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Auszug aus
der Begründung des Preisgerichts für die Preisverleihung
Von den
insgesamt eingereichten 19 Vorschlägen hat das Preisgericht vier Vorschläge in
die engere Wahl gezogen. Hierbei handelt es sich (in alphabetischer
Reihenfolge) um die Entwürfe der Verfasser Dr. Michael Elicker, Prof. Dr.
Joachim Mitschke, Prof. Dr. Manfred Rose und den "Kölner Entwurf"
eines Verfasserkollektivs (Sprecher Prof. Dr. Joachim Lang, Prof. Dr. Norbert
Herzig, Prof. Dr. Johanna Hey, Heinz-Gerd Horlemann, Dr. Jürgen Pelka, Prof.
Dr. Heinz-Jürgen Pezzer, Prof. Dr. Roman Seer, Prof. Klaus Tipke). Die
Konzeptionen der vier Entwürfe unterscheiden sich hinsichtlich verschiedener
Kriterien: Teilweise wird die geltende Rechtslage völlig in Frage gestellt, und
teilweise soll sie nur geringfügig modifiziert werden. Dementsprechend ist der
Normtext der Gesetzentwürfe in unterschiedlicher Reife und Detailliertheit
ausgearbeitet. Ein weiterer grundlegender Unterschied der Entwürfe liegt in der
Gewichtung des Textumfangs der Rechtsnormen einerseits und der sie stützenden
Begründungen andererseits.
Das
Preisgericht mußte daher für seine Beurteilung eine Gewichtung des materiellen
Gehalts der Entwürfe und ihrer formellen rechtstechnischen Ausführung
vornehmen. Angesichts der in der Auslobung zum Ausdruck gekommenen Schwerpunkte
hat das Preisgericht dem materiellen Gehalt der Entwürfe Priorität eingeräumt,
zumal die Misere der gegenwärtigen Einkommensbesteuerung nicht in der zu
geringen Zahl präziser Rechtsnormen, sondern in deren Konzeptionslosigkeit
liegt. Demgegenüber wurde vom Preisgericht Unzulänglichkeiten der
Gesetzesredaktion ein geringeres Gewicht beigemessen, da die rechtstechnische
Umsetzung in justitiable Regelungen bei jeder Steuerreform ein Problem
darstellt und nicht ohne langwierige Abwägungen und Erprobungen möglich ist.
Sofern
allerdings Entwürfe insoweit als gedanklich unfertig erscheinen, als bereits
bei ihrer Durchsicht offensichtlich wird, wie sie durch
Steuerausweichhandlungen unterlaufen werden können, weil sie zu deren
Begrenzung keine Vorkehrungen getroffen haben, liegen hierin materielle Mängel,
die nicht durch redaktionelle Perfektionierung geheilt werden können. [...]
Der Entwurf
von Mitschke "Erneuerung des deutschen Einkommensteuerrechts" ist
insoweit am umfassendsten angelegt, als er sowohl die Erhebung der
Einkommensteuer als auch das Transfersystem mit dem Vorschlag der Einführung
eines Bürgergelds - einer Form der negativen Einkommensteuer - zusammenfassend
systematisiert.
Er bringt in
konzeptionell und sprachlich besonders klarer Form zum Ausdruck, daß der
Besteuerung die im konsumierten Einkommen verwirklichte Leistungsfähigkeit
zugrunde gelegt werden soll. Deshalb erkennt Mitschke Unternehmen als bloßen
Instrumenten der Einkommenserzielung keine eigene Leistungsfähigkeit zu. Die
Gewinne von Unternehmen sollen so lange unbesteuert bleiben, so lange sie
investiert bleiben. Sie sollen erst dann zu einer Steuerlast führen, wenn sie
den Kapitaleignern als natürlichen Personen zufließen, sofern diese sie nicht
erneut investieren. Erst der Konsum von Entnahmen bzw. Ausschüttungen löst im
Entwurf Mitschke die Steuerbelastung aus.
Besteuert
werden soll nicht derjenige, der durch Arbeit oder Kapitaleinsatz etwas für
seine Mitbürger leistet, sondern derjenige, der sich durch Konsum selbst etwas
leistet. Deshalb werden in jeder Periode von den durch Lohn oder andere
Einkommensquellen zufließenden Einnahmen alle werbenden Ausgaben abgezogen. Im
Entwurf von Mitschke geht die Gleichmäßigkeit der Besteuerung mit der
"Belohnung" von Investitionen einher. Wer Werte schafft, bleibt
solange steuerfrei, bis er sie dem Konsum zuführt und damit Ressourcen für
persönliche Zwecke verbraucht.
Für die
Unternehmensbesteuerung bedeutet dies, daß nicht Gewinne der
Gesellschaftsebene, sondern nur die für Konsumzwecke verwendeten Entnahmen der
Gesellschafter besteuert werden sollen. Deshalb können alle bisherigen, durch
die Gewinnermittlung der Unternehmen ausgelösten Probleme, die den
Hauptgegenstand der gegenwärtigen steuerlichen Gerichtsbarkeit bilden,
vermieden werden.
Im Entwurf
von Mitschke werden Aktionäre und Arbeitnehmer steuerlich gleichgestellt, weil
bei beiden lediglich der Zufluß von Geld und Gütern als Einkommen erfaßt wird.
Eine abstrakte Zurechnung von Gewinnen des Unternehmens löst beim Kapitaleigner
noch keine Steuerlast aus.
Diese Form
der Besteuerung wendet Mitschke auch konsequent auf alle privaten
Kapitaleinkommen an, wodurch der Unterschied zwischen Sparen und
Zukunftsvorsorge entfällt. Da letztlich alle Sparformen
"nachgelagert" besteuert werden sollen, nämlich dann, wenn die
Ersparnisse aufgelöst werden, werden individuelle und kollektive Sparformen gleich
behandelt. Damit wird dem Sparer die Freiheit der Wahl der Anlageform selbst
überantwortet. Da die am Lebensende von einem Erblasser nicht selbst
verausgabten Überschüsse dessen Erben zufließen, kann die von diesem hierfür zu
entrichtende Einkommensteuer die Erbschaftsteuer ersetzen, die bislang neben
der Einkommensteuer ein systemfremdes Element bildete.
Eine
Inflationsbereinigung der Bemessungsgrundlage kann im Vorschlag von Mitschke
unterbleiben, da das Einkommen als Differenz von Ausgaben und Einnahmen mit jeweils
gleichem Geldwert ermittelt wird. Eine Inflationsbereinigung wäre nur dann
erforderlich, wenn in früheren Perioden mit höherem Geldwert getätigte Ausgaben
erst in späteren Perioden als Aufwand verrechnet werden, ohne daß eine
betragsmäßige Anpassung erfolgen würde.
Mitschke
selbst sieht Probleme der Administrierbarkeit seines Entwurfs im Fall
grenzüberschreitender Vorgänge und modifiziert sein Konzept hierfür in einer
konzeptionell nicht ganz konsequenten Weise. Wenn wie vorgesehen die Ausgaben
für Auslandsinvestitionen erst im Zeitpunkt des Einnahmenzuflusses abgezogen
würden, wäre hiermit deren von Mitschke beabsichtigte Diskriminierung
verbunden. Soll mit dieser Verrechnungsregel der Ausgaben sowohl eine
Sicherungsfunktion verbunden werden und gleichzeitig eine Diskriminierung
vermieden werden, so könnte die vorgesehene Regel um eine Aufzinsung der
Ausgaben ergänzt werden.
Probleme
würden sich im Entwurf von Mitschke auch durch Wohnsitzverlagerungen zwischen
Inland und Ausland ergeben. Da jeder Wechsel aus einem Einkommensteuerregime in
ein Konsumsteuerregime und umgekehrt Übergangsprobleme auslöst, kann deren
Lösung nur durch Koordination zwischen den Staaten erfolgen. Die bestechenden
Vorzüge des Entwurfs Mitschke sollten ein ausreichender Anreiz sein, die
schwierige Lösung der in seinem Konzept auftauchenden Probleme
grenzüberschreitender Besteuerung nicht unversucht zu lassen.
Das
Preisgericht spricht dem Entwurf von Mitschke den 1. Preis zu, weil er seine
Konzeption mit großer Konsequenz durchdacht, in besonders klarer Sprache
begründet und in einen hinreichend ausformulierten Gesetzestext umgesetzt hat.
Darüber hinaus soll in besonderer Weise gewürdigt werden, daß der Entwurf von
Mitschke auf seinem eigenen wissenschaftlichen Gedankengut fußt. Prof. Mitschke
hat seit mehreren Jahrzehnten grundlegende Analysen der Alternativen der
Besteuerung des Einkommens vorgenommen und mit großer analytischer Klarheit die
Arithmetik steuerlicher Bemessungsgrundlagen herausgearbeitet.
Obwohl in
der Auslobung nicht gefordert, besticht der Entwurf von Mitschke auch dadurch,
daß die Besteuerung des Einkommens in das Transfersystem integriert wird. Da
sich Transfersystem und Einkommensteuer sachlich nicht trennen lassen, wie § 3
des geltenden EStG beweist, ist ihre Integration letztlich unabdingbar und nur
im Entwurf Mitschke verwirklicht. Daß der Verfasser auch hier auf seine eigenen
Vorarbeiten mit der Konzeption des "Bürgergeldes" zurückgreifen und
erneut auf Anleihen bei anderen Theoretikern verzichten kann, unterstreicht die
besondere Preiswürdigkeit seines Entwurfs.
Frankfurt,
im August 2003
Das
Preisgericht