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Text veröffentlicht als:

Auf der Suche nach Alternativen: Das bedingungslose Grundeinkommen,

in: Asta der FH Münster (Hg.): Alle reden vom Wetter. Wir nicht.

Beiträge zur Förderung der kritischen Vernunft, Münster 2005

 

 

 

Harald Rein

Auf der Suche nach Alternativen: Das bedingungslose Grundeinkommen

 

Trotz des von Bundeskanzler Schröder verkündeten Credos: „ Es gibt keine wirklich vernünftige Alternative zur Agenda 2010“, finden regelmäßige Demonstrationen, Kundgebungen und Aktionen  gegen die herrschende „Vernunft“ statt. Ihre Vielfältigkeit und stellenweise Massenhaftigkeit stehen in keinem Vergleich zu den Arbeitslosenprotesten von 1998.

Der Widerstand vereint sich in der Parole „Weg mit Hartz IV“, was vielerorts als Zeichen der inhaltlichen Schwäche kritisiert wurde. Als kompromisslose Forderung drückt sie aus, was viele der von Hartz IV-Betroffenen denken: ein mitgestalten an einem unsozialen Gesetz führt zur Mittäterschaft.

Unbeachtet vom kommerziellen Medienbetrieb haben sich in den letzten Monaten auf verschiedenen bundesweiten Aktionskonferenzen und in intensiven Diskussionen der örtlichen Initiativen und Bündnisse auch Forderungen herauskristallisiert, die als Alternativen zur herkömmlichen Art der Politik und des Wirtschaftens zu verstehen sind. Neben der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, ist dies auch das Recht  auf einen gesetzlichen Mindestlohn und auf ein bedingungsloses Grundeinkommen (BG). Sie bilden ein Dreigestirn, um eine auskömmliche materielle Sicherung von Beschäftigten, Arbeitslosen und Menschen ohne Einkommen sicherzustellen.

Im weiteren geht es um den Anspruch auf ein solch garantiertes Grundeinkommen, das innerhalb eines Teils der Arbeitslosen- und Sozialhilfegruppen schon immer, in Form der Forderung nach einem Existenzgeld, präsent war und ist. Sie drückte sich aus in der Parole: „Von Arbeit muss ein Mensch leben – ohne Arbeit auch!“ und steht etwas verhaltener als ein „ausreichendes garantiertes Mindesteinkommen für alle Erwerbslosen, ohne Bedürftigkeitsprüfung“ im Mittelpunkt der ersten inhaltlichen Plattform der Bewegung gegen Sozialabbau, dem „Frankfurter Appell“. Noch weitgehender formulierten es die Organisatoren der zentralen Demonstration gegen Sozialabbau am 2. Oktober 2004 in Berlin, indem sie für „ein menschenwürdiges Grundeinkommen, ohne diskriminierende Bedürftigkeitsprüfung und Arbeitszwang“ eintraten.

Im Zusammenhang mit den bisherigen Erfahrungen  der globalisierungskritischen Bewegung und den neuen Sozialbewegungen wächst das Bewusstsein nach Alternativen zu einem Gesellschaftsmodell, das sich von den lohnarbeitzentrierten Fesseln befreit. Dies zeigt auch die beginnende Diskussion innerhalb von attac und zaghafte Versuche der Gewerkschaften, mit den VertreterInnen dieses Ansatzes ins Gespräch zu kommen (z.B. 2004 auf dem Perspektivkongress von ver.di).

 

 

Grundeinkommen oder Grundsicherung?

Was sich im ersten Moment als begrifflich kaum unterscheidbar darstellt, ist bei genauerer Analyse ein unterschiedlicher Ansatz, um Wege aus einer Gesellschaft, die Arbeitslosigkeit und Armut impliziert, anzuvisieren. „Grundsicherung für Arbeitssuchende“, so lautet der regierungsamtliche Name für die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II für alle Langzeiterwerbslose und erwerbsfähigen SozialhilfebezieherInnen. Sie bedeutet die Verstärkung eines Sozialstaates autoritärer Prägung, indem einerseits Arbeitslose fürsorgetechnisch einem kontinuierlichen Verarmungsmechanismus ausgesetzt und andererseits der Zwang zu jeglicher Arbeit derart massiv ausgeweitet wird, dass inzwischen von einem staatlich organisierten Arbeitsdienst auszugehen ist. Der Begriff der Grundsicherung wird insoweit pervertiert, als soziale und materielle Sicherheit suggeriert wird, die faktisch nicht gegeben ist.

Solange das Prinzip „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ als Leitmotiv gesellschaftlicher und individueller Entwicklung prägend ist, wird auch eine positive Bestimmung des Begriffes Grundsicherung keine anderen Ergebnisse nach sich ziehen.

Grundsicherung, ob als Mindesteinkommen, Mindestsicherung oder Bürgergeld sieht die Erwerbsarbeit als Vorrang vor Leistungsbezug, mit dem Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt. Es wird von einem imaginären Arbeitsmarkt ausgegangen, der früher oder später, je nach Konjunkturverlauf, neue Arbeitsplätze schaffen soll. Doch im Vergleich zu einer anderen Phase der kapitalistischen Produktion, wird die Forderung nach Vollbeschäftigung „umso weniger erfüllbar sein, je höher der technologische Status einer Gesellschaft ist.“ (Anders 1987, S.99)

Schließlich wird „Arbeit selbst (…) zum herzustellenden Produkt.“ (S. 99) Mit Trainingsmaßnahmen  wird das Arbeitsleben „unter Verschluss wieder zum Leben erweckt, und die psychosoziale Erfahrung des Arbeitsprozesses (…) ohne jede `reale´ Produktion für die Arbeitslosen konserviert.“ (Baudrillard 1985, S.76)

Grundsicherung soll das Existenzminimum sichern, für einen Personenkreis der arbeitssuchend/arbeitslos ist oder aus unterschiedlichen Gründen nicht am Erwerbsarbeitsprozess teilnehmen kann. Eine Bedürftigkeitsprüfung geht dem voraus, jeder Bedarfsfall wird individuell überprüft.

Die sozialen Sicherungssysteme werden in diesem Sinne reformiert. Sie bleiben strukturell gesehen unangetastet.

Bedingungsloses Grundeinkommen bedeutet einen allgemeinen Rechtsanspruch auf eine bedarfsunabhängige, ausreichende materielle Absicherung. Sie umfasst keine Bedürftigkeitsprüfungen und keine Abhängigkeit von zu leistenden Arbeiten. Sie bietet die Möglichkeit aus der Krise der Lohnarbeit Schlussfolgerungen zu ziehen, ohne Zwang, gesellschaftlicher Diskriminierung  und materieller Armut autonomes Handeln zu fördern. Der „Exodus aus der Lohnarbeit“ (Gorz) in eine produktive Tätigkeit der freien, ungezwungenen, bewussten und selbständigen Tätigkeit könnte so gegangen werden.

BG wird an den einzelnen Bürger ausgezahlt und ersetzt die bisherigen Sozialsysteme.

Nicht vereinbar mit diesem Ansatz sind Vorschläge, wie der des Club of Rome nach einem Grundeinkommen auf Armutshöhe,  „gerade soviel, dass der Ansporn mehr zu arbeiten, nicht darunter leidet.“ (Giarini/Liedtke 1997, S.196), da sie mit Hilfe des Grundeinkommens den Arbeitszwang wieder aktivieren wollen.

 

Im Juli 2004 trafen sich in Berlin Vertreter von Erwerbslosen- und Sozialhilfegruppen, Wissenschaftler, Studierende, kirchliche Verbänden sowie Mitglieder verschiedener Parteien zu einer Gründungsversammlung des „Deutschen Netzwerkes Grundeinkommen“

Als wesentliche Kriterien für ein BG nannten sie:

-        Ausreichende Existenzsicherung

-        Individueller Rechtsanspruch

-        Keine Bedürftigkeitsprüfung

-        Kein Zwang zur Arbeit (siehe Pressemitteilung 1/04 „Deutsches Netzwerk Grundeinkommen“).

Erstmals, seit im Nachkriegsdeutschland Einzelpersonen und politische Gruppierungen den Gedanken des BG transportieren, gelang es deren wichtigsten VertreterInnen, sich auf gemeinsame Mindeststandards eines BG zu verständigen. Dieser qualitative Sprung war auch deshalb wichtig, da die Diskussionsbeiträge über Einkommensvarianten jenseits von Lohnarbeit quantitativ zugenommen haben und somit auch die Gefahr besteht, dass es zunehmend zu inhaltlichen und begrifflichen Verwirrungen kommt.

Einfacher ausgedrückt: in einer Flasche mit dem Etikett BG muss auch BG enthalten sein.

 

 

Neuere politische Ansätze der Möglichkeit eines Einkommens jenseits von Lohnarbeit

In den letzten Monaten haben sich verschiedene Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen dem Thema eines garantierten Einkommens auch außerhalb der Lohnarbeit gewidmet.

Aus der Vielzahl von Beiträgen ist zu entnehmen, dass sie sich besonders an zwei Punkten vom Prinzip des garantierten Grundeinkommens abheben: der Zuwendungshöhe und dem Verhältnis bzw. der Bedeutung von Lohnarbeit.

Vorschläge, die sich primär am Erwerbseinkommen über den Arbeitsmarkt oder an der Pflicht zur Lohnarbeit orientieren, sind keine Alternative. Sie reproduzieren die kapitalistischen Grundbedingungen der Ausbeutung, der Produktivitätssteigerung ohne positive Auswirkungen für die Betroffenen, autoritäre Formen des Sozialstaates usw.  So antwortete Ulrich Beck auf die Frage „Geht es bei der Bürgerarbeit um freiwilliges Engagement oder Pflicht?“: „Mir steht wesentlich ein freiwilliges Engagement vor Augen. Allerdings könnte ich mir vorstellen, das Jugendliche schon aufgefordert werden, sich mit einer gewissen Verbindlichkeit zu engagieren.“ (Frankfurter Rundschau 25.02.2004)

Jugendliche, als speziell zu bearbeitende soziale Gruppe sind auch primäre Zielscheibe der rot/grünen Arbeitsmarkt“reform“. Wer die kommunale Arbeitsdienstpflicht oder irgendeine Arbeit nicht akzeptiert, erhält nur noch Lebensmittelgutscheine.

Ebenso wenig sind Vorstellungen zu akzeptieren, die von einer Leistungsgrenze ausgehen, die das Armutsrisiko erhöhen. Oskar Negt spricht in diesem Zusammenhang von einem Grundeinkommen, „das gewiss nicht üppig ausfallen dürfte“. (Frankfurter Rundschau 30.07.2004) Weshalb und Warum ein Grundeinkommen nur auf niedrigem Niveau angesiedelt sein darf, lässt er offen. Interessant ist die Häufigkeit der Vorschläge zu materiellen Sicherungsgrenzen, die kaum zum Leben reichen, durch Personen, die selbst ausreichend abgesichert sind.

 

Den Versuch, die kapitalistische Form des Arbeitens in abgewandelter Form mit einem Grundeinkommen zu verbinden, vertreten hauptsächlich kirchliche Initiativen und die Autoren der „Repressanda 2010“.

Sowohl die „Katholische Arbeitnehmerbewegung“ (KAB), wie auch der „Bund der deutschen katholischen Jugend“ (BDKJ), unterstützen ein Grundeinkommensmodell, dass in seiner Höhe (600 € pro Person ab dem 18.Lebensjahr) sehr niedrig angesetzt ist, da es darum geht „sich gleichermaßen an Familienarbeit, gesellschaftlich notwendiger Arbeit und Erwerbsarbeit zu beteiligen.“ (Welter 2003, S.218) Behauptet wird zwar, es handele sich um die Einführung eines Grundeinkommens ohne Bedürftigkeitsprüfung, aber um seinen Anspruch auf Erhalt des Grundeinkommens realisieren zu können, müssen „mindestens 500 Stunden pro Jahr in einem der vier zentralen Bereiche gesellschaftlich notwendiger Arbeit“

(BDKJ 2003, S. 9) nachgewiesen werden. Genannt sind Familienarbeit, Bildung, Erwerbsarbeit und ehrenamtliches bürgerschaftliches Engagement.

Ähnlich argumentieren die Autoren (Grottian/Narr/Roth, 2003) der Alternativen zur „Repressanda 2010“: Nachdem sie die Notwendigkeit einer Grundsicherung (so ihre eigene Bezeichnung) überzeugend darstellen, sich betreffs der Höhe aber dezent zurückhalten („erheblich über dem gegenwärtigen Sozialhilfesatz liegende Sockelbetrag“), wird im zweiten Teil ihrer Ausführungen deutlich um was es geht: den Arbeitsmarkt von unten zu dynamisieren. „Erwerbsfähigen und Erwerbswilligen werden unkonventionell Arbeitsplätze unterschiedlichen Typs angeboten. Diejenigen, die brach liegende Arbeit tun wollen, können sich selbst einen Arbeitsplatz entlang ihren Qualifikationen, Motivationen und Möglichkeiten suchen.“ Etwa 1- 2 Millionen Erwerbslosen sollen so zunächst auf drei Jahre begrenzt als „Quartiersmanager, City-Cleaner, Festivalhelfer“ oder „Märchenerzählerin“ tätig sein. Ihr Gehalt ist so zu bemessen, „dass der Lohn der Arbeit erheblich über der Grundsicherung liegt.“

Unklar bei diesem Ansatz bleibt, ob die Grundsicherung an alle BürgerInnen eines Landes ausgezahlt werden soll oder nur an „Bedürftige“. Die Grundprinzipien der Lohnarbeitsgesellschaft werden nicht angetastet, es geht eher um einen Ausbau des vorhandenen Sozialstaates. Die Vorstellung von Millionen staatlich organisierten Arbeitsplätzen (auch wenn sie selbst gesucht werden können) erinnert stark an keynesianische Arbeitsbeschaffungsprogramme früherer Jahre (was passiert nach drei Jahren?). „Erwerbswilligkeit“ wird vorausgesetzt. Was passiert mit dem Personenkreis, der sich solcherart Hinführung zur Arbeit widersetzt? Und warum muss der Lohn „erheblich über der Grundsicherung“ liegen? Vielleicht deshalb, weil sonst niemand eine Stelle als „Ökologie- oder Lehrerassistent“ annehmen würde? Sollte nicht die freie Wahl einer Tätigkeit darüber bestimmt sein, dass ich auch die materielle Freiheit besitze bei meiner Entscheidung Arbeit anzunehmen oder Arbeit abzulehnen? “Was hält uns davon ab, anzunehmen, dass nicht die Bürgerarbeit die Bedingung für den Bezug eines Bürgereinkommens sei, sondern im Grunde gerade umgekehrt, Bürgergeld die Bedingung für das freiwillige, eigenständige Engagement in selbstgewählten Aktivitäten?“ (Gorz 2000, S.124)

Auch Michael Opielka, als Grundeinkommensbefürworter bekannt geworden, vertritt in der letzten Zeit, beim Versuch konkrete Zwischenschritte zur Einführung eines BG zu formulieren, problematische Positionen. Im Gegensatz zu den vielen Protestierenden gegen Hartz IV, sieht er das Arbeitslosengeld II als „Vorstufe des Grundeinkommens“ (taz vom 16.07.2004), denn es biete „Richtiges und Falsches“. Ähnlich wie die Bundesregierung behauptet er, Alleinstehende könnten auf einen Leistungsbetrag kommen, der in der freien Wirtschaft nicht zu verdienen ist (etwa 960 €). Das dies im Einzelfall so sein kann, ist nicht zu bestreiten. Bezeichnend ist in der Diskussion, dass sich nicht am Regelfall orientiert wird, sondern die Wenigen herausgegriffen werden, die nachgerade abweichen. Die Kritik wäre da anzusetzen, wo es nicht um die Höhe von ALG II geht, sondern um die niedrigen Tarife in den entsprechen Berufsbranchen. Tatsächlich kommt aber durchschnittlich ein lediger Arbeitsloser im Westen auf 655 € und im Osten auf 621 € (siehe die Berechnungen bei www.tacheles-sozialhilfe.de). Auch die 1 €-Jobs kritisiert er nur halbherzig und hält sie für jugendliche Arbeitslose akzeptabel („Was für junge Leute noch angehen mag…“). Die Idee von Opielka das Grundeinkommens mit einer positiven Bewertung der Hartz-Gesetze zu verbinden ist grundfalsch, da Leistungskürzungen und Arbeitszwang mit einem BG unvereinbar sind.

Auch seine Vorstellungen von einem „partiellen Grundeinkommen“ (Opielka, 2004) sind kritikwürdig, weil er an dessen Bezug Bedingungen knüpft und die Rolle von Erwerbsarbeit nach wie vor dominiert. Grundeinkommen soll demnach in Form eines „Bafög für alle“ ausgezahlt werden. Wer sich am „Arbeitsmarkt orientiert“ (Opielka, 2004a) erhält volles Grundeinkommen ohne Anrechnung sonstiger Einkommen und Unterhaltsansprüche. Wer nicht arbeitsbereit ist erhält „50 Prozent des Grundeinkommens als Darlehen“. Dieses kann entfallen, wenn der Betroffene bereit ist „in angemessenem Umfang“ gemeinnützig tätig zu sein. Nach Opielka ergibt sich so keine Arbeitsverpflichtung, sondern eine „Botschaft der Wahlfreiheit“. Resultat wäre dann der “freie Bürger“ mit einer Menge Schulden, aber ohne Diskriminierung(?). Schließlich soll das Grundeinkommen „nicht den Ausstieg aus der Gesellschaft fördern.“

Einen gradlinigeren Ansatz verfolgt die Frankfurter Gruppe „links-netz“ mit ihrem Vorschlag des Ausbaus einer umfassenden sozialen Infrastruktur als Alternative zum lohnarbeitsbezogenen Sozialstaat (www.links-netz.de). Sozialpolitik hätte die Aufgabe der Sicherung „der Infrastruktur für alle Arten von Arbeit, für das Betreiben des eigenen Lebens und aller dazugehörigen Tätigkeiten“. Ausgehend von der Kritik an Konzepten der Vollbeschäftigung und der notwendigen gesellschaftlichen Anerkennung anderer Tätigkeitsbereiche muss Sozialpolitik von der bestehenden Bindung an Lohnarbeit „und, soweit sie Infrastruktur darstellt, vom Versicherungsprinzip“, gelöst werden. Die Gruppe sieht einen direkten Zusammenhang zwischen einem BG und der sozialen Infrastruktur. „Die Grundsicherung hätte die Bedürfnisse abzudecken, die nur warenförmig, d.h. nicht über die ausgebaute soziale Infrastruktur befriedigt werden können.“ (Hirsch, 2004) Das Grundeinkommen muss „ausreichend sein“, muss für „alle zur Verfügung stehen“ und es „muss bedingungslos sein“.

„Im Zentrum steht die soziale Infrastruktur, die notwendige Güter und Dienstleistungen kostenlos für alle zur Verfügung stellt und die dezentral und demokratisch verwaltet werden muss. Nur im Kontext dieser materiellen Infrastruktur macht die Grundsicherung einen Sinn.“

Dieser Ansatz geht insoweit über bestehende Konzepte hinaus, weil er die Einführung eines BG mit gesellschaftlichen Veränderungen verknüpft.

 

 

Existenzgeld- eine Forderung von Erwerbslosen und SozialhilfebezieherInnen

Existenzgeld, als Variante eines garantierten, bedingungslosen Grundeinkommens, ist in der Auseinandersetzung über Alternativen zu Armut, Arbeitslosigkeit und unterbezahlte Beschäftigung von Erwerbslosen und SozialhilfebezieherInenn entwickelt worden.

Sie entspricht meiner eigenen Position, wenngleich an verschiedenen Punkten (Konsumkritik, Rolle sozialer Infrastruktur usw.) inhaltliche Erweiterungen nötig sind.

Als sozialpolitische Fernziel strebt die Forderung nach einem Existenzgeld die Aufhebung der Spaltungen innerhalb der Armutsbevölkerung (in Arbeitslose, SozialhilfebezieherInnen, NiedriglöhnerInnen, RentnerInnen usw.) an, als provokative Forderung verdeutlicht sie, das auch gegessen werden darf, ohne sich dem kapitalistischen Verwertungsprinzip unterwerfen zu müssen, und als aufklärerische Komponente beinhaltet sie die Aussage, dass Lohnarbeit kein unveränderbares Schicksal darstellt.

Kriterien für ein Grundeinkommen ohne Lohnarbeit

  1. Es muss an Individuen ausgezahlt werden, unabhängig von Nationalität, Geschlecht und Familienstand.
  2. Jeder hat einen garantierten Rechtsanspruch darauf, unabhängig von vorheriger Erwerbsarbeit und von der Bereitschaft, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Das Grundeinkommen ist bedingungslos.
  3. Es muss existenzsichernd sein (soziokulturelles Existenzminimum).

Ergänzend geht es auch um eine radikale Arbeitszeitverkürzung, bei vollem Lohn- und Personalausgleich, sowie um einen ausreichenden Mindestlohn.

 

Zur Begründung des Existenzgeldes und einer möglichen Finanzierung äußerten sich die Protagonisten der Existenzgeldforderung wie folgt:

„Die Forderung nach Existenzgeld schließt die Art und Weise, wie die Arbeit organisiert ist und was für wen produziert wird, ein; denn daran hängen neben der Erwerbslosigkeit auch alle anderen Probleme wie die Ausbeutung der Menschen in der sog. Dritten Welt, die Umweltzerstörung, die Sinnentleerung im Konsum etc. Weil im Grunde klar ist, dass in jeder Gesellschaft gearbeitet werden muss, um die materiellen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse aller Menschen befriedigen zu können, geben wir auch den Anspruch nicht auf, diese Arbeit gemeinsam mit allen Menschen selbst zu organisieren. Die Produktion muss an den Bedürfnissen der ProduzentInnen orientiert sein. In unserer Forderung nach Existenzgeld ist deshalb die nach gesellschaftlicher Aneignung der Arbeit enthalten.

Wir verstehen unter gesellschaftlich notwendiger Arbeit nicht nur den "normalen" Produktions- und Dienstleistungsbetrieb, sondern auch die gesamte unbezahlte "private" Reproduktionsarbeit. Sie umfasst unter anderem die Erziehungs- und Hausarbeit, die Arbeit in Initiativen, Nachbarschaftshilfe, kulturelle Arbeit, gegenseitige Hilfe, Unterstützung und Beratung.

Existenzgeld bedeutet für uns die individuelle Absicherung, um diese notwendigen Arbeiten auf freiwilliger Basis machen zu können. Wir wollen diese Arbeiten nicht auch noch in "Lohnarbeitsverhältnisse" zwingen und womöglich damit ihre geschlechtsspezifische Verteilung festschreiben. Untrennbar damit verbunden ist die Forderung nach einer radikalen Arbeitszeitverkürzung, damit der Anspruch auf gerechte Verteilung für alle gelten kann. (Bundesarbeitsgruppen 1996, S.6/7)

Als ausgezahlte Geldleistung aus dem in den kapitalistischen Industrienationen angehäuften Reichtum hat das Existenzgeld die bestehende Weltwirtschaftsordnung zur Voraussetzung. Dieser Widerspruch - nämlich die bestehenden Verhältnisse zu kritisieren und gleichzeitig Forderungen auf ihrer Grundlage zu formulieren - ist uns bewusst. Die Forderung nach Existenzgeld durchbricht jedoch eines der grundlegendsten Gesetze des Kapitalismus: den Zwang zur Lohnarbeit. und zielt damit auf einen Entwurf einer politischen und sozialen Utopie von Emanzipation.

In diesem Sinne begreifen wir den Weg zur Realisierung unserer Forderung als Teil der weltweiten Kämpfe um die Befreiung von Herrschaft. (S.8/9)

 

Existenzgeld und Versicherungsleistungen müssen miteinander verbunden werden. Notwendig ist deshalb ein Existenzgeld als Sockel, dessen Höhe unabdingbar über den derzeitigen Sozialhilfesätzen  zu liegen hat. Für Personen, die in ihrer zurückliegenden Erwerbsarbeit in die Sozialversicherungen einbezahlt haben, erhöht sich dieser Betrag anteilig um die Summe, die ihnen ohnehin aus ihren Beiträgen zufließen würde. BezieherInnen von Niedrigeinkommen steht eine Aufstockung in Höhe des Existenzgeldes zu. Dies wird sowohl durch Sozialversicherungsbeiträge als auch durch eine Umverteilung von Steuereinnahmen realisiert.

Das Existenzgeld hätte die Funktion einer Mindestrente, eines Mindestlohns, eines Mindesteinkommens aus Lohnersatzleistungen und der Hilfe zum Lebensunterhalt; es gilt auch als Mindestkrankengeld. Dies betrifft all diejenigen, die nicht lohnabhängig waren, die über ein Niedrigeinkommen verfügen oder bei denen die Leistungen aus der Sozialversicherung unter dem Existenzminimum liegen. Für diesen Personenkreis fordern wir darüber hinaus den Nulltarif für öffentliche Verkehrsmittel und Bildungs und -Kultureinrichtungen sowie die Übernahme von Zuzahlungen bei ärztlicher Behandlung.

Als Zwischenschritt halten wir bereits heute die Sockelung durch ein so gestaltetes Existenzgeld für realisierbar.

Unsere Utopie zielt darüber hinaus ab auf die endgültige Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Es geht dann nicht mehr allein um die in der Regel minimale Absicherung gegen Lebensrisiken, wie sie das bestehende Sozialrecht intendiert, sondern um die freie Entfaltung der Persönlichkeit, wobei Raum ermöglicht würde für die Ausgestaltung gesellschaftlich notwendiger und/oder sinnvoller Arbeit und das Erstreiten von Bürgerrechten und politischer Teilhabe. (S.12)

Wir sind uns bewusst, dass ein Existenzgeld für sich genommen weder die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung abschafft noch Lohnarbeit in der gegenwärtigen Form angreift. Die Erkämpfung des Existenzgeldes wird einhergehen mit einem Prozess der Bewusstseinsbildung, innerhalb dessen sog. Eigenarbeit und gesellschaftlich notwendige Arbeit ins Blickfeld gerückt und sowohl Konsumismus als auch die herrschende Arbeitsmoral in Frage gestellt werden können.“ (S.15)

 

Einen ähnlichen Ansatz verfolgten auch die Sozialhilfeinitiativen, die gemeinsam mit den Erwerbslosengruppen 1992 ihr Thesenpapier "Existenzgeld für alle statt ein Leben in Armut" veröffentlichten. Es wurde 1998 nochmals aktualisiert und unter dem Titel "Thesen zum Existenzgeld" herausgegeben. Im Unterschied zu den Erwerbsloseninitiativen stellte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI) eine konkrete Forderung (1500 DM monatlich plus tatsächliche Wohnkosten) und ein eigenes Finanzierungskonzept in den Mittelpunkt ihrer Argumentation.

Das Existenzgeld ist eine bedarfsorientierte Grundsicherung, festgesetzt auf 1500 DM (jetzt 800 €) monatlich incl. 200 DM für die gesetzliche Krankenversicherung und wird dynamisiert. Das Existenzgeld ist unpfändbar. Zusätzlich zum Existenzgeld werden tatsächliche Wohnkosten bis zu durchschnittlich 500 DM monatlich für eine Einzelperson übernommen. Das Existenzgeld ersetzt zunächst Sozialhilfe, Asylbewerberleistungsgesetz, Arbeitslosenhilfe, Kindergeld, Erziehungsgeld und BaföG. Einkommen aus Renten, Pensionen und Arbeitslosengeld werden in die "Take-half"-Regelung eingebunden. Das Existenzgeld ist bundesfinanziert durch den bisherigen Teil des Steueraufkommens für soziale Transferleistungen, die bisherigen Sozialversicherungsbeiträge und die zukünftige zweckgebundene Existenzgeld-Abgabe von 50% ("Take-half") auf Nettoeinkommen jeglicher Höhe. Einzelne Steuerarten sind einzuführen bzw. neue festzusetzen – z.B.: Spekulationsgewinnsteuer, Kapitalexportsteuer, Erbschaftssteuer usw.(BAG der Sozialhilfeinitiativen 2000, S. 53/54)

Nicht nur das die BAG-SHI in  minutiöser Kleinarbeit nachweisen konnten, das es eine Finanzierungsgrundlage für ein Existenzgeld durch eine Umschichtung des Steuereinkommens, der Sozialversicherungsbeiträge sowie der "Take-half"-Regelung und neuer Steuerfestsetzungen auch unter kapitalistischen Vorbedingungen gibt. Sie präsentierten auch ein eigenes Umverteilungskonzept von oben nach unten, die Take-half-Regelung, eine 50%ige zweckgebundene Abgabe für alle.

Beispiel:

Eine Person, die jetzt 1000 € netto hat (egal ob Lohneinkommen, Kapitalerträge oder Leistungsentgelte) würde dann 500 € "Take-half" abgeben. Zu den verbleibenden 500 € kommen 800 € Existenzgeld, was 1300 € ergibt. Wer mehr verdient, hat dann weniger zur Verfügung und wer weniger verdient wiederum mehr.

Ob trotz dieses Nachweises die Realisierungschancen unter vorhandenen kapitalistischen Bedingungen gewachsen sind, ist zu bezweifeln. Es braucht wohl noch einige Bewusstseinssprünge und soziale Bewegungen bis die Gesellschaftsform erreicht werden kann, von der auch Karl Marx träumte: „Eine Gesellschaft, die mir möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ (MEW 3, S.33)

 

 

 

Literatur:

Anders, G.: Die Antiquiertheit des Menschen, Band 2, München 1987

BAG der Sozialhilfeinitiativen (Hg.): Existenzgeld für Alle, Neu-Ulm 2000

Baudrillard, J.: Die fatalen Strategien, München 1985

BDKJ (Hg.): Vision für eine gerechtere Gesellschaft, Düsseldorf 2003

Bundesarbeitsgruppen der Initiativen gegen Arbeitslosigkeit und Armut (Hg.): Existenzgeld. 10 Positionen gegen falsche Bescheidenheit und das Schweigen der Ausgegrenzten, Frankfurt 1996

Giarini, O./Liedtke, P.M.: Wie wir arbeiten werden, München 1997

Gorz, A.: Arbeit zwischen Misere und Utopie, Frankfurt 2000

Grottian, P./Narr, W.-D./Roth, R.: Sich selbst eine Arbeit geben, Alternativen zur Repressanda 2010, in: Frankfurter Rundschau 29.11.2003

Hirsch, J.: Eine soziale Infrastruktur ist notwendig, in: arranca, 29, 2004

Marx, K.: Deutsche Ideologie, MEW 3

Opielka, M.: Grundeinkommen statt Hartz IV, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 9, 2004

Opielka, M.: Die Qualität der Quantität, in: Kommune, Heft 4, 2004a

Welter, R.: Solidarische Marktwirtschaft durch Grundeinkommen, Aachen 2003