Bundesarbeitsgemeinschaft der
Sozialhilfeinitiativen (BAG SHI) (Hrsg.)
Antworten auf die Krise des Sozialen
AG SPAK Bücher
89233 Neu-Ulm
1. Auflage 2000
ISBN 3-930830-14-0
Mit der Armut ist es eine seltsame Sache.
Tatsache ist, dass die Betroffenen ziemlich genau wissen,
wie es ist und was es heißt, arm zu sein. Sie machen dies am frei verfügbaren
Einkommen fest, an den kulturellen Ausgrenzungen und solchen im sozialen und
Bildungsbereich, sowie den Einschränkungen hinsichtlich ihrer Mobilität. Die
Sozialhilfe reicht zum Überleben, nicht zum Leben. Kommunikation über Internet
ist für sie eine Illusion, an ein Auto ist nicht zu denken, es reicht nicht für
einen Urlaub und selbst die Monatskarte für den Nahverkehr wird
unerschwinglich. Geld zurücklegen für langfristige Anschaffungen? Fehlanzeige!
Gesundheitsversorgung und -vorsorge: Mangelhaft! Überzogene Ansprüche? Nein,
das entspricht dem sozialen und kulturellen Minimum - sagen wir.
Armut hat viele Gesichter: Arm sind heute alle, die
Sozialhilfe bekommen, viele, denen sie aus welchen Gründen auch immer
verweigert, versagt und gekürzt wird, fast alle Arbeitslosengeld- und
ArbeitslosenhilfebezieherInnen, viele prekär Beschäftigte und
NiedriglohnbezieherInnen, auch diejenigen in staatlichen Maßnahmen,
Alleinerziehende und deren Kinder. Aber kaum jemand bezeichnet sich selbst gern
als arm, auch aus Angst, dann stigmatisiert zu werden.
Dabei ist Armut ein Bestandteil der Gesellschaftsform
Kapitalismus und das nicht erst, seit das Wort „Globalisierung" Mode
wurde. Meist ist Armut keine vorübergehende Erscheinung, sie bestimmt die
Biographie von Menschen, und das oft über Generationen hinweg. Wer die Obdachlosensiedlungen,
die Stadtrandsiedlungen, die armen Stadtteile in Berlin, Hamburg oder
Frankfurt/Main kennt, weiß, wie und wo sich Armut manifestiert.
Wir meinen: Es reicht. Über Armut zu diskutieren ist
wichtig, einen Armutsbericht zu erstellen auch, aber noch wichtiger ist ein
Existenzgeld. Damit eröffnet sich eine Möglichkeit, Armut zu beseitigen. Keiner
wird dabei reich, aber Notlagen werden beseitigt.
Die BAG-SHI hat zur Erstellung der konkreten Forderung
ganz pragmatisch zunächst definiert, was ein Mensch unbedingt braucht und
daraus das Existenzminimum errechnet.
Wenn alle, nicht nur die Armen, Existenzgeld bekämen,
dann rückt in der Tat die Möglichkeit, Armut langfristig zu beseitigen, in
greifbare Nähe. Allerdings müsste dieses Existenzgeld ergänzt werden durch
billigen Wohnraum, Bildung für alle, freie Gesundheitsversorgung, Zugang zu
kulturellen Einrichtungen und Mobilität - unsere Mindestforderungen an das, was
früher parteiübergreifend Sozialstaat hieß und heute parteiübergreifend unter Beschuss
steht. Es ist ein Beitrag für einen europäischen Sozialstaat. Die Beseitigung
von Armut und jeder Schritt in diese Richtung ist ein Schritt in Richtung einer
demokratischen und sozialen Gesellschaft.
„Eine wirklich demokratische
Politik muss sich die Möglichkeit eröffnen, der Wahl zwischen zwei Übeln zu
entgehen, nämlich einerseits der technokratischen Arroganz, die Menschen zu
ihrem Glück zwingen zu wollen, und andererseits der demagogischen Kapitulation,
die die Regeln des Marktes und die Sanktion der Nachfrage einfach hinnimmt....“
(P. Boudieu, Post-Scriptum zu „Das Elend der Welt“, deutsche Fassung, Konstanz
1997, S. 824).
Ein Weg dorthin ist das
Existenzgeld.
Thesen zum Existenzgeld (21)
1. Ein Existenzgeld, das die
Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum sichert, steht allen Personen, die
dauerhaft in der BRD leben, unabhängig von Nationalität und Aufenthaltsstatus,
in gleicher Höhe zu - ohne Unterhaltspflicht, ohne Bedürftigkeitsprüfung, ohne
Arbeitszwang.
2. Das Existenzgeld ist eine
bedarfsorientierte Grundsicherung, festgesetzt auf 1.500 DM monatlich incl. 200
DM für die gesetzliche Krankenversicherung und wird dynamisiert. Das
Existenzgeld ist unpfändbar.
3. Zusätzlich zum Existenzgeld
werden tatsächliche Wohnkosten bis zu durchschnittlich 500 DM monatlich für
eine Einzelperson übernommen. Regionale Unterschiede, Mietspiegel sowie
angemessene Wohnungsgröße sind zu berücksichtigen. Kommunale Wohngeldämter
müssen einen angemessenen Beitrag zu diesen Kosten leisten. Dies hält sie zu
einer aktiven Wohnungspolitik an.
4. Bedarfe, die sich aus
besonderen Lebenslagen ergeben (z.B. Krankheit, Behinderung usw.), werden vom
Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) gedeckt.
5. Der Individual-Anspruch auf
das volle Existenzgeld für jedes Mitglied einer Lebensgemeinschaft entschärft
finanzielle Abhängigkeitsverhältnisse, bewirkt insofern einen emanzipatorischen
Effekt, verhindert Kinderarmut und beinhaltet das Recht auf eigenständige
Absicherung von Geburt an.
6. Das Existenzgeld ist unsere
Antwort auf die Verknappung von existenzsichernder und sinnvoller
Erwerbsarbeit, die ohne Arbeitszwang und unabhängig von der Verwertung der
Arbeitskraft konzipiert ist.
7. Das Existenzgeld ist ein
Mittel, die Diskriminierung, Disziplinierung und Spaltung unterer
Einkommensschichten aufzuheben und untrennbar verknüpft mit dem Recht auf
Erwerbsarbeit bei gesetzlich garantiertem Mindeststundenlohn.
8. Das Existenzgeld ersetzt
zunächst Sozialhilfe, Asylbewerberleistungsgesetz, Arbeitslosenhilfe,
Kindergeld, Erziehungsgeld und BAföG. Einkommen aus Renten, Pensionen und
Arbeitslosengeld werden in die „Take-half“-Regelung eingebunden.
9. Das Existenzgeld ist
bundesfinanziert durch:
a) den bisherigen Teil des
Steueraufkommens für soziale Transferleistungen,
b) die bisherigen
Sozialversicherungsbeiträge und
c) die zukünftige
zweckgebundene Existenzgeld-Abgabe von 50%(„Take-half“) auf Nettoeinkommen
jeglicher Höhe.
Einzelne Steuerarten sind
einzuführen bzw. neu festzusetzen – zum Beispiel: Spekulationsgewinnsteuer,
Kapitalexportsteuer, Erbschaftsteuer usw.
10. Das Existenzgeld ist ein
Instrument der gerechten Verteilung des Reichtums und der Abschaffung der
Armut. Es ermöglicht für alle Menschen ein hohes Maß an Solidarität. Dies birgt
zwar die Hoffnung auf eine zukünftige internationale Politik gegen Ausbeutung,
Diskriminierung und ökologischen Raubbau, die Diskussion hier und heute muss
sich jedoch auf unsere nationalen und europäischen Gegebenheiten beschränken.
In der Beschlussfassung der Bundestagung der BAG-SHI (Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen) vom 23. Mai 1998 in Erfurt
Ein Lied geht durch Europa
Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
und Zuckererbsen nicht minder.
(Heinrich Heine, aus: „Deutschland. Ein
Wintermärchen")
Ein Lied geht durch Europa. Ein Lied über ein Einkommen
für alle, Mann, Frau oder Kind, egal ob man in dem Land, in dem man lebt und
dieses Einkommen bezieht, auch geboren ist. Die Deutschen nennen es Existenzgeld, die Spanier Reinta basica, die Engländer Basic income ......
In Deutschland sollen alle Menschen 1500 DM Existenzgeld
und einen angemessenen Betrag für die Miete bekommen - unabhängig von
Nationalität, Geschlecht, Alter und Familienstand. Dies ist die Antwort der von
Ausgrenzung und Armut Betroffenen auf eine Gesellschaft, die immer mehr
Menschen vom gesellschaftlichen Reichtum ausschließt. Seit Anfang der Achtziger
Jahre ist die existentielle Sicherung der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet.
Das soziale Sicherungssystem ist auf Vollbeschäftigung ausgerichtet und greift
nicht bei Massenarbeitslosigkeit. Folglich verarmen immer mehr Menschen,
während einige wenige sich fast alles leisten können.
Betroffen sind nicht nur einzelne Bevölkerungsgruppen,
das weltweite Wirtschaftssystem verhindert die notwendige Umverteilung der
erwirtschafteten Reichtümer von oben nach unten. Profitmaximierung bedeutet
alles, der einzelne Mensch nichts. So wissen Einige nicht mehr, wo sie ihre
Milliarden noch investieren sollen, während die anderen nicht wissen, mit was
sie die Schultüte ihrer Kinder füllen sollen. Um diesen menschenunwürdigen
Zustand der Armut abzuschaffen, wurde dieses Konzept zur Existenzsicherung
durch eine vernünftige Umverteilung der vorhandenen Mittel entwickelt. Wir
sehen es als einen ersten Schritt hin zu einer besseren Zukunft, frei von
Ausbeutung und Unterdrückung.
Unser grundlegendes Ziel die Abschaffung jeder Armut
müssen wir auch ohne Vollbeschäftigung im herkömmlichen Sinne erreichen.
Finanziell ist dies beim steigenden Wohlstand trotz hoher Arbeitslosigkeit
machbar. (22) Erreicht werden kann dies durch das hier vorgestellte
"Take-half"-Konzept. Mit der Hälfte aller Nettoeinkommen kann ein
Existenzgeld für jede/n - egal ob reich oder mittellos - finanziert werden.
Im Überangebot der Ware „Arbeit" am Markt liegt die
Ursache für Arbeitslosigkeit. Solange sich der Arbeiter die für seine
Reproduktion notwendigen Lebensmittel (nicht nur Speisen und Getränke) nicht
unabhängig von der Lohnarbeit verschaffen kann, wird er seine einzige Ware,
seine Arbeitskraft, auch bei weiter sinkenden Preisen anbieten müssen. Das
Existenzgeld befreit den Menschen von diesem Zwang. (23)
Mit dem Existenzgeld wird das Ende sinnentleerter Arbeit
eingeleitet. Niemand muss seine Arbeitskraft länger um jeden Preis am Markt
anbieten. Mit der Entkopplung von Lohnarbeit und Einkommen werden sich auch
wesentliche Lebensbereiche verändern. Zwang zur Arbeit, wie er in unserer
Gesellschaft existiert, wird es nicht mehr geben. Damit das Existenzgeld nicht
als Argument für weiteres Lohndumping herhalten muss, ist ein gesetzlich
festgeschriebener Mindeststundenlohn aber unbedingte Voraussetzung.
Erwerbsarbeit muss sich finanziell lohnen! In Verbindung mit dem Existenzgeld
treten wir für ein Recht auf Erwerbstätigkeit ein, damit niemand, der
Erwerbsarbeit leisten will, davon ausgeschlossen wird. Wir gehen davon aus,
dass jedem Menschen ein inneres Motiv zum Tätig-Sein eigen ist.
Mit der protestantischen Arbeitsethik (24) bricht das
Existenzgeld-Konzept radikal. Arbeit wird freiwillig aus dem Bedürfnis heraus
geleistet, tätig zu sein. Damit eröffnen sich auch für viele Erwerbstätige neue
Möglichkeiten, es wird vorstellbar, nicht mehr 40 Stunden plus 20 Überstunden pro
Woche zu arbeiten, (25) sondern stattdessen:
- 25 Stunden pro Woche oder in Teilzeit zu arbeiten
- am Job-Sharing mitzumachen
- sich
auch einmal ein Sabbat-Jahr, also ein Jahr unbezahlten Urlaub zu gönnen
-
ehrenamtlich, sprich unbezahlt zu arbeiten
- sich
selbst um Kranke und Alte im Freundeskreis oder in der Familie zu kümmern
- zu
studieren oder sich weiterzubilden, ohne dafür reiche und wohlgesonnene Eltern
haben zu müssen
Ein Existenzgeld ist also ein Garant für die
grundgesetzlich garantierte persönliche Freiheit jedes Individuums. Jeder
Mensch kann seinen Lebensweg künftig frei gestalten, ohne Bedrohung seiner
materiellen Existenz. Wenn wir alle das Existenzgeld bekommen, wird all dies
gelebte Wirklichkeit sein.
Durch das Existenzgeld wird es auch keine „arbeitenden
Armen" (working poor) mehr geben, denn wer wird für einen Hungerlohn
knechten, wenn er ein Existenzgeld bekommt. Der gesetzlich garantierte
Mindestlohn setzt der Ausbeutung zusätzliche Grenzen. Der von BDI und
Arbeitgebern zur Zeit geforderte Kombilohn (ein Hungerlohn aus
„geringfügigem" Beschäftigungsverhältnis plus niedriger Sozial- oder
Arbeitslosenhilfe) wird hinfällig - niemand wird länger zu solch entwürdigenden
Bedingungen arbeiten müssen. Bestehende Tarifverträge können - wenn überhaupt -
dann nur noch mit großen Schwierigkeiten ausgehebelt werden. Das Existenzgeld
schafft auch hier materielle Sicherheit. Bei Arbeitskämpfen drohen nicht mehr
der Hungerturm und die Pleite der Gewerkschaftskasse, sondern lediglich das
Los, eventuell für einige Monate alleine vom Existenzgeld leben zu müssen. So
kann niemand mehr durch Aussperrung oder Entlassung eingeschüchtert werden. Die
Arbeiter werden weniger erpressbar und können leichter ihre Situation in den
Betrieben verändern und sind damit auch in der Wahl ihrer Aktionen freier.
Das Existenzgeld ersetzt die Sozialhilfe inklusive der
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die Arbeitslosenhilfe, das
Kindergeld, das Erziehungsgeld, das BAföG und Ausbildungsbeihilfen.
Das Existenzgeld für jeden wird auch die menschlichen
Beziehungen verändern, die all zu oft mehr durch ökonomische Zwänge als von
gegenseitiger Zuneigung geprägt sind. Dann kann jeder Mensch die
LebenspartnerIn frei wählen und ihn/sie auch wieder verlassen. Ökonomische
Abhängigkeit ist oft das einzige, das Jugendliche an die Herkunftsfamilie
fesselt, auch sie können dann frei entscheiden. Kinderarmut mit all ihren
negativen sozialen, medizinischen und entwicklungspsychologischen Folgen wird
verschwinden. Existenzgeld wirkt der Vereinzelung entgegen, denn
Lebensgemeinschaften stehen dann besser da als Singles. Wenn vier Menschen
zusammenleben, verfügen sie über 6000 DM zuzüglich eines angemessenen
Mietezuschusses sowie der Hälfte ihres Nettoeinkommens. Davon lässt sich ein
menschenwürdiges Leben bezahlen.
So können jetzt auch Tätigkeiten aufgenommen werden, die
bisher nicht möglich waren. Wenn jemand Musiker werden will, wird er nicht
länger durch Arbeitszwang am Üben gehindert. Niemand wird mehr auf ein Studium
verzichten müssen, weil er/sie es sich nicht leisten kann. Die Geißel der
Armut, die so ungeheuer viel intellektuelles und künstlerisches Potential
verkümmern lässt, wird niemanden mehr treffen.
Wie Existenzgeld das Leben der Menschen verändern kann,
zeigen die folgenden Beispiele.
Beispiel 1: Frau Krause lebt mit zwei Kindern allein. Ihr
getrennt lebender Ehegatte zahlt weder für sie noch für ihre Kinder Unterhalt.
Er akzeptiert die Trennung nicht und will, dass sie zu ihm zurück kommt. Das
Sozialamt an ihrem Wohnort weigert sich zunächst, Sozialhilfe zu zahlen, da die
Unterhaltspflicht des Mannes vorrangig in Anspruch genommen werden muss. Sie
legt Widerspruch gegen diese Entscheidung des Sozialamtes ein. Bis zur
Durchsetzung ihres Anspruchs auf Sozialhilfe ist sie auf Almosen ihrer
Angehörigen angewiesen, die sie drängen, doch um der Kinder willen zu ihrem sie
prügelnden Ehegatten zurück zu gehen.
Mit dem Existenzgeld fällt zumindest dieser ökonomischen
Zwang weg. Frau Krause würde 1500 Mark, jedes Kind noch einmal 1500 DM
Existenzgeld bekommen. Zusammen würden sie dann über 4500 DM und die Mietkosten
für eine angemessene Wohnung verfügen. Angemessen ist der Wohnraum, wenn jeder
Mensch ein eigenes Zimmer hat und daneben eine Küche, ein Bad, ein gemeinsamer
Wohnraum, Keller und Abstellräume zur Verfügung steht. So gäbe es wenigstens
keinen ökonomischen Druck, der Frau Krause zwingen könnte, zu ihrem Ehegatten
zurückzukehren.
Beispiel 2: Der Facharbeiter Karl Müller-Schulze arbeitet
bei Opel in Bochum. Er ist verheiratet und hat zwei schulpflichtige Kinder.
Seine Frau arbeitet als Verkäuferin auf 630-Mark-Basis. Herr Müller-Schulze
verdient monatlich netto 5000 Mark, er muss also 2500 DM in den
Existenzgeldfonds einzahlen und bekommt aus ihm heraus 1500 Mark. Sein Einkommen
beträgt dann also 4000 Mark. Seine Frau zahlt 315 DM in den Existenzgeldfonds
ein, sie erhält aber 1500 DM Existenzgeld, so dass ihr Einkommen nun 1815 DM
beträgt. Daneben erhält jedes Kind 1500 Mark. Betrug das Familieneinkommen vor
Einführung des Existenzgeldes 5630 Mark, so kommt die Familie jetzt auf 1500 +
1500 + 1815 + 4000 = 8810 Mark, außerdem erhält sie für ihre Wohnung einen
Mietzuschuss. Sollte Frau Müller-Schulze - aus welchen Gründen auch immer -
sich aus ihrer Beziehung lösen wollen, schafft das Existenzgeld die materielle
Basis, frei zu entscheiden, wie und mit wem sie leben möchte. Auch die Kinder
können - sofern nicht andere Gesetze dem entgegenstehen, also ab dem
sechzehnten Lebensjahr - frei entscheiden, mit wem sie leben wollen.
Beispiel 3: Ehemed Sharif ist aus einem Krisengebiet in
die BRD geflohen. Wegen Mitgliedschaft in einer regierungsfeindlichen
politischen Gruppe droht ihm in seiner Heimat der Tod. Er hat politisches Asyl
beantragt und geäußert, dass er dauerhaft in der BRD wohnen will. Bis zum
Abschluss seines Asylverfahrens erhält er eine Duldung. Als Existenzgrundlage
bekommt er dann 1500 DM und die Miete für eine Einraumwohnung. Mit dieser
materiellen Absicherung ist er nun in der Lage, sich in Ruhe auf sein neues Leben
in einem für ihn fremden Kulturkreis vorzubereiten.
Beispiel 4: Stefan K. ist einer der Erben des
Familienvermögens. Er bezieht daraus ein monatliches Einkommen in Höhe von
100.000 DM. Davon muss er 50.000 DM in den Existenzgeldfonds einzahlen. Neben den
ihm verbleibenden 50.000 DM bekommt er zusätzlich wie jeder andere Mensch 1500
DM Existenzgeld.
Gegen Kinderarmut
Das Existenzgeld schafft Kinderarmut ab. Jedes Kind
bekommt 1500 DM Existenzgeld, unabhängig vom Alter. Das Existenzgeld ersetzt
dann aber Kinder- und Erziehungsgeld und den Mehrbedarf für Alleinerziehende.
Dieser altersunabhängige Betrag wird Kinderarmut mit all ihren negativen
sozialen, medizinischen und entwicklungspsychologischen Folgen verhindern und
Zeichen setzen für gesellschaftliche Wertvorstellungen. Ein übermäßiger
„Babyboom" ist nicht zu erwarten, da Prioritäten der persönlichen
Lebensgestaltung (Konsum, Freizeit, Individualismus) sich kurzfristig und/ oder
grundlegend kaum ändern werden. Und auch der Einwand, dass es sich dann ja
lohne, Kinder in die Welt zu setzen, unterstellt Frauen, dass sie des Geldes
wegen gebären würden. Jugendliche sind von der ökonomischen Abhängigkeit, die
oft das Einzige ist, das sie noch an die Herkunftsfamilie fesselt, befreit. Die
ersatzlose Streichung der bisher üblichen Bedürftigkeitsprüfung ist eine
Konsequenz des Individualanspruches auf das Existenzgeld für alle und beendet
die Praxis des erniedrigenden Zwanges, schon bei kleinen Barschaften alles
angeben zu müssen und auf Grund niedriger Freibeträge Zukunftsperspektiven zu
verlieren.
Heutzutage sind Kinder von Menschen mit geringem
Einkommen gegenüber den Kindern von Normal- und Gutverdienern in vielerlei
Hinsicht benachteiligt. Von allen Aktivitäten, die nicht ganz billig sind, sind
sie ausgeschlossen. Damit sind Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder aus armen
Familien stark eingeschränkt und die altersgemäße Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben nur bedingt möglich. So können diese Kinder kaum
Mitglied in einem Sportverein werden, ein Musikinstrument erlernen, die Schule
frei wählen (z.B. private schulgeldpflichtige Schulen), ein hierfür benötigtes
Sportgerät oder Musikinstrument anschaffen oder auch einen Computer.
Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen:
- Familie B. lebt vom
Arbeitslosengeld des Mannes in Höhe von 1900 DM und ergänzender Sozialhilfe.
Die Familie hat zwei schulpflichtige Söhne. Der älteste Sohn verlässt trotz
guter Schulleistungen das Gymnasium, weil er mit den Konsumwünschen
Gleichaltriger nicht mithalten kann. Mit Existenzgeld ständen der Familie 6950
DM zu Verfügung.
- Frau C. lebt als
Alleinerziehende mit zwei Kindern von Sozialhilfe. Das älteste Kind wünscht
sich ein Fahrrad, für welches das Sozialamt nicht aufkommt. Da das Fahrrad von
der Hilfe zum Lebensunterhalt nicht gekauft werden kann, muss das Kind darauf
verzichten. Bei Einführung des Existenzgeldes müsste selbst ein gutes Fahrrad
nicht mehr geklaut werden.
Die Einführung des Existenzgeldes beendet Kinderarmut und
schafft materielle Sicherheit. Jedes Kind lernt frühzeitig zu entscheiden, was
es möchte. Es eröffnen sich damit Entwicklungsmöglichkeiten, die bisher für
Kinder aus Familien mit geringem Einkommen undenkbar waren.
Der individuelle Anspruch auf Existenzgeld beendet die
bestehende Unterhaltspflicht. In Gemeinschaften - gleich welcher Art - hat jede
Person ihren Anspruch auf Existenzgeld, insofern hat dieses Konzept einen
emanzipatorischen Aspekt. Finanziellen Abhängigkeiten wird so die Spitze
genommen. Hausarbeit wird „bezahlt", egal von wem sie geleistet wird. Mit
der 50prozentigen Einkommensabgabe wird insofern auch das Existenzgeld der
erwerbslosen Gesellschaftsmitglieder finanziert und die Kinderlosen beteiligen
sich durch ihre Abgabe daran, den Kindern und Jugendlichen Chancen zu eröffnen.
Zwang
zur Arbeit - Nein danke / Existenzgeld - ja bitte!
Menschliche Arbeit geschieht immer in gesellschaftlichem
Zusammenhang, insofern kann der Begriff Arbeit nur gesellschaftlich betrachtet
werden. Arbeit umfasst nach unserem Verständnis sämtliche Lohnarbeit, aber auch
die ehrenamtlich geleistete und die Erziehungsarbeit.
Darunter
fallen auch Phasen der Qualifizierung, zumal wenn sie im institutionellen
Rahmen stattfinden wie in der Schule, der Universität und bei Maßnahmen der
Fort- und Weiterbildung. Arbeit ist auch mit physischem oder psychischem Stress
verbunden. Eigenarbeit, Nachbarschaftshilfe, Hobbys, Muße und kulturelle
Aktivitäten nennen wir „Tätigkeit".
Oftmals
sind die Grenzen fließend und müssen im Einzelfall gezogen werden. Gefährlich
in diesem Zusammenhang ist es allerdings, wenn beispielsweise
Nachbarschaftshilfe zur Pflichtarbeit werden soll, wie es der Soziologe Ulrich
Beck fordert.
Die uns immer wieder entgegen gehaltene Behauptung: „Wenn
Existenzgeld gezahlt wird, dann geht niemand mehr arbeiten", setzt die
Motive der Kritikerinnen nach Freizeit, die aus zuviel Arbeit, dem Mangel an
Muße usw. gespeist werden, mit den Motiven der jetzigen Gesellschaft gleich.
Damit wird jedem unterstellt, er/sie würde nach Einführung des Existenzgeldes
erst einmal „blau machen". Das ist aber nur eine Reaktion auf den Mangel
an selbstbestimmter Zeit. Erst wenn der Stress, möglichst viel fremdbestimmt zu
arbeiten, abgebaut ist, kann mensch sich auch wieder positiv für die Arbeit
entscheiden.
Eine landläufige Behauptung wie: „Deshalb muss das
Angebot von Arbeitsmöglichkeiten immer auch mit dem Zwang zur Arbeit gekoppelt
werden", übersieht, dass es in dieser Gesellschaft schon einen Zwang zur
Arbeit gibt. Dies ist der Zwang, sich selbst die Mittel zum eigenen Unterhalt,
also Subsistenzmittel, zu erwirtschaften und Geld zu verdienen.
Manche Menschen können diesem Zwang vielleicht zeitweise
entfliehen und dies als „große Freiheit" ansehen, allerdings immer unter
dem Verlust materieller Sicherheit. Damit erzeugen sie wiederum den Neid
derjenigen, die andere dann wiederum zwanghaft zum Arbeiten bringen wollen. Was
uns aber in dieser Gesellschaft immer als Zwang zur Arbeit verkauft wird, das
ist vor allem der Zwang zur Lohnarbeit, zur Aufnahme unterbezahlter, unbefriedigender,
schlechter Jobs anstatt befriedigender Arbeit.
Nebenbei bemerkt, ist dieser staatliche Zwang zur Arbeit
gesellschaftlich gesehen immens ineffektiv. Dieser Zwang muss durchgesetzt
werden und ist immer mit einem sehr starken Kontrollmechanismus gekoppelt, der
in Betrieb und Verwaltung die Vorgesetzten, die Meister, Kontrolleure usw.,
außerhalb des Betriebs die Arbeitsämter, Sozialämter usw. umfasst. All diese
Kontrollmechanismen können beim Existenzgeldkonzept größtenteils wegfallen und
würden ersetzt durch freiwillige Arbeit. Die Arbeit, die für Kontrolle verwandt
wird, kann gesellschaftlich sinnvoller verwandt werden.
Eine wesentliche Änderung, die durch ein verwirklichtes
Existenzgeldkonzept hervorgerufen wird, ist die Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen
Arbeiten. Ein weiterer Zwang ist übrigens auch damit verbunden: Der Zwang, dass
die gesamte Gesellschaft sich selber reproduzieren muss, d.h. dass es auch
immer ein gewisses Maß an notwendiger Arbeit gibt, die sich in ihrem Charakter
von anderen Tätigkeiten wie Muße, Freizeit etc. unterscheidet. Weil dieser
Zwang existiert, brauchen wir auch nichts weiter dazu in den Sozialgesetzen.
Eine wesentliche Änderung ist nach der Einführung des
Existenzgeldes, dass dann Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Arbeiten
geschaffen werden.
Das Existenzgeld ist ein Anreiz, Arbeit zu übernehmen,
gerade weil eine Einkommensbasis schon vorhanden ist. Der Druck auf dem
Arbeitsmarkt (jede/r verdrängt jede/n) wird entfallen und die Konkurrenz
zwischen Erwerbslosen und Arbeitenden wird aufgehoben. Des Weiteren kann davon
ausgegangen werden, dass neue, attraktive Jobs einfacher geschaffen werden
können. Und es ergäbe sich die Chance, das Was, Wie und Warum der
gesellschaftlichen Produktion neu zu diskutieren.
Für Teilzeitarbeit und für zeitweises/stundenweises
Arbeiten ist im übrigen die Einführung eines Mindeststundenlohns Voraussetzung.
Außerdem gilt auch hier das Prinzip: Existenzgeld und „Take-half."
Das Existenzgeld gibt jedem Menschen in diesem Lande die
Freiheit, ohne Armut leben zu können. Diese Befreiung von Armut wird durch eine
radikale Umverteilung von oben nach unten erreicht. Mit der Einführung des
Existenzgelds wird sich das Leben der Menschen langsam verändern. Jede Form von
Lebensgemeinschaft steht mit dem Existenzgeld besser da, als Alleinwohnende
dies tun. Gleichzeitig schafft das Existenzgeld die Voraussetzung dafür, dass
Menschen sich frei von ökonomischen Zwängen entscheiden können, wie sie leben
wollen. Welche Lebensweise sie dann tatsächlich wählen, ob sie Hetero-, Homo-,
Familien- oder WG-Strukturen entwickeln werden oder lieber allein leben wollen,
wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass das Existenzgeld für die Mehrzahl der
Menschen die Voraussetzung schafft, unabhängig von ökonomischem Zwang sich für
Gemeinschaften zu entscheiden, die dadurch erreichte hohe individuelle Freiheit
ermöglicht erst eine sehr bewusste und gezielte Entscheidung. Gleichzeitig wird
dadurch auch dem Rassismus und sozialem Neid eine wichtige Basis entzogen.
Höhe des Existenzgeldes
Bei allen Konzepten einer sozialen Grundsicherung
richtet jede/r das Augenmerk zunächst auf die Höhe der Leistung. Was soll dabei
denn herauskommen?
Grafikinhalt:
(BRAIN e.V. Berlin)
Bedarfs-Säulen für 1500 DM
monatlich (Stand Mai 1998)
Energie 75 DM + Ernährung und
Dinge des täglichen Bedarfs 500 DM = 575 DM
Gesetzliche Krankenversicherung
200 DM + Gesundheit 50 DM = 250 DM
Mobilität 100 DM + Urlaub 125
DM + Soziales ( Kommunikation, Kultur, Sport, Hobbys, Bildung, ...) 200 DM =
425 DM
Instandhaltung 100 DM +
Bekleidung 150 DM = 250 DM
575 + 250 + 425 + 250 DM = 1500
DM
Mieten und Heizkosten sind im Existenzgeld nicht
enthalten, da es sich bei diesen Posten um variable Aufwendungen handelt (siehe
dazu Seite 65f).
Zwei grundverschiedene Herangehensweisen bieten sich für
die Definition des Betrags an, der in diesem Land eine menschenwürdige Existenz
der Bürgerinnen gewährleisten soll: Entweder es wird der „Bedarf"
erforscht, oder das durchschnittliche Einkommen verschiedener Gruppen von
Menschen werden zum Vergleich herangezogen und hieraus errechnet sich dann im
arithmetisches Verhältnis das Existenzminimum.
Bestes Beispiel der Variante 1 ist die klassische
Warenkorb-Definition der früheren Regelsatzberechnung. Hier werden ganz
akribisch Produkte des täglichen Bedarfs, ebenso wie zur Deckung
sozio-kulturellen Bedürfnisse in einem fiktiven Korb gesammelt, mit aktuellen
Preisen versehen und dann zusammengerechnet. Bei den dafür zuständigen
Expertinnen - liebenswürdig auch als „Erbsenzähler" bekannt - konnte man
dann erfreut nachlesen, dass sich der wissenschaftlich fundierte Bedarf für
Toiletten-Hygieneartikel auf monatlich 3,60 DM belief, was zwar nicht zu
blütenweißem Klopapier, aber doch zu Spaß an Stilblüten reichte.
Demgegenüber steht beispielsweise die europäische
Armutsdefinition, die jede/n als arm und daher subventionsbedürftig hält,
dessen Einkommen weniger als die Hälfte des durchschnittlichen
Erwerbseinkommens beträgt. Auch die Kopplung der Regelsätze an die Entwicklung
der Renten oder das Lohnabstandsgebot zu den unteren Lohngruppen sind
vergleichbare Beispiele dafür, wenn von oben festgesetzt, statt von unten
gerechnet wird.
Da das Bedarfsdeckungsprinzip des
Bundessozialhilfegesetzes aber weiterhin Bestand hat, kommt es zu gar lustigen
Verrenkungen, wenn gleichzeitig ein offiziell noch nicht gekipptes
Statistik-Warenkorbmodell legitimiert und andererseits die Regelsätze im
fiskalischen Interesse gedeckelt werden sollen. Es bedarf also differenzierter
Bedarfsdefinitionen, die nicht wirklich abfragen, wie viel Menschen monatlich
wofür ausgeben, sondern lediglich den Bedarf ermitteln, den Menschen mit
geringem Einkommen benötigen. Wenn man dann allerdings erst gar nicht
ermittelt, wieviel Menschen mit Niedrigeinkommen für ihren Urlaub ausgeben,
weil man davon ausgeht, dass sie sich den ja gar nicht leisten können, dann
vereinfacht sich die Rechnung zwar problemlos, aber mit der Beschneidung der
Bedürfnisse qua Verwaltung ist niemandem gedient.
In einer zunehmend auf das Individuum fokussierten,
atomisierten, anonymisierten und hochgradig mobilen Gesellschaft ist es
unerlässlich, von Definitionen Abschied zu nehmen, die den Bedarf von Gruppen -
etwa nach Alter, Ethnie, Wohnbereich oder gar Klasse - errechnet. Das Bedürfnis
etwa nach Freizeitgestaltung und Mobilität hätte sich noch vor zehn Jahren
nicht zwingend in die Definition einer der Würde des Menschen entsprechenden
Lebensführung eingereiht, heute ist das als gesellschaftlicher Konsens
anzusehen. Auch die explosive Expansion des Angebots neuer Medien und
Kommunikationsmöglichkeiten schafft einen Nutzungsbedarf in allen
Einkommensschichten, der die Diskussion um die Frage, ob
SozialhilfebezieherInnen ein Fernsehgerät bewilligt werden sollte, zu einer
anachronistischen Komödie macht.
Als wir unsere Existenzgeldforderung erarbeitet haben,
wurde lange darüber gestritten, ob und wie die Höhe des Betrags begründet
werden soll - wissenschaftlich, politisch oder einfach launisch. Wir haben uns
ganz pragmatisch darauf geeinigt, von der Praxis unserer Existenz als
SozialhilfebezieherInnen und Erwerbslose auszugehen. Der errechnete Bedarf
bezieht sich auf die konkreten Preise der Lebenshaltungskosten und Bedürfnisse
im Jahr 1999, dies muss sowohl hinsichtlich des Betrages als auch inhaltlich
stetig fortgeschrieben werden.
Sicherlich werden sich manche mit ihrer Realität in der
einen oder anderen Bedarfssäule nicht wiederfinden. Einigen wäre es lieber,
wenn einzelne Bedarfsposten deutlicher differenziert würden. Wieder andere
wenden ein, dass die Akkumulation der Beträge in großen Bedarfsgemeinschaften
zu „unfairem Reichtum" führen könnte.
Ihnen allen sei gesagt, dass dieses Modell Flexibilität garantiert, so kann der
eine seinem individuellen Wunsch nach mehr Kultur nachkommen, wenn er
noch auf neue Möbel verzichten kann, oder aber ein zu hoher Mobilität
gezwungener Erwerbstätiger kann diesen Anforderungen gerecht werden, wenn er
dafür gewisse Abstriche bei seiner Freizeitgestaltung in Kauf nimmt.
Jedenfalls werden wir die Armut nicht durch eine
armselige Grundsicherung abschaffen!
Kosten der Unterkunft (26)
Die Kosten für die Unterkunft sind integraler Bestandteil
der Existenzsicherung und müssen nicht nur „Bedürftigen", sondern
einkommensunabhängig allen Menschen zustehen.
Jedem Menschen sollen daher unabhängig von Alter,
Geschlecht, Ethnie oder Aufenthaltsstatus im Bundesdurchschnitt 500 DM
Wohn-Existenzgeld zur Verfügung stehen. Eine Reihe von Kriterien und
Bedingungen vereinfachen allerdings das Verfahren für die jeweiligen Kommunen,
sie regeln und relativieren diesen Betrag:
1. Ein hoher kommunaler
Mietspiegel bewirkt eine Erhöhung dieses Betrags.
2. Ein niedriger kommunaler
Mietspiegel bewirkt eine Senkung dieses Betrags.
3. Angemessene Wohnungsgrößen
sind für die jeweilige Personen (Anzahl der BewohnerInnen) festzulegen.
4. Der Betrag kumuliert also
nicht automatisch pro Kopf der Haushaltsgemeinschaft.
5. Das Wohn-Existenzgeld ist
keine Pauschale, sondern orientiert sich bei unterschreitendem Bedarf an der tatsächlichen
Warmmiete plus Nebenkosten.
6. Wohneigentum wird wie
angemieteter Wohnraum behandelt und bleibt im Erbschaftsfall bei Eigennutzung
und angemessener Größe erbschaftsteuerfrei.
Grund für diese - ach so vertraute - Deckelung, Bedarfs-
und Kostenberechnung ist die Entwicklung der Mietpreise auf dem Wohnungsmarkt.
Es steht zu
befürchten, dass bei einer Integration der Unterkunft-Kosten in das
Existenzgeld (etwa als fünfte Bedarfssäule) die Mieten rasant in die Höhe
schnellen werden. Außerdem wären die Kommunen auch kaum motiviert, eine aktive
Wohnungsbaupolitik zu betreiben, wenn sie keinen eigenen Anteil am
Wohn-Existenzgeld aufbringen müssten.
Wie
könnten diese Kriterien umgesetzt werden?
In einer Kommune A ist der Mietspiegel bei 10 DM pro Quadratmeter.
Einer Einzelperson werden 50 qm Wohnfläche zugestanden. Hat in diesem Ort nun
jemand eine 50 qm Wohnung zu 500 DM anmietet, dann werden die vollen 500 DM
erstattet. Liegt der Mietspiegel der Kommune B bei 12 DM, können 600 DM im
Monat bezahlt werden, liegt der Mietspiegel in Kommune C aber bei 8 DM, so
können hier nur 400 DM beansprucht werden. Nimmt sich eine Einzelperson hier
eine Wohnung für 750 DM, dann muss sie die übersteigende Miete selbst tragen.
Leben mehrere Menschen zusammen, dann stehen neben den
50qm Grundwohnfläche für die erste Person jedem/r weiteren 20qm Wohnfläche zu.
Wenn sich also drei Personen eine Wohnung mit 100 qm mieten, dann können sie in
Kommune A (qm = 10 DM) zusammen höchstens 900 DM beanspruchen. Liegt die tatsächliche
Miete über diesem Betrag muss sie selbst aufgebracht werden, liegt sie
darunter, dann wird nur diese faktische Miete gezahlt und keine höhere
Pauschale.
Zwei abschließende Anmerkungen zur Verdeutlichung: Die
hier gewählte Quadratmeterquote ist kein Bestandteil der Existenzgeldforderung,
sie dient nur als Beispiel, um die Berechnung zu verdeutlichen. Die angegebenen
Zahlen beziehen sich auf Warmmieten incl. Nebenkosten.
Sonderbedarfe und Beratungshilfen
Auch mit einem existenzsichernden armutsfesten
Grundsicherungsmodell, das sich auch durch Flexibilität in der Verwendung
auszeichnet, also ohne starre Festschreibung der Beträge für bestimmte Bedarfe
arbeitet, wird es zukünftig Lebenssituationen geben, in denen Menschen eine
höhere finanzielle Zuwendung durch den Staat benötigen. So trifft das
beispielsweise für Menschen mit Behinderungen und deren Assistenzbedarf zu oder
bei alten Menschen, die selbst die Heimunterbringungskosten nicht aufbringen
können. Sicherlich wird es auch immer einen Beratungsbedarf geben (zu
Existenzsicherung, Unterkunft, Kinderbetreuung, Schulden etc.), der durch eine
starke Fachbehörde abgedeckt werden muss. Traditionell fällt diese Aufgabe dem
Allgemeinen Sozialdienst zu, und dies soll auch so bleiben. Da es künftig keine
Missbrauchsschnüffelei mehr geben wird oder auch der stetige Interessenkonflikt
mit den „Zahlstellen" wegfällt, kann diese Einrichtung dann sowohl
beratende als auch finanziell aufstockende Aufgaben übernehmen.
Finanzierungsplan
Die soziale Frage ist die Frage nach dem
gesellschaftlichen Reichtum und nach dessen Verteilung, unter der Prämisse,
Armut abzuschaffen. (27) Das hier vorgeschlagene Existenzgeld-Modell ist
finanzierbar und damit grundsätzlich umsetzbar - auch wenn hier lediglich die
Dimensionen der Kosten skizziert werden, die Berechnung der Pfennig-Beträge
überlassen wir anderen. Unser Ausgangspunkt ist nicht eine der herkömmlichen
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, sondern wir entnehmen unsere Belege dem
Statistischen Jahrbuch und bringen sie in die richtige Form. Im Gegensatz zu
vorhergehenden Existenzgeld-Konzepten nennen wir eine konkrete,
bedarfsorientiert begründete und finanzierbare Höhe. (28) Die Aussage „Geld ist
genug da" ist belegbare Wahrheit, die Finanzierbarkeit desgleichen - ohne
dass notwendigerweise das gesamte marktwirtschaftliche System gekippt werden
muss.
Das Volumen der Kosten
Existenzgeld beträgt jährlich pro Person ohne Wohnkosten
18.000 DM (12 x 1.500 DM). Die Wohnbevölkerung beziffert sich auf 82 Mio. Personen,
daraus ergibt sich ein jährlicher Bedarf an Existenzgeld von 1.476 Mrd. DM
(ohne gesetzliche Krankenversicherung* DM 1.279,2 Mrd. DM). Die Wohnkosten (A)
werden maximal 350 Mrd. DM* betragen. Daraus ergeben sich jährlich Gesamtkosten
von 1.826 Mrd. DM.
Wer
soll das bezahlen?
Das Existenzgeld wie auch ein angemessenes Wohngeld soll
weitgehend durch den Bund finanziert werden. Dies geschieht
A. teilweise durch die Umschichtungen bisheriger
Sozial-Transfers in den Etats der Kommunen, der Länder und des
Bundeshaushaltes. So würde dann beispielsweise Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe,
BAföG, Kinder- u. Erziehungsgeld, bisheriges Wohngeld wegfallen und es käme zu
deutlichen Einsparungen in Bürokratie und Verwaltung.* (Zum Vergleich: Die
Sozialleistungen betrugen 1997 insgesamt 1.256 Mrd. DM, mit dem größten Teil
dieses Betrages werden künftige Existenzgeld-Leistungen abgedeckt)
B.
durch die bisherigen Sozialversicherungsbeiträge
C. durch eine 50%ige Abgabe
(„Take-half`) auf alle Netto-Einkommen, gleich welcher Art und Höhe. Diese
Abgabe ist zweckgebunden und keine Steuer!
Bei der Besteuerung kommt es zu einer Umstellung der
Lohnsteuerklassen auf Lohnsteuerklasse 1 für alle, d.h. jede/r wird als
Einzelperson besteuert, da auch jede/r als Einzelperson Existenzgeld erhält.
Alle Steuern und Sozialabgaben (29) bleiben in der
jetzigen Form, d.h. in Höhe und Progression erhalten, wie sie zum Jahresende
1999 vorlagen. Aufgabe des Staates ist es auch weiterhin, steuerfinanziert für
Bildung, Kultur und eine weitreichende Infrastruktur zu sorgen.
Existenzgeld - eine Utopie?
Nimm die Hälfte - gib die Hälfte!
Wir haben aufgezeigt, dass eine Gesellschaft es mit
eigenen Mitteln schaffen kann, Armut zu beseitigen. Über die „Take-half`-Regel
lässt sich die Existenz des Einzelnen im finanziellen Rahmen bedarfsorientiert
sichern.
Eine Wohlstandsgesellschaft, die sich den 'Luxus'
zunehmender Verarmung leistet, ist in sich paradox. Wir haben seit langem
darauf hingewiesen: Geld ist genug da! Die Existenzgeldvision stellt die
Grundsicherung - als Basis eines Lebensentwurfes im Kapitalismus - wieder auf
die Füße. Auf die Fragen nach den Ursachen der defizitären Grundversorgung
wachsender Bevölkerungsteile werden stetig nur die Erklärungsmodelle
Standorterhaltung, Kapitalfluss, Privatisierung und Globalisierung geliefert.
Das ist nicht unsere Antwort!. Wir sind davon überzeugt, dass es in einer
postkapitalistischen, globalen Lebens- und Arbeitswelt ohnehin ein wie auch
immer bezeichnetes Existenzgeld als Basissicherung geben wird. Schon jetzt
setzt sich der Gedanke durch, dass sich die derzeitigen weltweiten sozialen
Verwerfungen nicht durch die Globalisierung der Märkte und Kapitalflüsse
verhindern lassen, sondern eben durch diese verursacht werden! Der
Kapitalimperialismus mit seinen Waffengattungen kann die allgemeinen
Menschenrechte und auch unsere Grundrechte nicht durchsetzten, geschweige denn
garantieren. Das Problem der gekauften und verkauften Seelen lässt sich erst
lösen, wenn das Kapital in seinem Spielcharakter durchschaut wird und ihm
sozialverbindliche Regeln zugeordnet werden.
Existenzgeld
jetzt!
Wir setzen uns für die Einführung eines Existenzgeldes für alle ein: - weil wir wissen, dass es kommen wird!
- weil weitere extensive
Menschenrechtsverletzungen weite Bevölkerungsschichten und Kulturen vernichten
und pervertieren werden!
- weil unsere eigene
Lebensgrundlage durch Euro oder Mark so nicht besser wird!
- weil
menschliches Handeln nicht gekauft und verkauft werden kann!
- weil
eine zunehmende Lohnverknappung die Armen ärmer macht, den noch vorhandenen
Wohlstand vieler gefährdet und die Reichen noch reicher macht!
- weil das derzeitig zunehmende
Ungleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital die freie selbstbestimmte
Lebensgestaltung weiter untergräbt!
- weil der Raubzug des Kapitals
weit mehr Opfer produziert als Gewinner!
Gibt es
eine bessere Utopie? Was kann, was wird sich ändern?
Auf dem Weg in einen echten Wohlfahrtsstaat, in dem das
Kapital dem Menschen dient und nicht umgekehrt, in dem ein Leben ohne
finanzielle Existenznöte ermöglicht wird, auf diesem Weg sind wir nicht
alleine. Viele Entwürfe in diese Richtung werden politisch nicht nur angedacht,
sondern auch auf die Tagesordnung gesetzt, diskutiert und berechnet. Mit der
Einführung eines Existenzgeldes zeigt sich tendenziell auch ein anderer Umgang
mit unterschiedlichen Lebensentwürfen, (30) gesellschaftlichen Gruppierungen,
(31) Wohnformen, Erziehungsmodellen (32) und mit der Emanzipation. Die
Lernziele (33) und die Formen der Arbeit (34) werden sich verändern.
In diese Tendenz und Utopie weist unser Existenzgeldkonzept den Weg in eine postkapitalistischen Entwicklung - nicht als Hängemattenklischee, sondern als Grundlage eines würdigen Lebens.
Dass diese singuläre, allein auf die Existenzgeldeinführung
bezogene Vorgabe einer einfachen, gleichen und gerechten finanziellen
Grundsicherung unsere aktuellen und herbeigeredeten Probleme nicht von alleine
löst, ist wohl offensichtlich. Daher werden auch weiterhin Vorgaben und Utopien
zu diesem Thema aus allen Kreisen gefragt sein.
Internationalismus
Mit dem Existenzgeld wird erstmalig eine materielle
Gleichheit zwischen in Deutschland lebenden Ausländern und Menschen mit
deutschem Pass geschaffen. Alle in diesem Land ständig wohnenden Menschen (35)
bekommen Existenzgeld, ungeachtet ihrer Nationalität bzw. ihres Geschlechts.
Durch das Existenzgeld wird das
Asylbewerberleistungsgesetz (36) überflüssig. Jede/r Asylantragstellerin erhält
Existenzgeld, allerdings nur solange, bis eine negative Entscheidung vorliegt.
Materiell sind Flüchtlinge damit anderen Menschen im Land gleichgestellt. Damit
löst sich die Frage nach den Kriterien für eine Asylgewährung allerdings nicht,
diese muss politisch geklärt werden. Eine Initiative, die die faktische Aufhebung
des Rechtes auf Asyl für politisch Verfolgte wieder rückgängig macht, brauchen
wir allerdings dringend.
Das Existenzgeld ersetzt die Arbeitslosenhilfe und die
Sozialhilfe. In Deutschland lebende Ausländer haben zwar Anspruch auf die
Sozialhilfe, wenn sie diese jedoch in Anspruch nehmen, wird ihre
Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert. Gleichzeitig müssen freie Stellen
zuerst deutschen Staatsbürgern angeboten werden. Eine Folge ist, dass Ausländer
in der Regel - wenigstens, wenn sie nicht hervorragend ausgebildete
Spezialisten sind - nur schlecht bezahlte Jobs erhalten. Sie arbeiten oft zu
Hungerlöhnen und unter Bedingungen, die Deutsche nicht akzeptieren würden.
Besonders trifft dies ausländische Frauen, ihnen bleiben oft nur Putzjobs,
Arbeit als nicht sozialversicherte Haushaltshilfe, Babysitting und letztlich
die Prostitution. Mit Einführung des Existenzgeldes ist damit Schluss.
Zusätzlich fordern wir die Streichung des Passus im SGB III, der eine
Diskriminierung von Arbeitsuchenden auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit
unmöglich macht.
Das
Existenzgeld ersetzt das BAföG. Insbesondere ausländische Frauen haben dadurch
endlich die Möglichkeit zu studieren. Für ausländische Studierende, die bisher
in der Regel keinen Anspruch auf BAföG haben, ermöglicht das Existenzgeld
überhaupt erst ein Studium in der Bundesrepublik Deutschland.
Mit dem Existenzgeld werden in der Bundesrepublik lebende
Deutsche und Ausländer materiell gleichgestellt. Das nimmt auch Rechten jeder
Couleur in ihrer Hetze gegen Fremde den Wind aus den Segeln. Mit „die Ausländer
nehmen euch die Arbeitsplätze weg" kann nicht mehr Sozialneid geschürt
werden, wenn der Lebensunterhalt von der Lohnarbeit entkoppelt wird, man nicht
mehr bei Strafe des Verhungerns seine Arbeitskraft verhökern muss. Aber auch
wenn Sozialneid und Missgunst als Vorwand für Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit wegfallen, werden überzeugte Menschenfeinde leider immer
noch Gründe finden, sich auf Kosten anderer Menschen auszutoben. Mit dem
Existenzgeld entziehen wir den Rechten lediglich die materielle Grundlage ihrer
Agitation.
Die Bilanz nach Einführung des Existenzgeldes wird immer
positiv ausfallen, denn es schafft die Voraussetzungen für ein friedliches
Miteinander oder zumindest ein friedliches Nebeneinander in der Bundesrepublik.
Mehr aber auch nicht. Es wird damit weder der Ausverkauf der Republik
betrieben, noch wird sich das Nebeneinander-her-leben der verschiedenen
Kulturen in reine Harmonie verwandeln.
Die Lebensbedingungen in anderen Ländern verändern sich
hingegen durch das Existenzgeld überhaupt nicht. Möglicherweise kommt es in
anderen europäischen Ländern auch zur Einführung des Existenzgeldes. Debatten
über vergleichbare Konzepte werden zur Zeit im spanischen Staat, Frankreich,
den Niederlanden - sowohl in partei-unabhängigen Erwerbslosengruppen als auch
in universitären Zirkeln - geführt. Osteuropäische, asiatische, afrikanische,
lateinamerikanische Länder hingegen werden von diesem sehr europäischen Konzept
zunächst überhaupt nicht berührt. Es sei denn, die Menschen nehmen dieses
Konzept zum Anlass, die Lebensbedingungen in ihren Ländern mit einer
vergleichbaren und guten Utopie zu ändern.
Anmerkungen:
* Detailliert werden einzelne Posten vor allem die mit *
gekennzeichneten im Anhang (siehe Seite 92f) begründet, es werden konkrete
Summen genannt sowie weitergehende Berechnungen sind aufgeführt.
* siehe Anhang Seite 92ff.
(A) Rein rechnerisch (bei
durchschnittlich DM 500.- pro Person): 492 Mrd. Bei 40,9 % der Wohneinheiten
handelt es sich jedoch um Eigentum (Stand 1998). Die Wohnkosten hierfür müssen
i.d.R. niedriger sein, da Vermieterprofite entfallen. Für Wohneigentum werden
für Instandhaltung und übliche Nebenkosten nur Beträge bis zur jeweiligen
angemessenen Mietobergrenze und Wohnraumgröße anerkannt.
21 in der Beschlussfassung der Bundestagung der BAG-SHI
(BundesArbeitsGemeinschaft der SozialHilfeInitiativen) vom 23.Mai 1998 in
Erfurt.
22 einer Arbeitslosigkeit, die nur im Interesse der
Herrschenden liegt
23 Damit wird das kapitalistische Wirtschaftssystem in
Frage gestellt. Denn die historischen Bedingungen für das Kapital sind durchaus
nicht nur durch die Waren- und Geldzirkulation gegeben, sondern auch dadurch,
daß der Besitzer von Produktions- und Lebensmitteln den „freien Arbeiter"
am Markt vorfindet. (nach Karl Marx, „Kritik der politischen Ökonomie",
MEW 23, Seite 84).
24 Die Wortbedeutung von Arbeit im etymologischen
Wörterbuch lautet: Abgeleitet vom indo-germanischen "Orbhos" =
„verwaist sein", hatte es im germanischen Sprachgebrauch die Bedeutung von
„verwaist sein, um schwerer körperlicher Arbeit verdingtes Kind zu sein."
Ins Neuhochdeutsche hinein bedeutet es „schwere körperliche Anstrengung,
Mühsal, Plage". Luther hat diese Plage positiv belegt und zum Lebensinhalt
ernannt - und um dann altes Bibelgut darauf zu setzen in dem Sinne: „Wer nicht
arbeitet, soll auch nicht essen!" Dieses wurde von den Herrschenden bis
zum heutigen Tag gern verbreitet und belastet immer noch unser Denken:
Entfremdete Arbeit als geforderte Pflichtübung - um nicht zu verhungern.
25 was in vielen Betrieben nicht die Ausnahme, sondern
leider schon die wöchentliche Regelarbeitszeit ist.
26 Zum Thema: Kosten der Unterkunft hat es die heftigsten
Diskussionen unter den Initiativen gegeben Die „gute, alte" Forderung aus
der Zeit des Häuserkampfs - Wohnungen müssen denen gehören, die drin wohnen! -
lag vielen von uns sehr am roten Herzen und die damit verbundene Forderung nach
der Enteignung von Wohneigentum schien in ein wirklich radikales Konzept der
Umverteilung zu passen wie Sahne zu Erdbeertorte. Nun hat sich aber gerade die
Gruppe der StatistikerInnen und VorrechnerInnen auf ihre Fahnen geschrieben,
ein Modell zu präsentieren, das morgen in Tat umgesetzt werden kann, das
berechenbar und begreifbar ist, ein Modell welches das System der Verteilung
von Reichtum zwar radikal in Frage stellt, ohne jedoch an der Systemfrage
scheitern. Vor diesem Hintergrund konnten wir uns nicht zu einer radikalen
Lösung entscheiden und so verbleibt das hier präsentierte Konzept in alten
Strukturen, die nicht faszinieren können und weiter diskutiert werden müssen.
27 Auf die propagandistischen Statements rund um das
Schlagwort „Standort Deutschland" gehen wir hier nicht ein. Armut wird als
Problem dabei noch nicht einmal wahrgenommen - geschweige denn ihre Abschaffung
angestrebt.
28 Detailliert werden einzelne Posten vor allem die mit *
gekennzeichneten im Anhang (siehe Seite 92) begründet, es werden konkrete
Summen genannt sowie weitergehende Berechnungen sind aufgeführt.
29 Die Sozialabgaben müssen von der Summe her erhalten
bleiben, da sie zur Finanzierung des Konzeptes zunächst notwendig sind.
30 Lebensentwürfe werden nicht mehr primär durch
ökonomische Einschränkungen, Vermarktungschancen und Nischenorientierung
bestimmt, es geht vielmehr um die Realisierung eigener Interessen und
Fähigkeiten. Auch das Leben im Alter wird sich dadurch entscheidend verändern,
es wird nicht mehr zur Ausgrenzung betagter Mitbürgerinnen kommen, die nur noch
gepflegt werden müssen, sondern zur Integration und Ergänzung in einer
altersübergreifende Kultur.
31 Gesellschaftliche
Gruppierungen definieren sich nicht mehr entsprechend ihrem Kapitaleinsatz,
ihrer Produktivität, Kaufkraft, Herkunft und Heimat, sondern nach Kultur in
Nähe und Distanz, anstatt im Freund- und Feindbildern.
32 Erziehung zielt nicht mehr auf die Heranführung auf
ein job- und einkommenorientiertes Mitmachen, sondern auf das Hineinwachsen in
ein selbstverantwortliches Tun und Lassen.
33 Lernziele dienen nicht mehr der Vermarktungsstrategie
und Gewinnmaximierung, sondern als eigene und bezugsgruppenorientierte
Realisierungshilfe auch beim humanen und ökologischen Umgang mit Ressourcen.
34 Der Zwang, um jeden Preis jede Arbeit annehmen zu
müssen, entfällt. Arbeit blockiert nicht länger eigene Lebensimpulse! Die
eigene freie Entscheidung ist Grundlage für eine Tätigkeit, für ein Produkt,
für einen sinnvollen Nutzen.
35 Alle, die ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik haben
36 Die schändliche Behandlung der AsylbewerberInnen
(Gutscheine, Zwangskasernierung) durch die Bestimmungen des
Asylbewerberleistungsgesetzes findet damit endlich ein Ende.