Doch, die berühmte Frage "Und woher soll das Geld kommen?" wird leider nicht beantwortete, ja nicht einmal angesprochen. Zwar kommt die Einstellung heraus, dass bei einer Freiwilligkeit der Arbeit ebenso viele arbeiten würden wie heute, wenn nicht mehr - aber die eben anders. Doch wenn die Arbeitskraft vermehrt in so genannte Ehrenämter gesteckt wird, die ja heute kostenlos sind, sollen sie dann in diesem Modell bezahlt werden? Und von wem? Und wenn der Arbeitgeber nun die Arbeitnehmer werben soll, vermutlich auch mit einem höheren Gehalt (denn das Grundeinkommen wird wohl einem Mindeststandard genügen, mehr aber auch nicht), hieße das dann nicht, dass Arbeitgeber verstärkt ins Ausland gingen, wenn sie können? Außer, das Konzept würde weltweit umgesetzt, aber das ist wohl noch unmöglicher als die Umsetzung in Deutschland.  

Angenommen, das Konzept könnte umgesetzt werden, und die Beschaffung des Geldes wäre irgendwie gesichert: Kann man den Menschen hier wirklich zutrauen, ein Jahrhunderte lang gelerntes, eingetrichtertes Bewusstsein über Nacht zu vergessen und Arbeit von heute auf morgen neu zu bewerten?   Aber vielleicht sollte man wieder mehr Glauben in die Menschheit versuchen, denn, wie gesagt, ein bemerkenswerter Ansatz, nur leider nicht tiefer ausgeführt.

Julia Buschbeck, Leipzig

 

Antwort:


Woher soll das Geld kommen, ist eine berechtigte Frage. Doch nicht ob wir über die Mittel verfügen, ist zweifelhaft, sondern wie wir sie bislang nutzen. Steigende Wertschöpfung und Produktivität gehen seit 30 Jahren mit steigender Arbeitslosigkeit einher. Wir sind reich und brauchen weniger menschliche Arbeitskraft zur Erzeugung unseres Wohlstandes - das verdanken wir unserer politischen Ordnung. Daraus sollten wir Konsequenzen ziehen.


Unternehmen verlagern schon heute ihr Geschäft, und zwar aus verschiedenen Gründen: Sie erschließen Märkte in anderen Ländern, nutzen dortige Kostenvorteile, die sich für uns in geringeren Güterpreisen niederschlagen. Das können wir nicht aufhalten. Unternehmen, wollen sie neue Produkte entwickeln, benötigen motivierte Mitarbeiter. Wer freiwillig arbeitet, ist motiviert - das ist die beste Grundlage für eine innovative Wirtschaft. Schaffen wir freiheitliche Bedingungen, unter denen Innovationen gedeihen, dann werden Unternehmen unser Land attraktiv finden - wie heute schon.


Was heute noch ehrenamtliches Engagement heißt, wäre der Sache nach Bürgerengagement. Das Grundeinkommen erlaubte, frei zu entscheiden, wie jeder Einzelne einen Beitrag zu unserem Gemeinwesen leistet. Diese Freiheit - statt der Bevormundung, die im Kommunismus herrschte - eröffneten wir als politische Freiheit jedem Bürger: im Vertrauen darauf, dass er sie ergreift - wie schon heute.


Politische Gestaltung heißt, unser Gemeinwesen zu schützen, die Bedingungen für Innovationen zu befördern und dadurch auch eine starke Wirtschaft zu ermöglichen. Wir brauchen langfristig fördernde Entscheidungen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre eine solche. Ob wir es einführen, ist eine Frage unseres Wollens. Wenn wir nicht in die Bereitschaft der Bürger vertrauen, ihren Beitrag leisten zu wollen, werden wir aus unserer Lage nicht herausgelangen.


Sascha Liebermann, FR-Autor, Initiative Freiheit statt Vollbeschäftigung